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Kategorie: Film & Fernsehen
LARA 004Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. November 2019, Teil 17

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - Eine Frau erwacht langsam in der Morgendämmerung, steht kraftlos auf, öffnet weit das Fenster, krabbelt auf einen Stuhl, stellt sich mit ausgebreiten Armen vor die Öffnung. Als man denkt, „gleich springt sie“, klingelt es an der Tür. Polizisten bitten sie, einer Durchsuchung im Haus als Zeugin beizuwohnen, später gratulieren sie zum 60. Geburtstag, als sie ihren Ausweis zeigt. Ein seltsamer Beginn für diesen melancholischen Herbstfilm, der ohne Rückblenden nur einen Tag im Leben Laras (Corinna Harfouch) zeigt.

Wie in seinem Debütwerk „Oh Boy“, präsentiert Regisseur Jan-Ole Gerster sieben Jahre später in seinem erst zweiten Werk, ebenfalls nur einen Tag in Berlin im Leben seiner Protagonistin. Laras Sohn Victor ist Tom Schilling, der im Erstling des Filmemachers den „Boy“ darstellte. Am Geburtstag seiner Mutter wird er sein erstes großes Konzert als Pianist und Komponist geben. Die allein lebende, vor kurzem in Pension gegangene Lara, hebt alle Ersparnisse von der Bank ab und kauft die Restkarten für die Musikaufführung. Beim Verteilen der Karten an Freunde, Bekannte oder Ex-Kollegen tauchen wir in ihr Universum ein und spüren ihre Verletzung, ihren Neid. Gerne wäre die offenbar hochbegabte Frau selbst eine große Pianistin geworden, stattdessen wurde sie Verwaltungsbeamtin und trieb den Sohn zur Erfüllung ihrer eigenen Lebensträume.

Corinna Harfouch spielt die Mutter ganz undramatisch, gleichsam mit zurückgehaltener Energie, aber beträchtlicher Glaubwürdigkeit: Sie ist bösartig und doch fürsorglich, sarkastisch und doch einfühlsam, arrogant aber verunsichert. Ihre mit langen Einstellungen erzählte, melancholische Geschichte ist spannend, oft weiß man nicht, wie entscheidet Lara sich gleich, was passiert als nächstes?

Wie unter einem Mikroskop werden ihre Beziehungen in der zerfallenen Familie, bei der Arbeit und in ihrem Umfeld bloßgelegt. Man fragt sich, ist sie in einem falsch gelebten Leben gefangen? Verbirgt sich hinter der geheimnisvollen, andere mächtig manipulierenden Frau ein riesiger Schmerz? Ob Lara mögliche Entscheidungen in ihrem Leben bereut, bleibt am Ende des Films offen, beschäftigt uns Zuschauende aber hinterher noch länger. Tom Schilling spielt überzeugend, muss dabei aber natürlich im Schatten seiner Mutter stehen.

Der Regisseur beschäftigte sich bereits eine Zeitlang mit der Romanvorlage, ein fertiges Drehbuch (von Blaz Kutin) lag bereit. Gerster machte die mögliche Verfilmung von der Zusage Harfouchs abhängig, die prompt erfolgte: „Schon beim ersten Lesen hatte ich nur Corinna Harfouch vor Augen und konnte mir auch bis zuletzt niemanden sonst für diese Rolle vorstellen.“

Die Zusammenarbeit mit ihr lobt er begeistert: „In meinen Augen ist sie die größte Schauspielerin die wir haben.“ Wie Hannelore Elsner, Iris Berben und andere älter gewordene Darstellerinnen, schafft auch die 65-jährige Harfouch, übrigens nicht zum ersten Mal, eine älter gewordene Frau mit Würde und Anmut zu spielen. „Frauen eines gewissen Alters sind selten in Hauptrollen zu sehen und im Kino sträflich unterrepräsentiert. Dabei geht von ihnen oft eine ganz besondere Klugheit, Stärke und Empathie-Fähigkeit aus“, meint der Regisseur. Seine Annäherung an die Schauspielerin mit „Offenheit und Neugierde“ (wie er selbst sagt), hat sich gelohnt: Der Film ist ein Glück für das Kino und gewann bereits einige Preise vor dem offiziellen Start.

Foto:
Verleih Studiocanal

Info:
„Lara“, D 2019, 98 Minuten, Filmstart 7. November
Regie Jan-Ole Gerster mit Corinna Harfouch, Tom Schilling, Johann von Bülow u.a.