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Kategorie: Film & Fernsehen
1003043.jpg r 1920 1080 f jpg q x xxyxx1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. September 2019, Teil 7

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nahezu alle, die schon dort waren, im Schloss, zieht es immer wieder hin. Auch auf den Schreiber, der noch nicht dort war, wirkt es anziehend. Jedoch, es gibt auch das Glück der Formulierung, die eine ständige Herausforderung ist.

Selbst die Rückschau in die Jugendphase, die dort verbracht wurde („Glück gehabt“, mit Lagerfeld gesprochen), erhebt das Herz aufs Neu, wie - während und nach der Vorstellung in Frankfurt/Main, bei der die künstlerische Leitung des Schlosses mit Matthias Schenk und Beatrice Dastis Schenk im Kino Mal seh'n Rede und Antwort standen - bei einzelnen Anwesenden, die sozusagen extra gekommen waren, festzustellen war.

Es gibt also jetzt eine Film-Dokumentation zu Schloss Freudenberg, die im Kino Mal seh'n zunächst noch einmal zu sehen ist. Als die ursprünglich Kreativen sich 1992 des verfallenen Schlosses, das 1904 errichtet wurde, annahmen, standen sie praktisch vor einer Ruine, deren Fenster vermauert waren und aus der erstmal viele Container an Dreck herausgeholt werden mussten, bevor die Sanierung beginnen konnte. Diese hat es inzwischen sehr weit gebracht. Zuletzt wurde noch das neue Dach mit einer Schafwolle als Dämmung aufgesetzt. Die Quasi-Architektur-Szene mit dem Klavierspiel auf der Terrasse (mit Myriam Hoyer am Klavier) am Ende war die stärkste.

Mit Phänomenen in Begleitung des Bewusstseins spielen und dabei Lernen

Das heißt, was Experimente angeht, beobachten und kausale Beziehungen ergründen, aber sich dabei Zeit dafür schenken. Der Gegenpol wäre: nach dem Lehrerplan eine physikalische Versuchsanordnung aufbauen, bei der nur gezeigt werden soll, was des Lehrers Gesetzesbegriff davon ist, ohne noch Türen offen zu halten.
Daher also unvoreingenommen das Pendel (mit dem möglichen Geisterhandeffekt) und schwerem Stein über Boden nachzuvollziehen und sich einer Gesamtanalyse immer mehr zu nähern (geht womöglich nicht ganz ohne den Bruch eines angebrachten Zweifels). Auch am Beginn der Doku wurde eine Resonanzschwingung von Sand auf Glasplatte gezeigt, die den Sand hüpfen lässt.

Das Schloss war als Liebensschloss erbaut, wurde aber nach zwei Jahren verlassen

Es gibt kaum ein Sujet, ein Handwerk des alltäglichen Lebens (inklusive Arbeiten auf Papier und mit Stoffen), kaum ein Handwerk der Kunst auch, das nicht im Schloss selbst oder in seiner Umgebung regelmäßig zur Aufgabe eines Tags oder mehrerer Tage gemacht werden könnte. Es hängt auch von den Gegebenheiten der Jahreszeiten ab, wann etwa die Arbeit des französischen ‚Holzrückers‘, der mit seinem Kaltblut gefällte Baumstämme aus dem Wald schleifen lässt, zur Mitaufgabe Beteiligter am Schloss werden kann.
 
Die Kunst der Bühne, des Theaters und besonders der Schlagwerke (man denke hierbei an den genialen Martin Grubinger gegenwärtiger Zeit) sind ebenfalls Möglichkeiten der Suche nach dem Sinn - oder auch für zunächst mal gar nix zu sein, also nicht klassisch steif Interesse zu mimen und dagegen erstmal in Beobachtungsstellung zu gehen.

Aus allem noch ‚was anderes‘ machen

Es kommen bei Gelegenheit Thesen auf, nach denen unbewusst gedacht und gehandelt wird: 'man muss sich finden, nichts ist nur Job'. Jobgesteuerte Leute wollten mal „Änderung“. Kinder und Jugendliche, die wohl wichtigste Klientel des Ortes aber kommen unruhig zum Schloss, sind noch abgelenkt, haben vielleicht ihre Autonomie eingebüßt. Nach zehn Jahren Schloss trat daher ein Stadium der Krisensituation ein. Das Schloss aber ist keine Therapie, auch wenn das Baumstämme-Gehen auf Zapfen oder Sinnsuche nach Katharina Schenk darauf hindeuten könnten. Dem Schloss und seinen Erhaltern geht es um die Gebiete einer möglichst anderen Erfahrung.

Hierfür steht auch das ‚Theater zwischen Himmel und Erde‘ der „Theater-AG“ mit ihrer Herkunft aus der Spielstätte Kiew, von der wir lokale Ausschnitte zu sehen bekamen. Es waren Zustände des sich anders Spürens, sich anders Wahrnehmens und sich anders Erkennens, die die ukrainische Schauspielgruppe in Szenen entwickelte.

Schulklassen und Firmen sollen sich entdecken

Draußen ist alles voll von Leben. Was aber brauche ich zum Leben? – Zunächst sollte es heißen: Vertraue Dir! – Gebt Jugendlichen für das Sich-Entdecken die alten Fabrikhäuser und Bruchbuden, bloß nichts Fertiges! Heilung von Kunst und Kultur ist auch ein legitimes Motiv in der Zeit der Neo-Restauration, die ‚Lebland‘ und Feste im großen Park so gar nicht mag, womit wir bei Beuys und seinem Verständnis von direkter Demokratie und Heilung der damals schon verkorksten Umwelt angelangt wären. Er war der Künstlerprophet mit gesetzten Eichen und Stelen. Die Honigpumpe war seit den Siebzigern Sinnbild für das Umwälzwerk der Gesamtnatur, das in Vergessenheit gekommen ist (entgegen Alexander von Humboldt). Geblieben ist uns der blaue Bienenbus und der gelbe Bus, der in Deutschland unterwegs ist, um für direkte Demokratie zu wirken. Ökologie und Bienen, das wurde zur Einheit, in die sich die neue Umweltbewegung gefasst hat.

Wer lieber in Episoden denkt: es findet sich auch das kinder- und jugendlichen-kompatible Tanzen, Singen, Instrumente spielen, der Umgang mit dem Pferd, das Töpfe töpfern und erklingen lassen - in Yoga auf dem Bauch; einen Strudel erzeugen und seine Arbeitsweise mit- und nachvollziehen; Esel reiten, Bahnen bemalen, auch wird ein Spinnentag geboten; die Ameise wird thematisiert, sie ist das nächste Wort nach Mama. Eine Außenszene mit dem Kächer wird gezeigt. Also sind auch die kommenden Naturforscher angesprochen.

Künstler sind das Salz in der Suppe

Reizvoll sind ein paar Einlassungen von Johannes Stüttgen, dem Meisterschüler von Beuys, der von Fall zu Fall auf Schloss Freudenberg aufkreuzt und die Kunst auf den Plan bringt. Künstler sind durch Ausstrahlung per se selbst Gesetz, aber ein ganz anderes als die deduktiv schreitende Jurisdiktion. Einen pädagogischen Besuch stattete auch Andreas Angelidakis ab, der auf der Dokumenta 14 mit Sitzmodulen aus Stoff vertreten war, die Panzer formten, was als Provokation an das Parlament der Körper gedacht war. Auf dem Schloss wurden diese Stoffbausteine in andere Körper und Gegenstände umfunktioniert.

Mit dem Schloss fing alles an, es wirkt jetzt schon so manche Jahre, daher lautet der Aufruf: Hingehen, um ein Teil von dem zu werden, welches ein Ich miterschafft. Es bleibt aber auch Baustelle, wie das Leben eben eine ist.

Das Schloss hat 18 feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, es finanziert sich längst. Maria „Dunkelbar“ und Sebastian, die fest Tätigen, haben geheiratet, gab die Leitung zu Bericht. Seit seiner Neu-Gründung hat das Schloss über zwei Millionen Menschen angezogen. Es wurde zum Lebenswerk der Gründer und der Kreativen.

Es wirkten 8 Kameraleute für den Film, er hat demnach acht Stile, dieser Dokumentarflm über das „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne und des Denkens” im Schloss Freudenberg bei Wiesbaden

Foto:
© Filmperlen

Info:
Der Film ist heute am 8.9.2019 um 14.15 Uhr im Mal Sehn in Frankfurt am Main zu sehen.

Buch/Regie:
Andrzej Klamt
Kamera
Ronald Urbanczyk, Angelina Dalinger, Philip Flämig, Daniel Theo Giesen, Viola Laske, Eduardo Mayorga, Justin Peach, Vita Spieß
Ton
Daniel Theo Giesen, David Rudolph
Tonmischung
Stephan Höfler
Schnitt
Moritz Beneke, Patrick Pardella
Drohnenaufnahmen:
Justin Peach, Seweryn Zelazny
Musik:
Georg Reichelt, John Cage, Ludwig van Beethoven
Klavier:
Myriam Hoyer
URAUFFÜHRUNG:
So. 5. Mai 2019 17.30 Uhr, Caligari Filmbühne, Wiesbaden
KINOSTART:
5. September 2019