f madchSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. September 2019, Teil 11

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das hatten wir doch schon. Ein sommerliches Flirren an der Côte d‘Azur, ja in Cannes, wo sich die Schönen und die Reichen, die oft häßlich sind, paaren, im buchstäblichen Sinne. Wie Regisseurin Rebecca Zlotowski in den Vorartikeln äußert, hat sie viele filmischen Vorlagen, denen sie mit ihrem Film eine weitere so heitere, wie nachdenkliche Volte gibt.

Morgen gibt es Sommerferien. Heute ist noch Schule für Naïma und heute ist ihr Geburtstag. Sechzehn Jahre wird sie. Ein Alter, wo aus dem Kind schon längst das junge Mädchen geworden ist, das sich ausstreckt nach dem Nächsten: der jungen Frau. Eine solche auf jeden Fall ist ihre Cousine Sofia, die behauptet, 22 Jahre zu sein und aus Paris, aus der Hauptstadt!, nach Cannes gekommen ist. Auch keine Strafe, denn hier ist was los, denn im Juli und August ist diese Gegend die Hauptstadt des Jet Set, wie es früher hieß, auf jeden Fall der Schönen und Reichen, wie oben gesagt. Die Reichen sind die Männer, die Schönen die meist mittellosen Frauen. Die jung sein müssen. Das schon.

Wir glauben der Regisseurin, daß sie etwas anderes erzählen wollte. Daß es nicht darum geht, daß sich arme Mädchen reichen Männern an den Hals werfen, um auch etwas vom Finanzkuchen abzubekommen, eine Handtasche oder sonst was. Und auch nicht darum, daß reiche alte Männer mit ihrem Reichtum protzen, um junge Mädchen anzuziehen und damit zu verführen, wenn es denn schon die eigene Person nicht (mehr) kann.

Wir blenden also den Alltag und die Wahrscheinlichkeit aus und bleiben im Inneren der beiden Mädchen. Wie sie sich und diese Welt erleben. Sofia weiß, wie sie am Strand von Cannes entlangstöckeln muß, damit sie auffällt, wenn es alleine das sehr kleine Schwarze – oben nichts, unten nichts – nicht tut. Und auf sie reagiert auch gleich Andres, der mit seiner Yacht gerade im Hafen anlegen wird. Er ist frauenerfahren, mehr als gut situiert, ein Herr mit Vergangenheit, sein Assistent Philippe assistiert. Andres ist es, der als Erster die Metapher in den Mund nimmt, daß man nur angesichts von Armut überhaupt den Reichtum, auch seinen eigenen, spüre.

Die Sache kommt in Gang. Die Sache ist die Kombination und das Übereckspringen, das drei Ungleichheiten, bzw. drei Differenzen hervorbringen. Männer und Frauen. Reichtum und Armut. Alter und Jugend. Also als Konsequenz: Wie eine junge Frau aus der unteren Klasse an der oberen partizipieren kann. Und es kommt ein Viertes hinzu: beide jungen Frauen, das heißt, ihre Familien kommen aus Algerien, das, was heute Migrationshintergrund heißt, kommt also hinzu. Für Sofia ist die Sache klar. Sie möchte gerne die Begleitung eines reichen alten Mannes sein, das, was heute Escort heißt und doch eigentlich Prostitution bedeutet.

Naïma dagegen ist erst mal neugierig. Ihre Mutter arbeitet in solche einer Luxusbehausung. Sie putzt. Und für Naïma bedeutet es schon mal sehr viel, wenn sie dort eine Ausbildung als Köchin machen könnte. Das nur mal, um die gesellschaftliche Fallhöhe anzudeuten, um die es eigentlich geht.

Das also ist die Personenkonstellation, die aber hintersinnig ist. Wir haben uns gefragt, ob es zulässig ist, das Vorleben von Schauspielerinnen mit zum Thema einer Filmbesprechung zu machen. Hier aber ist es derart eine Rollensymbiose, das das Einlassen auf die Vorgeschichte richtig ist. In Deutschland wurde vor Jahren ausführlich über den Prozeß berichtet, in dem sich der französische Spieler von Bayern München, Franck Ribéry, wegen Geschlechtsverkehrs mit Minderjährigen in Paris verantworten mußte. Das junge Ding, um das es ging, war Zahia Dehar, die noch in Algerien geboren wurde und mit zehn Jahren in die Vorstädte von Paris kommt. Mit 16 Jahren ist sie schon auf dem Bezahlsteg unterwegs, eben das, was heute verschleiernd Escort genannt wird. Übrigens war weiters einer ihrer Kunden, denn um es noch einmal klar zu sagen, es ist und bleibt Prostitution, ein in Frankreich viel bekannterer Fußballspieler: Karim Benzema.

Die Schauspielerin und die Regisseurin legen Wert darauf, den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Film aufzuzeigen. Denn Zahia Dehar konnte gelingen, was sehr selten ist, nämlich sich aus einem öffentlichen Opfer als damals Minderjährige und gleichzeitig als für Sex bezahlbare Frau zu einer eigenständigen Person zu entwickeln, die anfing, als Model für bekannte Fotografen zu arbeiten und später sogar zur Muse von Karl Lagerfeld wurde. Daß sie ihre Popularität unmittelbar als Vegetarierin für die Tierschutzorganisation PETA nutzt, macht sie uns sympathisch. Es ist ihre erste Filmrolle, die deshalb hinhaut, weil sie ihre damalige gesellschaftliche Rolle gekonnt in den Film einbaut. Sie bleibt schillernd und so am Dabeisein orientiert wie am Vom Kuchen etwas abhaben zu wollen.

Der Sommer wird schnell vorbei gehen und was im Einzelnen passiert, wissen die Zuschauer. Mit dem Titel EIN LEICHTES MÄDCHEN macht es uns die Übersetzung nicht leicht. Denn dieses Mädchen ist, wenn das ‚leicht‘ auch fast liebevoll im Vergleich zu Escort und Prostitution klingt, doch eine, die den einen und den anderen ‚benutzt‘ oder sich benutzen läßt, nicht wählerisch und auf Eroberung aus. Der Originaltitel jedoch spricht vom EINFACHEN MÄDCHEN. Damit wäre dann auf jeden Fall Naïma gemeint. Und so lassen wir es dabei, daß der Sommer vorübergeht und sich später zwei ältere Frauen an ihren gemeinsamen Sommer erinnern. Denn das, was danach kommt, wird das Wichtige sein.

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Info:
EIN LEICHTES MÄDCHEN OT: Une fille facile
Ein Film von Rebecca Zlotowski Mit Mina Farid, Zahia Dehar, Benoît Magimel, Nuno Lopes u.v.a.
Frankreich 2019 / ca. 92 Min.