Leben AmandaSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. September 2019, Teil 8

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) - Der 24jährige David (Vincent Lacoste) wohnt in Paris. Er führt ein recht sorgloses Single-Leben und hält sich mit mehreren Jobs über Wasser. So kümmert er sich für seinen Vermieter um dessen andere Wohnungen in einem Wohnblock; dort kommen sowohl regelmäßig neue Mieter als auch Touristen unter, die David schon am Bahnhof abholen muss. Daneben arbeitet er noch als Gärtner und Baumpfleger.

Gerade kommt er mal wieder zu spät, um seine 7jährige Nichte Amanda (Isaure Multrier) von der Schule abzuholen, denn die indische Familie, der er die neue Wohnung zeigen muss, kam nicht nur zu spät, sondern auch viel zahlreicher als geplant. Doch trotz seiner Unpünktlichkeit verstehen sich David, seine ältere Schwester Sandrine (Ophélia Kolb) und Amanda hervorragend. Sandrine arbeitet als Englisch-Lehrerin, denn die Mutter der Beiden ist Britin und lebt schon lange wieder in England. Ihr Vater, der die Beiden allein groß gezogen hat, ist inzwischen verstorben.

Da zieht in die Wohnung gegenüber von Davids Appartement Léna (Stacy Martin) ein, die in Paris als Klavierlehrerin arbeiten möchte. Davis beginnt, sich für die junge Frau zu interessieren und lädt sie zu einem Picknick im Park mit Freunden seiner Schwester ein.

Doch von einen auf den anderen Tag ändert sich alles. David ist noch mit dem Rad unterwegs und kommt etwas zu spät zum Picknick als Polizei-Sirenen zu heulen beginnen und Krankenwagen losrasen. Er muss feststellen, dass während eines Amoklaufes auf die Gruppe in der Zwischenzeit geschossen wurde und dabei Sandrine und andere Freunde getötet wurden und Léna schwer verletzt ist.

Jetzt muss David nicht nur sein eigenes Leben auf die Reihe bringen, sondern auch entscheiden, ob er in der Lage ist, dauerhaft für Amanda zu sorgen, deren Vater nicht bekannt ist. Denn außer ihm gibt es nur noch seine Tante Maud (Marianne Basler) und seine in England lebende Mutter Allison (Greta Scacci), zu der er seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr hat. Überfordert mit der Verantwortung sucht er nach jeder möglichen Hilfe, denn neben Amanda ist da auch noch Léna...


"Mein Leben mit Amanda" beginnt mit seinen sommerlichen Bildern wie eine typische französische Komödie über das unbeschwerte Leben von jungen Parisern aus der Mittelschicht. Doch Regisseur Mikhaël Hers erzählt in seinem wunderbaren Drama nach dem Drehbuch von Mikhaël Hers und Maud Ameline sehr feinfühlig, warmherzig und jenseits aller Klischees, wie ein Leben nach einem Terrorakt plötzlich umschlagen kann. Es gelingt dem Regisseur in seinem Drama Themen wie Trauerarbeit und Verarbeitung von Schicksalsschlägen ausgesprochen behutsam zu behandeln.

Dabei verzichtet Mikhaël Hers bewusst darauf, sowohl den Anschlag im Park als auch die Beerdigung Sandrines und ihrer Freunde zu zeigen. Er zeigt aber die Folgen für die Überlebenden und für die Stadt. Denn die wirkt erst einmal wie im Schock erstarrt. Die Straßen sind leer, die Polizei sperrt den Park ab und lässt David nicht hinein.

David selbst ist genötigt, ganz schnell erwachsen zu werden. Er muss mit seiner eigenen Trauer zurechtkommen, aber er ist auch gezwungen zu entscheiden, ob er in der Lage ist, Amanda auf Dauer zu sich zu nehmen. Er fühlt sich mit der Verantwortung überfordert und denkt kurz darüber nach, Amanda in ein Waisenhaus zu geben.

Eine der bewegendsten Szenen ist allerdings, wenn David und Amanda auf einer Parkbank sitzen, und David versucht für seine Nichte das Geschehen in Worte zu fassen und er beim Versuch beinahe emotional zerbricht. Als Zuschauer entwickelt man in diesem Moment grenzenloses Mitleid den beiden.

Aber auch für Amanda verändert sich mit dem Verlust der Mutter das Leben, denn sie übernachtet mal bei David und dann auch wieder bei Davids Tante Maud. Mikhaël Hers schafft es mit kleinen alltäglichen Szenen die Erschütterung des kleinen Mädchens zu zeigen, wenn z.B. David Sandrines Zahnbürste und Lippenstift in den Müll wirft und Amanda wütend wird, als sie das feststellt, worauf David alles sofort wieder an seinen angestammten Platz stellt.

Dann ist da auch noch Davids sich entwickelnde Beziehung zu Léna, die zwar mit einer Armverletzung davon kommt aber doch Probleme hat, in den Alltag zurückzukehren. Der Regisseur zeigt Lénas posttraumatische Belastungsstörung in einer kurzen Szene, als sie auf der Straße bei einem Knall in ihrer Nähe beinahe zusammenbricht.

Der Film lebt besonders auch von der großartigen Darstellung von Vincent Lacoste, der die verschiedenen Stimmungen Davids wunderbar natürlich darstellen kann. Die achtjährige Isaure Multrier steht ihm als Amanda mit deren herzzerreißenden Trauer eines Kindes in ihrer ersten Rolle kaum nach.

Doch der Film zeigt nicht nur eine differenzierte Schilderung der Auswirkungen auf die Überlebenden, sondern auch dass es möglich ist, nach diesen schrecklichen Erlebnissen langsam wieder zu einer Normalität zurückzukehren. Das wirkt nie aufgesetzt, sondern entwickelt sich langsam, wenn David und Amanda zum Beispiel eine Fahrradfahrt durch Paris machen, wie es zu Beginn des Films Amanda mit ihrer Mutter getan hat.

Dass das Leben weitergeht und es zu einem Zusammenhalt von Onkel und Nichte kommt, zeigen auch die Szenen, in denen die beiden die noch von Sandrine gekauften Tickets für das Tennisturnier in Wimbledon benutzen und David auch endlich in der Lage ist, seine entfremdete Mutter zu treffen, und wie Amanda bei einem Match erkennt, dass man nicht nur im Sport, sondern auch im Leben niemals aufgeben darf und es selbst bei 0:40 noch die Möglichkeit zu einer Wende zum Positiven geben kann.

Keine dieser Szenen wirken theatralisch, sondern sie entwickeln sich ganz natürlich. Die langsamen Fortschritte der Beziehung zwischen David und Amanda auf der einen sowie David und Léna auf der anderen Seite zeigen die Momente auf, in denen der Film zu seiner anfänglichen Leichtigkeit zurückfindet.

Insgesamt ist "Mein Leben mit Amanda" ein hervorragend gelungenes Drama, das in der Lage ist, das ernste Thema trotz allem in einer wunderbaren Inszenierung darzustellen, die am Ende wieder zu der Leichtigkeit des Anfangs zurückfindet. Es ist ein unbedingt sehenswerter Film entstanden, der einen akkuraten und feinfühligen Blick auf die überlebenden Opfer und die Hinterbliebenen nach einem Terroranschlag wirft.

Foto:
Amanda (Isaure Multrier) und David (Vincent Lacoste) © Nord-Ouest Films, MFA+ FilmDistribution

Info:
Mein Leben mit Amanda (Frankreich 2018)
Originaltitel: Amanda
Genre: Drama
Filmlänge: 107 Min.
Regie: Mikhaël Hers
Drehbuch: Mikhaël Hers, Maud Ameline
Darsteller: Vincent Lacoste, Isaure Multrier, Stacy Martin, Ophélia Kolb, Marianne Basler, Greta Scacci, u.a.
Verleih: MFA+ FilmDistribution e.K.
FSK: ab 6 Jahren
Kinostart: 12.09.2019