f once uponONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD ruft viele Erinnerungen wach oder auch: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. August 2019, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ist schon das Jahr 1968 für die, die es erlebt haben, erinnerungsgesättigt, so nicht minder das Jahr 1969. Denn vieles von dem, was noch 1968 einfach locker und lustig schien, geriet 1969 vollends in Verruf. Aber es war auch das Jahr des ersten Mannes auf dem Mond, was wir gerne zum 20. Juli aufgegriffen hatten.

Für Deutschland war es sowieso ein wichtiges Jahr, denn Willy Brandt (SPD) hatte einen heftigen Wahlkampf, wo er für die CDU/CSU als zurückgekehrter Emigrant wieder einmal der Vaterlandsverräter war – schon irre, wenn man sich das heute vorstellt. Er hatte dennoch mit einem klaren politischen Programm, das einerseits Versöhnung mit Osteuropa einschließlich der Akzeptanz der DDR anzielte und andererseits auf die sozial Abgehängten in der prosperierenden Bundesrepublik abhob, am 28. September die Bundestagswahlen gewonnen und löste den mit Recht vergessenen Altnazi Kurt Georg Kiesinger (unvergessen an ihm ist nur die Backpfeife, die ihm die aufrechte Beate Klarsfeld, in Paris wohnend, erteilte). Und in Paris war Charles de Gaulle zurückgetreten, dem Georges Pompidou als erst zweiter Staatspräsident der Fünften Republik.

Überhaupt ist 1969 das Jahr der Übergänge. Auch der deutsche Bundespräsident wechselte. Bis Ende Juni war es der mythenreiche Heinrich Lübke (CDU) – auf seiner Afrikareise: „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger...“ - , ab 1. Juli Gustav Heinemann (SPD). Und auch in Amerika hatte – traditionell am 20. Januar – die Präsidentschaft gewechselt von Lyndon B. Johnson (Demokraten) zu Richard Nixon (Republikaner).

Schon zuvor, am 16. Januar hatte sich in Prag als Folge der Niederschlagung des Prager Frühlings der Student Jan Palach verbrannt. In England war Brian Jones tot in seinem Swimmingpool aufgefunden worden, Mitbegründer der ROLLING STONES und im sagenhaften Alter von 27 Jahren gestorben. Sagenhaft deshalb, weil eine Reihe von Musikern in all den Jahrzehnten im selben Alter von 27 gestorben sind. Auch die deutsche Schlagersängerin Alexandra, ebenfalls mit 27 Jahren, an einem Autounfall.

Und dann gab Woodstock, das legendäre Open-Air-Musikfestival vom 15. bis 17. August, drei Tage voller Musik, Blumen und Liebe mit der Besucherzahl von 400 000.Das war also genau heute vor 50 Jahren. Aber, fragt man sich darob verblüfft, wie war das möglich, daß kaum eine Woche nach den besonders grausamen Manson-Morden noch einmal, ein letztes Mal, das amerikanische Hippietum aufblühte. Und so sehr sich jemand wie ich, der das aus der Ferne miterlebte, an beide Ereignisse erinnern kann, sind sie doch im Gedächtnis von einander getrennt und ich hätte geschworen, daß erst Woodstock (Jimi Hendrix, Joan Baez, Santana, Janis Joplin, Joe Cocker) war und mit den Manson-Morden Flower Power vorbei war. Andererseits kann man sich auch gut vorstellen, daß die Musiker und ihre Zuhörer sich noch einmal ihrer hehren menschlichen Ziele vergewissern wollten, nach den Manson-Morden erst recht!

Manson-Morde schreibe ich lieber als Tate-Morde, wobei nach den Morden am 9. August die sich Hippie nennende Verbrecherbande einen weiteren Mord, einen Doppelmord an dem Unternehmerehepaar LaBianca verübte, weshalb man eigentlich von den Tate-LaBianca-Morden spricht. Mehr, als daß sich ein Viererbande aus der Manson Family auf Geheiß des Sektenführers auf den vierstündigen Weg machte, um die Bewohner des Hauses 10050 Cielo Drive in Los Angeles abzusschlachten, muß man nicht wissen, wobei für die Öffentlichkeit die Mordopfer deshalb bedeutsam waren, weil die 26jährige und hochschwangere (8. Monat) Sharon Tate die Ehefrau des Starregisseurs Roman Polanski war, der am 12. August regulär aus London zurückgekehrt wäre und die übrigen Opfer ihre Freunde waren.

Als ich das erste Mal von Tarantinos ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD und seiner Thematik hörte, war mir die Erinnerung an die Manson-Morde so unerträglich, daß ich nachgerade Angst vor dem Ansehen des Films hatte.

Manson Morde heißen sie nach dem Anführer der Sekte, Charles Manson (2017 im Gefängnis gestorben) , einem erfolglosen Musiker, der sich zum Führer berufen fühlte und insbesondere Frauen um sich scharrte, über die – wie diese aussagten – er mystische Macht besessen habe, sie ihm allesamt hörig gewesen seien, und er für alle Morde genaue Handlungsanweisungen gegeben habe, auch wenn er bei der Ausführung nicht dabei war. Es gibt Aufnahmen dieser jungen, besonders mädchenhaft zurechtgebretzelten jungen Frauen, wie sie nach den Morden ins Gericht einziehen, singend und lachend, einander an den Händen fassend. Alles unglaublich. Nach ihm nannten sie sich Manson Family und wie Tarantino im Film den wachen und gewitzten Haudegen Brad Pitt in einer eigentlich verlassenen, vom Besitzer, einem alten Mann, den jungen Leuten überlassenen Ranch auf diese unglaubliche Mischung von harmloser Provinzialität und dann angestachelter Mordlust der jungen Frauen clever und umsichtig reagieren läßt, ist hohe Filmkunst. Auch Schauspielerkunst. Ich auf jeden Fall hatte die lange Szene über Gänsehaut pur.

Wenn übrigens erst im Oktober 1969 Sektenführer Manson mit zwei der Täterinen der Tate-Morde im Death Valley entdeckt und festgenommen wurden, kann man über die Zufälligkeit der Namensgebung des Festnahmeortes auch nur staunen. Und Staunen darf man am Ende von Tarantinos Film ebenso, der aus einer bösen Wirklichkeit ein sanfte Volte schlägt und ein Märchen erzählt. Denn die Geschichte ist unerbittlich nur in ihrem gewesenen Ablauf. Als Möglichkeitsform im Film hat sie geradezu versöhnende Kraft. Wir finden darum den Film und erst recht den Schluß märchenhaft schön, schon eingedenk dessen, daß der Begriff Märchen natürlich immer beide Aspekte beinhaltet, denn das Böse gibt es in Märchen genauso wie das Gute. Aber wie schön, wenn mal das Gute siegt. Wenigstens im Film von Tarantino.

Foto:
Verleih