f malerin0Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 31. Oktober 2019, Teil 11

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Héloïses Gesicht ist zu Beginn zu einer Maske erstarrt, nichts dringt nach außen. Im Verlauf der Geschichte öffnet sich ihr Gesicht, dank Marianne. Wie haben Sie sich das Konzept Ihrer Figur erarbeitet? Gehen Sie sehr theoretisch an eine Figur heran oder geschieht es mehr „aus dem Bauch“ heraus?

Ich wollte, dass es so ist. Es stand so nicht im Drehbuch, aber ich dachte, dass es richtig und stimmig wäre, wenn ich mich so verhielte, sowohl was das Künstlerische als auch das Politische anbetrifft.

Zunächst einmal wollte ich eine Figur erschaffen (Héloïse), deren Form durch den Blick einer anderen Figur bestimmt wird (in diesem Fall Marianne). Ich fand es ungeheuer aufregend, einen Weg zu finden – oder sagen wir mal: zu suchen -, der wie eine innere Kamerafahrt ist. Bei einer Kamerafahrt bewegt sich die Kamera, wenn sie sich also beispielsweise auf mich zubewegt, verändert sich die Perspektive. Das ist eigentlich Aufgabe der Inszenierung nicht der Schauspielerei. Aber ich wollte diese Wirkung erzielen, indem ich mit einer sehr kalten und zurückhaltenden Form der Darstellung beginne und diese langsam übergehen lasse in ein spontaneres, wärmeres, emotionaleres Schauspiel.

Für mich ging es darum, ein Gefühl des Näherkommens, sich Verliebens zu evozieren. In gewisser Weise ist Héloïse ein Objekt, das dadurch entsteht, wie sich der Blick von Marianne auf sie verändert. Und ich denke, ein Schlüssel zu Héloïse ist, dass sie als Subjekt lebt, wo doch die ganze Welt sie als Objekt betrachtet. Das ist auch auf politischer Ebene relevant: Héloïse steht dafür, wie man als Frau darauf reagieren kann, dass Frauen in einer patriarchalischen Welt als Objekte angesehen werden: „Ihr könnt mich als Objekt haben, aber ihr werdet niemals in die Nähe meiner Seele kommen.“ Das ist eine Form des Widerstands.


Wie wichtig war historische Akkuratesse? Es ist zwar ein historischer Film, doch wirkt er, mit Verlaub, wie eine sehr moderne Liebesgeschichte.

Man geht wie selbstverständlich davon aus, dass weibliche Künstler nach der Französischen Revolution mehr Freiheiten genossen. Dabei ist es anders: Man stand ihnen davor aufgeschlossener gegenüber. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Evolution nicht immer automatisch mehr Freiheit und Verbesserung bedeutet. Auf diese Weise auf Geschichte zu blicken, ist ein Weg, uns Frauen in die Schranken zu weisen. Es ist ein Werkzeug des patriarchalischen Systems, um den feministischen Kampf in der Gegenwart zu diskreditieren. Rein schauspielerisch bedeutete es, sich von der Gegenwart zu entfernen, um größere Fantasie entwickeln zu können. Für mich selbst war es mehr so, als würde ich in einem galaktischen Raumschiff spielen als in einem Historienfilm. Aber das liegt daran, dass ich zu Beginn des Films ein Cape trug. Dadurch fühlte ich mich galaktisch.


In PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN spielt der Blick, der weibliche Blick, eine große Rolle. Es geht um den Blick des Künstlers auf seine Muse, aber auch um den Blick der Muse auf die Künstlerin. Wie sehr war das Thema beim Dreh? Wie konnten Sie sich das mit Noémie erarbeiten?

Wir arbeiteten, als würden wir diese philosophischen Fragen in einem Boxring untereinander austragen. 


Es ist ein Liebesfilm, es geht um das „Sich-Verlieben“. Doch die Liebe kommt hier nicht wie ein Blitz vom Himmel, es ist eine langsame, aber ganz natürlich Annäherung. Was macht für Sie einen großen Liebesfilm aus?

Es geht um unser Verhältnis zu Schönheit und zur Kunst, etwas, dass man weder wahrnehmen noch benennen kann. Bevor es an Schärfe verliert, geben wir ihm Namen. Liebe ist der Name für das feinste wahrnehmbare Objekt auf der Suche nach Schönheit. Ich finde es interessant, diese Reise zu machen und sich nicht dieser Frage zu entziehen, indem man sagt: Liebe auf den ersten Blick. Bei Liebe auf den ersten Blick geht es um Fatalismus und Selbstaufgabe. Bei einer sich langsam entflammenden Liebe, wie in PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN, geht es mehr darum, wie wir als Menschen das Senkrechte und Waagerechte in Einklang bringen, Endlichkeit und Unendlichkeit.


Was ist für Sie das Geheimnis des Films?

Das Geheimnis in PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN ist die Zahl 28.


Es ist ein ungemein präziser Film. Wie viel Freiheiten hatten Sie als Schauspieler überhaupt? Oder bestimmte die Regisseurin alles? Der Film wirkt bis ins Detail durchdacht, extrem akkurat.

Das klingt fast lustig, wenn man bedenkt, dass Sie vorher eine Frage über das Sehen und Gesehenwerden gestellt haben. Als könnte man einen Film über Zusammenarbeit machen, ohne dieses Prinzip auch beim Dreh zu verfolgen und Céline das einzige Auge sein zu lassen. So arbeite ich nicht, und Céline arbeitet auch nicht so. Gerade weil sie eine ganz genaue Vorstellung von ihrer Kunst hat, lässt sie uns, ihre Schauspielerinnen, unserer eigenen Eingebung folgen, unsere eigene Fantasie entwickeln. Mit Céline ist es immer eine Zusammenarbeit. Das entstammt nicht alles nur ihrer Vision. Wir Schauspielerinnen tragen genauso viel Verantwortung.


Wie erleben Sie die französische Filmindustrie? Wäre ein Film wie PORTRÄT EINER JUNGEN FRAU IN FLAMMEN auf diese Weise vor 10 oder 15 Jahren möglich gewesen?

Wenn die Frage ist: Ist das französische Kino heute Frauen gegenüber aufgeschlossener? Dann ist meine Antwort: Als Frauen können wir niemals in unserem Leben nicht kämpfen. Die Frage ist also nicht: Müssen wir kämpfen? Sondern: Wie kämpfen wir? Und ich sage, dass wir während dieses Kampfes lebendig sein müssen, das Leben in vollen Zügen wahrnehmen. Und das trifft ja auch zu, denn Feminismus ist eine freudvolle Revolution, es ist erfüllend, sich der Entfremdung zu entledigen. Das ist entscheidend, denn es sieht so aus, als müssten wir unser ganzes Leben lang kämpfen.

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© Verleih

Info:
Ein Film von Céline Sciamma Mit Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami, Valeria Golino

Nachdruck aus dem Presseheft