f mara3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. September 2019, Teil  15

Redaktion

(Weltexpresso) – Nachdem Maradona ein derart turbulentes Leben geführt hatte, war es für die Filmemacher schwierig, im Schnitt den richtigen Fokus zu finden. Sein Aufstieg vom Straßenjungen zum argentinischen Superstar von Boca Juniors war eine entscheidende Etappe seines Wegs und gleichzeitig eine klassische „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Story. Der Rekordtransfer nach Barcelona und seine stürmische Zeit bei dem katalanischen Superteam boten viel Kontroverse — nicht zuletzt seine berüchtigte Prügelei auf dem Spielfeld, die auch im Film zu sehen ist.

Doch man kam überein, dass sich der Kern seiner Geschichte, zu dem sowohl seine größten Triumphe und sein tiefster Fall gehörten, in seiner Zeit in Italien fand.

„Das Archiv, zu dem wir Zugang bekamen, konzentriert sich auf seine verrückte Phase in Neapel, obwohl wir zeitweise überlegten, seine ganze Geschichte zu zeigen“, so Gay-Rees. „Aber wir hatten so gutes Material zu den Ereignissen in Neapel und wir wollten eine Filmdokumenta- tion drehen, deshalb konzentrierten wir uns weit- gehend auf diese Zeit.“

Zwischen 1984 und 1991 absolvierte Maradona fast 200 Einsätze für Neapel und beförderte so ein Team von ewigen Verlierern, das nie zuvor die Meisterschaft gewonnen hatte, an die Spitze der italienischen Liga. Überdies schleppte er in Mexiko 1986 Argentinien sprichwörtlich zum Weltmeistertitel. Doch neben all diesem Glanz und Gloria gab es eine ganze Reihe von Desastern.

Neapel war eine Stadt der Gewalt, verachtet von den zahlreichen Norditalienern, die auf seine Bewohner mit nahezu rassistischen Vorurteilen herabblickten. Noch nie hatte der Club die Scudetto, die italienische Meisterschaft, gewonnen.

In seiner Zeit in Neapel hatte Maradona seine Affäre mit Cristiana Sinagra, er ließ sich mit dem Verbrechersyndikat der Camorra ein, die viele Aspekte des neapolitanischen Lebens beherrschte. Er geriet in den Sog der Drogensucht. Während der Weltmeisterschaft 1990 wandte sich seine Wahlheimat gegen ihn, als Italien im Halbfinale gegen Argentinien spielte — und das ausgerechnet in Neapel.

„Ich muss James zugestehen, dass er sich immer auf die Zeit in Neapel konzentrieren wollte“, so Kapadia. „Aber ich musste die gesamte Geschichte recherchieren. Ich wollte seinen Aufstieg sehen und wie er bei Boca zum Star wurde. Und warum lief alles in Barcelona schief? Was ist danach passiert? Wo beginnt es und wo hört es auf? Das ist eine riesige Geschichte.“

Laut Kapadia ist für viele Argentinier die Zeit vor Neapel die wahre Story: „Hier geht es um einen erstaunlichen Jungen, von dem alle wussten, wie großartig er war.“ Dann meinten die Italiener: „Nein, nein, das ist Neapel, die erste Meisterschaft.“ Und die anderen sagten: „Nein, die Weltmeisterschaft, die von einem einzigen Spieler gewonnen wurde. Wiederum andere wollten die Zeit in Kuba oder sein aktuelles Leben beleuchten.“

Doch Neapel ist zweifellos das Herzstück der Geschichte. „Hier hat sich alles verdichtet“, so Cutter King. „Das war der Höhepunkt mit den extremsten Momenten der Geschichte und auch der Anfang vom Ende. Alles, was sich danach ab- spielte, war nur eine Fortsetzung dieser Ereignisse.“

Daher war es nicht notwendig, alles zu zeigen, was nach Neapel passierte. „Wir begriffen, dass Depression eine Folge der Sucht sein kann“, so King im Hinblick auf Maradonas Drogenproblem, das während seiner Zeit in Italien begann.

„Bei einer Depression läuft alles in Zyklen ab. Wir haben gesehen, wie es jemand besser ging und wie er dann einen Rückfall erlitt, dann wurde es besser und wieder schlechter. Das genau ist auch mit Maradona passiert. Er bekam einen neuen Auftrag, einen anderen Verein, sein Zustand besserte sich ein bisschen, dann gab es einen Rückfall, er verließ den Club und suchte sich ein neues Engagement.“

Kapadia pflichtet dem bei: „Die Zeit in Neapel entfaltete sich wie ein mikrokosmischer Zyklus aus Triumph und Katastrophe, der fast jede Phase seines Lebens kennzeichnet. Er braucht jemand, den er bekämpfen kann“, so Kapadia. „Egal, wo er hingeht, er findet immer irgend jemand. Trotzdem hielt es ihn sieben Jahre in Neapel — bis sich dann beim großen Halbfinale das ganze Land gegen ihn wandte.“

Die Geschichte der Höhen und Tiefen seines ganzen Lebens hätte ohnehin nicht in eine Spielfilmdokumentation gepasst. „Du musst Schwerpunkte setzen und die Geschichte verdichten“, so Kapadia. „Du kannst nicht alles hineinnehmen.

Ich habe seine gesamte Biografie recherchiert, und für die ganze Geschichte bräuchtest du einen Fünfstundenfilm oder einen Sechsteiler fürs Fernsehen. Aber ich bin ein Filmemacher der alten Schule. Ich mag Kinostarts. Ich mag es, Filme im Vorführsaal mit einem Publikum zu sehen. Für mich ist Diego ein Filmstar so wie auch Amy und Senna. Ich will ihn auf der großen Leinwand erleben. Das war mir wichtig.“

„All diese Filme handelten von Protagonisten, die vorher beim Publikum nicht unbedingt beliebt waren. Aber danach waren die Zuschauer bekehrt“, so Kapadia weiter. „Zuschauer, die weder Fans von Amy oder Senna waren, realisierten, wie interessant diese Charaktere waren. Und Vieles von Diegos Geschichte war großes Kino.“

Das Ende seiner Zeit in Italien spielte sich wie ein Thrillerdrama ab. Hier war ein Mann, der als Held gekommen war. 80.000 Menschen hatten sich damals im Stadion gedrängt, um ihn zu sehen. Als er abreiste, stahl er sich beinah unbemerkt und völlig allein aus dem Land.

„Der Subtext des Films erinnert ein bisschen an Martin Scorseses HEXENKESSEL“, so Kapadia. „Neapel war in den 80ern eine der gefährlichsten Städte Europas, und hier stieß der beste Spieler der Welt zu einem Team, das noch nie etwas gewonnen hatte.“

Doch obwohl Neapel Dreh- und Angelpunkt der Geschichte war, galt es auch Maradonas Leben in Argentinien vor und nach seiner Zeit in Italien zu berücksichtigen. „Die Gesprächspartner waren alle argentinisch“, so der Regisseur. „Seine Ex-Frau lebt in Argentinien, seine Töchter sind auch dort, und hier fand sich auch der Großteil des Materials. Um also die Geschichte von seiner Zeit in Neapel zu erzählen, musst du nach Argentinien.“

Fortsetzung folgt

Foto:
© Verleih

Info:
Hauptfigur: DIEGO ARMANDO MARADONA
mit Interviews von
SALVATORE BIAZZO • CARLOS BILARDO GUILLERMO BLANCO • JAVIER BLANCO BELVISI CLAUDIO BOTTI JIMMY BURNS• ARNALDO CAPEZZUTO • SALVATORE CARMANDO ANDREA CARNEVALE MIMMO CARRATELLI GABRIELA COCIFFI • GUILLERMO COPPOLA OSVALDO DALLA BUONA ARNALDO DELEHAYE FRANCO ESPOSITO • EGLIS GIOVANELLI • JUAN CARLOS LABURU
DR. NESTOR LENTINI • ANA ESTELA MARADONA • CLAUDIA MARADONA (CALI)
ELSA LUCIA MARADONA (LILI) • JANA MARADONA RITA MABEL MARADONA (KITTY) GABRIELE MARCOTTI PIERPAOLO MARINO • FRANCESCO MAROLDA CÉSAR LUIS MENOTTI LUCIANO MOGGI EZEQUIEL FERNÁNDEZ MOORES • MARCELA MORA Y ARAUJO
GIANNI MURA JULIO OLARTICOECHEA • OSCAR NICOLAUS ALICIA DUJOVNE ORTIZ • ADRIÁN PAENZA CECILIA PAGNI • PAOLO PAOLETTI • ANGELO ROSSI • ANGELO RUSSO RUSSELLI • ISAIA SALES NICOLA SPINOSA • ENRICO TUCCILLO • TIM VICKERY • LEANDRO ZANONI • ENRIQUE MOLTONI

Abdruck aus dem Presseheft