Bildschirmfoto 2019 08 16 um 00.02.40Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. August 2019, Teil 5

Bert Rebhandel

Berlin (Weltexpresso) – "Die wird wohl nicht mehr sauber“, sagt die Frau in der Reinigung, als sie eine gelbe Jacke in die Hand bekommt. Sie gehört einem Jungen namens Phillip. Er war eine Weile verschwunden, wo er war, ist nicht ganz klar, die Jacke lässt aber erkennen, dass er irgendwo draußen war. Draußen in der Natur. Draußen, außerhalb der Stadt. Außerhalb der Familie. Phillip hatte seine Mutter Astrid und seine Schwester Flo verlassen. Nun ist er wieder da.

„Ich hab ihn wieder“, sagt Astrid. Aber sie hat ihn nicht wirklich wieder. Ein wenig später wird sie über Phillip sagen: „Mein ganzes Leben ist in seinen Händen.“

Das ist ein großer Satz, aber Astrid sagt ihn ohne übermäßige Betonung. Dabei legt sie gerade einen starken Auftritt hin. Sie hat sich Zugang zum Lehrerzimmer verschafft, in der Schule von Phillip, und sie spricht nun zu der ganzen Belegschaft über ihren Sohn. Sie appelliert: „Ich weiß, Sie müssen sich ein Urteil verschaffen, aber das scheint mir nicht möglich. Ich bin mit etwas konfrontiert, was ich nicht lösen kann.“ Astrid ist damit konfrontiert, dass Phillip „ein Mann ist oder wird. Es gibt kein Wort für diesen Zustand.“

Es gibt allenfalls geläufige Wörter für diesen Zustand: Pubertät, oder Erwachsenwerden. Angela Schanelecs Film „Ich war zuhause, aber ...“ könnte man dementsprechend als einen Versuch über die Pubertät bezeichnen. Dabei ist aber immer zu berücksichtigen, dass es für diesen Zustand „kein Wort“ gibt, und dass die Figur im Zentrum des Films nicht Phillip ist, sondern seine Mutter Astrid. Und auch diese Logik von Hauptund Nebenfigur hat nur bis zu einem gewissen Grad Berechtigung.

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In den Filmen von Angela Schanelec gilt immer genau das, was gerade zu hören und zu sehen ist. Die Geschichten, die daraus werden, kann man sehr gut in der Spannung sehen, von der Astrid gegenüber den Lehrern spricht: zwischen der Versuchung, sich ein Urteil zu bilden, und dem Zugeständnis, dass das Leben immer wieder mit Umständen konfrontiert, die sich nicht lösen lassen. Irgendwo dazwischen liegt die Wirklichkeit, von der Angela Schanelec erzählt.

Im Lauf der Jahre hat sie ihre Kunst immer deutlicher ausgeprägt, und mit den letzten beiden Filmen „Der traumhafte Weg“ und nun „Ich war zuhause, aber...“ hat sie eine einzigartige Weise gefunden, von den Dingen des Lebens zu erzählen. Sie erzählt im Grunde einfache Geschichten, aber sie erzählt dabei immer mit, dass es keine einfachen Geschichten gibt, sondern dass es in jeder Szene um alles geht. Die Filme werden dadurch aber nicht schwer, sondern leicht. Sie öffnen sich auf eine elementare Dimension, für die es in der Philosophie ein Wort gibt: Eigentlichkeit oder Authentizität.

Die einfache Geschichte in „Ich war zuhause, aber...“ geht so: Astrid ist die Mutter von Phillip und Flo. Vor zwei Jahren ist der Vater, ein Theaterregisseur gestorben – in der Familie fehlt ein Mann, während Phillip gerade einer wird. In der Schule wird Hamlet gespielt, die Geschichte eines jungen Mannes, in dessen Familie der Vater fehlt. In einem konventionellen Film würde man sagen: Astrid hat eine Krise. Aber auch dann wäre erst noch zu bestimmen, was für eine Krise das ist. Es könnte sich um eine Krise in der Mitte des Lebens handeln, vom Alter her würde das passen, aber das wäre zu sehr nach einem biographischen Muster gedacht.

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Angela Schanelecs Filme sind nicht konventionell. Sie setzen sich im Gegenteil deutlich davon ab, wie Erzählungen üblicherweise funktionieren. Im kulturellen Alltag geht es darum, dass Figuren nachvollziehbar sind, dass man ihnen nahe kommt, dass man sich mit ihnen identifiziert. Es geht darum, dass sich Szenen plausibel aneinanderreihen und dass sich daraus eine spannende oder bewegende Geschichte ergibt. Zu diesem kulturellen Alltag, wie ihn zum Beispiel das Fernsehen mit seinen Formatlogiken, aber auch das deutsche Kino auf seiner Suche nach Erfolgsrezepten bestimmt, hält Schanelec eine genau bestimmte Distanz. Auch mit Astrid kann man sich identifizieren, aber das hebt die Fremdheit nicht auf. Sie macht die ganze Zeit eigentlich ganz normale Dinge, aber sie macht sie mit einer Bestimmtheit, die auf etwas Prinzipielles verweist. Ihr Erscheinen vor dem Lehrerkollegium hat etwas von einem Ereignis: so spricht man im Alltag eigentlich nicht, so klar und überlegt und herausfordernd, dabei aber die eigenen Zweifel nicht verbergend. Aber vielleicht sollte man so sprechen.

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Info:
EIN FILM VON ANGELA SCHANELEC Astrid Maren Eggert • Phillip Jakob Lassalle • Flo Clara Möller Lars Franz Rogowski • Claudia Lilith Stangenberg • Herr Meissner Alan Williams Astrids Freund Jirka Zett • Junger Regisseur Dane Komljen

Abdruck aus dem Presseheft