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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2019 10 09 um 19.11.54Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. /10. Oktober 2019, Teil 2

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Der Sommer 1989 war für mich ein ganz besonderer. Denn ich verbrachte mit meiner Familie die Ferien in der Sowjetunion, im Kaukasus. Wanderungen in einer absolut beeindruckenden Gebirgsregion. Höhepunkt war der Flug mit einem alten Doppeldecker, einer AN 2, zum 5.600 Meter hohen Elbrus. Voller Eindrücke kehrten wir von unserem Abenteuerurlaub zurück. Doch keiner wollte unseren Reisebericht hören. Denn das wirkliche atemberaubende Abenteuer fand inzwischen ganz woanders statt: Ungarn hatte die Grenze nach Österreich geöffnet! Ausnahmsweise hatten die Daheimgebliebenen die besseren Geschichten zu erzählen: Ungarn, der Westen im Osten, ließ tausende DDR-Bürger ziehen. FRITZI – EINE WENDEWUNDERGESCHICHTE ist vielleicht der persönlichste Film, den ich in meinen über 30 Berufsjahren mit auf den Weg gebracht habe. Dieser Film behandelt jenes Jahr, das auch mein Leben völlig veränderte und eine DDR-typisch auf Jahrzehnte vorgezeichnete berufliche Laufbahn aufbrach. Mein Trickfilm-Diplom von der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg hatte ich gerade zwei Jahre in der Tasche. Im DEFA-Studio für Trickfilme konnte ich animieren. Eigentlich mein Traum von Kindesbeinen an.

Doch die Regisseure, für die meine ehemaligen Kommilitonen und ich zeichneten, waren im Alter unserer Eltern und Großeltern. Ich wollte aber meine Geschichten erzählen. Meine eigene Handschrift finden. Nachdem die Mauer im November ’89 fiel, fiel auch die DEFA. Zusammen mit 250 Kollegen wurde ich entlassen und hatte schneller und ganz anders als gedacht die von mir ersehnte Freiheit. Die Ereignisse auf der Straße im Herbst 89 ließen die Drohgebärde des Staates und seines Sicherheitsdienstes schnell in sich zusammenbrechen. Dass es friedliche Demonstranten vermochten, einen Staat zum Einlenken zu bewegen, erfuhr ich selbst am Montag, dem 9. Oktober, jenem legendären Datum, das in die Geschichte als Tag der Wende eingehen sollte. In vier Dresdner Kirchen wurden die Forderungen der Demonstranten verlesen. Doch die Kirchen konnten dem Andrang nicht standhalten

Auf dem Dresdner Altmarkt vor der Kreuzkirche stand ich damals mit Zehntausenden und lauschte den durch Lautsprechern vor den Kirchen übertragenen Botschaften ... Es war ein historischer Moment, den ich damals als solchen überhaupt nicht begriff. Noch heute fällt es mir schwer, diesen Moment mit Worten zu beschreiben. Vielleicht auch deshalb, weil mein Medium das (Film)Bild ist.

Als ich das kleine Kinderbuch über Fritzis Erlebnisse vor inzwischen zehn Jahren das erste Mal in der Hand hielt, begriff ich sofort, hier war der Autorin Hanna Schott ein großer Wurf gelungen. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheinen mag, hat es mit mir und meinen eigenen Erlebnissen im Sommer und Herbst 1989 unglaublich viel zu tun. Besser als in diesem Buch beschrieben, hatte ich diese besondere 1989er Stimmung für Kinder aufbereitet noch nirgends gelesen. Doch ich wurde eines besseren belehrt, als Beate Völcker ein Drehbuch entwarf, dass geschickt die Kinderbuchvorlage in eine filmische Sprache übersetzte. Nunmehr eingebettet in eine Coming-of-AgeGeschichte, werden Fritzi, ihr Freund Bela und der Hund Sputnik die Kinder begeistern. Konsequenterweise ist der geschichtliche Horizont um weitere Elemente, wie Flucht und Gefängnis beispielsweise, erweitert worden.

Fritzi, unsere Heldin, ist absolut typisch für eine Heranwachsende in der DDR. Eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Leben und ihrem tollen Baumhaus (einem Rückzugsort, der exemplarisch für die Parallelwelten in der DDR stehen könnte) spürt sie das Unrecht zunächst nur, bevor sie es wirklich begreifen kann.

Im „Mikrokosmos Schulklasse“ verläuft dieselbe Entwicklung im Kleinen wie jene im Großen auf der Straße. Unser Film ist zwar ein Drama, aber trotz der historischen Tragweite eines mit Humor. Nicht auf den ersten Blick, sondern subtiler. So wie der Witz auf den vielen originellen Protestplakaten damals. Nie wieder habe ich in meinem Leben eine gelöstere, fröhlichere Atmosphäre erfahren dürfen wie auf jenen Demos. Gerade heute muss ich oft daran zurückdenken, wenn ich die zunehmende Gewalt und Intoleranz in ganz Europa erlebe. Insofern ist FRITZI – EINE WENDEWUNDERGESCHICHTE kein ausschließlich historischer Film. Vielmehr ein Film, der eine Brücke schlägt zwischen den Ereignissen der Vergangenheit und der Gegenwart.

Was ich erleben durfte, waren erhabene Momente, eine Leichtigkeit, eine offene Gesellschaft für einen Moment, der Zukunft mit Zuversicht und Optimismus zugewandt. Ein Hauch von Utopie und das Glück, einmal für wenige Wochen die Freundlichkeit, Begeisterungsfähigkeit und Zugewandtheit fremder Menschen erleben zu dürfen. Darum darf unser Film auch mit Pathos enden. Die Sonne ging damals im Osten auf. Sie liefert das passende Morgenlicht, wenn sich Fritzi und Sophie, unsere Heldinnen, am Ende unseres Films vor den jubelnden Massen in die Arme fallen. Wer damals dabei war weiß, es ist die schiere Untertreibung.


ÜBER DIE REGISSEURE

Im Film ist es Fritzis großes Ziel, ihre Freundin Sophie, die nun im Westen lebt, und deren Hund Sputnik, der bei ihr im Osten geblieben ist, wieder zu vereinen. Da passt es natürlich wunderbar, dass für die Regie dieses außergewöhnlichen Animationsfi lms mit Matthias Bruhn und Ralf Kukula ebenfalls ein „Wessi“ und ein „Ossi“ zusammengefunden haben. Beide sind im Jahr 1962 in Bielefeld bzw. Dresden geboren und wuchsen so in zwei verschiedenen deutschen Staaten auf. Ihre gemeinsame Regie ist also – wenn auch nicht aus diesem Grund zustande gekommen – symbolisch für ein gesamtdeut sches Filmprojekt.

Foto:
© Verleih

Info:
Fritzi - Eine Wendewundergeschichte (Deutschland, Luxemburg, Belgien, Tschechien 2019)
Filmlänge: 86 Minuten
Regie: Ralf Kukula, Matthias Bruhn
Drehbuch: Beate Völcker, Péter Palátsik
Verleih: Weltkino Filmverleih GmbH

Abdruck aus dem Presseheft