Bildschirmfoto 2019 11 19 um 22.52.24Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. November 2019, Teil 25

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn die Leute wüßten, wie witzig, wie subversiv, wie kämpferisch, wie einfach lustig dieser Film ist, sie würden scharenweise ins Kino laufen, um GOTT EXISTIERT, IHR NAME IST PETRUNYA anzusehen. Und warum dieser Film genauso kraftvoll, ja anarchisch feministisch geworden ist, das konnte man am 2. November im Kino des Deutschen Filmmuseums an den Macherinnen Teona Strugar Mitevska, Zorica Nusheva  und Labina Mitevska miterleben.

Als nach vielen Stunden – erst der Film, dann eine lebhafte und lange Diskussion – die Zuschauer nach Hause gingen, konnte man das Lächeln auf ihren Gesichtern noch sehen, auch die Zuversicht, gestärkt nach Hause zu gehen. Dabei gibt es ja in Deutschland gar nicht solche Verhältnisse, wie in dieser kleinen Stadt in Mazedonien, heute Nord-Mazedonien. Hier sind ja die Frauen viel gleichberechtigter, denkt man. Ja und Nein, denn, wenn man allein an die Journalistin Slavica im Film denkt, die in Person von Labina Mitevska im Kino anwesend war, und die im Film bei den Fernsehübertragungen am Schluß in einer Deutlichkeit den Zuschauern von den Abhängigkeiten ihrer Reportagen von den dummen Chefs, die die Luschen befördern und gute Frauen entlassen,erzählt, so muß man deutlich sagen, daß im Deutschen Fernsehen so etwas noch nie zu hören war. Und trotzdem auch stattfindet.

Das soll nur die Tendenz andeuten, daß selbstverständlich die angesprochenen Fragen im Film, im wirklichen Leben in Mazedonien und in Deutschland strukturell die selben sind, wenn es um Männer und Frauen und Macht und Ohnmacht geht. Aber eben auch, wieviel sich gerade ändert und auch das zeigt der Film. Erst einmal hatte die Regisseurin Teona Strugar Mitevska das Sagen und gab Auskunft, wie es überhaupt zu diesem Film gekommen ist. Was so phantastisch scheint, daß nämlich die Film-Petrunya – die mit Zorica Nusheva anwesend war – flugs im Winter am Dreikönigstag in den Fluß springt, um das vom Patriarch hineingeworfene Kreuz herauszuholen, weil sie dann ein ganzes Jahr glücklich wird, tatsächlich passiert ist.

Und auch die Folgen waren erst einmal ähnlich, nämlich die Empörung der Öffentlichkeit, was sich solch junges Ding, eine Frau, denkt, daß sie da einfach ins Wasser springt, das Kreuz erwischt und dann auch noch behalten will. Die Regisseurin hatte das gelesen, hat recherchiert, weiß das die Betroffene die Folgen nicht so reflektiert hat – und außerdem das Land verlassen hat und heute in London lebt. Das überraschte alle. Der Film dagegen findet ja eine Lösung, aber viel wichtiger sind die Versuche, den Konflikt zu lösen. Aber vor einer Lösung müssen erst einmal die Konflikte auf den Tisch.

Und da gibt es viel mehr, als das, was wir einmal als Hauptkonflikt um das Kreuz bezeichnen wollen. Man kann viel kleiner anfangen. Das wird nach den erläuternden Worten der drei Frauen, Regisseurin Teona Strugar Mitevska, Zorica Nusheva, als Hauptfigur  und Labina Mitevska, die neben ihrer Rolle auch die Produzentin des Films ist und im Gespräch zunehmend die analytische Rolle übernahm. Dieser Film ist nämlich auch einer über die hemmende Wirkung von Familien, zumindest der von Petrunya, die aber keine Ausnahme darstellt.

Sie wird nur durch den Vater bestätigt und liebgehabt und was zuerst als Fürsorge der Mutter erscheint, wenn sie die im Tiefschlaf liegende Tochter zum Vorstellungsgespräch scheucht, sie also unbarmherzig weckt und weckt und weckt, dann wissen wir sehr viel später, daß sie ihre Tochter unentwegt als Versagerin bezeichnet, sie zwar vordergründig aufbaut, aber hintergründig abbaut. Das durchzieht den Film und zeigt die double bind Beziehung, die die Mutter aufbaut. Sie richtet den ganzen Film über doppelte, ja gegensätzliche Botschaften an die Tochter. Bei solchem paradoxen Verhalten, muß Petrunya entweder selber verrückt werden oder sich gegen die Mutter wehren. Was sie tut. Warum sich die Mutter so verhält, ob sie eifersüchtig ist, auch wenn sie das selbst nicht weiß, ist eine Möglichkeit. Ganz anders das Verhältnis zum Vater. Der hat sie einfach nur lieb.

Diese Hinweise der drei Frauen sind für das Verständnis des Films wichtig, denn er ist eben kein platter Film, sondern einer, der die menschlichen Beziehungen uns Zuschauern sinnlich erfahren läßt. Das macht den Film reich. Und daß die Figuren sich nicht holzschnittartig verhalten, sondern wie beispielsweise der Chef der Polizei sehr ambivalente Reaktionen zeigen, meist gegen die junge Frau gerichtet, aber eben nicht immer, dann auf einmal zugewandt und stabil gegen die öffentliche Meinung, die Petrunya ‚schlachten‘ will, das zeigt, daß die Absicht der Frauen, Schablonen zu vermeiden, den Klischees aus dem Weg zu gehen, aufgegangen ist. Je mehr man darüber nachdenkt, desto stärker wird der Eindruck, wie durchdacht das alles ist.

Ein besonders Gewicht haben im Film die Dialoge, die nicht nur der Verständigung dienen, sondern auch der Absicherung der eigenen Position, was mal in der Sprachwissenschaft restringierter Code genannt wurde, im Gegensatz zum elaborierten Code, der auf einer Sachebene Wissen transportiert. Diese Dialoge sind an vielen Stellen ziseliert, haben inhaltlich und sprachlich ihre Funktion, sind aber eben auch gewitzt und für den Zuschauer immer wieder so überraschend, daß lautes Lachen ihnen folgt.

Eröffnet wurde die Diskussion durch die zwei Frauen, die Petrunya in die deutschen Kinos bringen. Julia I. Peters und Jutta Feit hatten im August 2017 den Verleih jip gegründet, der genau solche ungewöhnlichen Filme in die Kinos bringt. Ein großer Verdienst, aber auch ein großer Spaß, ja eine Genugtuung, mit solchen Frauen wie der Darstellerin Zorica Nusheva und den beiden Schwestern Mitesvska zusammenarbeiten zu können.

So ging es den Zuhörern auch, die zudem nicht schlechte staunten, wie dieser Film, der in Mazedonien ein großes Publikum fand, die Wirklichkeit verändert. Denn im Jahr drauf ist dieser Brauch mit dem Kreuz, das ins Wasser geworfen und gefunden wird, in Serbien ähnlich verlaufen. Eine Frau war die Schnellste und ergriff es, war Siegerin und durfte es selbstverständlich behalten. Es geht langsam voran, aber doch voran.


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© Verleih

Info:
GOTT EXISTIERT, IHR NAME IST PETRUNYA (OT Gospod postoi, imeto i' e Petrunija)
Mazedonien / Frankreich / Belgien / Slowenien / Kroatien 2019
Laufzeit: 100 Minuten / D / 2019 / DCP / 16:9 Farbe
Kinostart: 14. November 2019

Darsteller
Petrunya: Zorica Nusheva
Journalistin Slavica: Labina Mitevska
Chefinspektor Milan: Simeon Moni Damevski
Priester: Suad Begovski
Junger Offizier: Stefan Vujisic
Mutter Vaska: Violeta Shapkovska
Kameramann: Xhevdet Jashari

Regie: Teona Strugar Mitevska
Drehbuch: Elma Tataragić & Teona Strugar Mitevska

Abdruck aus dem Presseheft