Bildschirmfoto 2020 01 03 um 04.51.19Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Januar 2020, Teil 12

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man glaubt es nicht, wenn man noch ahnungslos diesen Film anschaut, der leider in viel zu wenigen Kinos zu sehen ist, weshalb wir gleich sagen wollen: Trauen Sie sich, schauen Sie sich die Kindertage dieses Mädchens, die die Schafe hütet und zur französischen Nationalheldin wurde, an und staunen sie über die Leichtigkeit, über die Phantasie, über die Lebensfreude, die Skurrilität, die sie gefangennimmt und einfach gute Laune macht.

Das liegt sicher daran, daß die eigenen Erwartungen an die Jugend der Jeanne d‘Arc von ihrem späteren Schicksal im eigenen Kopf schon vorbedacht sind und einfach traurig machen. Aber in welcher Weise Regisseur Bruno Dumont ein umwerfendes Mädchen auf die Leinwand bringt, das hat Voraussetzungen, die bei uns weniger bekannt sind. Fast alle französischen Schriftsteller haben in der einen oder anderen Weise sich mit der von der Kirche verfolgten, später heiliggesprochenen Jeanne auseinandergesetzt. So auch Charles Péguy, der vor dem Ersten Weltkrieg einer der wichtigsten französischen Intellektuellen war und in DAS MYSTERIUM DER ERBARMUNG über die Jugend der Jeanette schrieb.

Allerdings ist es die Kunst des Regisseurs, daß er zwar die Anlage des Stückes in vielen Punkten übernimmt, auf die wir noch zu sprechen kommen, aber aus den endlosen Rededialogen etwas ganz anderes macht, was vom Verleih als Musical bezeichnet wurde. So weit würden wir nicht gehen, weil wir den Film für viel aufregender halten, als sonstige Musicals. Aber damit ist angesprochen, daß diese Jeanette einfach singt – und nicht nur das. Sie tanzt auch, nicht einfach etwas Klassisches, sondern legt einen Ausdruckstanz in den Sand der kargen, wüsten Gegend, daß wir aus dem Staunen nicht herauskommen.

Von vorne. Wir erleben ein furchtloses junges Ding (Lise Leplat Prudhomme), das mit der Welt der Erwachsenen nicht zufrieden ist und dafür deutliche Worte findet. Wem bei diesen Szenen nicht Greta Thunberg in den Sinn kommt, dem ist nicht zu helfen. Sie ist allerdings nicht das Vorbild, schließlich erfolgte die Produktion dieses Films schon vor Jahren und JEANETTE kommt erst jetzt zusammen mit dem danach gedrehten Film über die erwachsene Jeanne in deutsche Kinos. Und natürlich ahmt Greta Thunberg auch die Filmjeanette nicht nach, sondern beide sind wiederum Beispiele für ein ausgeprägtes anarchisches Element, das bei Mädchen und jungen Frauen einfach immer wieder zu finden ist. Stärker als bei Jungen. Und wenn wir jetzt noch von Pipi Langstrumpf sprechen, soll das nicht despektierlich sein, sondern nur den Wesenszug solcher Mädchen verdeutlichen.

Diese achtjährige Jeanette macht sich so ihre Gedanken über die Welt, über das Leben, über den Vater, immer wieder spielt der Vater eine zentrale Rolle. Ja, Vatertöchter nennt man in der Vulgärpsychologie solche Mädchen, die aus Vaterliebe oder Vaterkonflikten ihre Stärken ziehen. Und solche Mädchen haben auch beste Freundinnen, zumindest, so lange es geht und diese der Mut nicht verläßt und sie sich wieder einordnen in ihre abhängigen Rollen. So leistet Hauviette ihr Gesellschaft, beide – eigentlich müßte das in Lothringen spielen, findet aber um 1425 – wir befinden uns im 100jährigen Krieg Englands gegen Frankreich - im kleinen Dorf Domremy statt, in Norden Frankreichs – und der Freundin klagt Jeanette nicht nur ihr Leid, das sie angesichts der Kriegsgreuel empfindet, sondern auch die Schuld der Engländer, gegen die sie kämpfen will.

Dreimal wird Jeanette im Verlauf des Films in Gesprächen ihre Meinung festigen. Denn nachdem Freundin Hauviette gegangen ist, kommt mit Madame Gervaise eine Nonne, die Jeanette beruhigen will. Und nachdem die beiden Mädchen erst mal gesungen hatten, kommt jetzt ein anderer Ton auf und die bringt auch die Verdoppelung der Nonne mit sich, die in ekstatischen Kopfbewegungen nach dem Rhythmus des Metal-Musiker Igorrr die Köpfe senken und dann nach oben werfen, bis sich alle Kopfbedeckungen gelöst haben und alle drei mit in der Luft stehenden langen Haaren sekundenlang wie Geistererscheinungen wirken. Ein starker Auftritt, für die Choreographien ist Philippe Decouflé verantwortlich.

Ihre eigene Beauftragung, gegen die englischen Besatzer in den Kampf zu ziehen, was sie später als göttlichen Auftrag verteidigt, erfährt sie durch das Erscheinen von drei Heiligen. Wenn man die Heiligen Margarethe und Barbara erkennt, kommt einem unwillkürlich die österreichische Variante: Margareta mit dem Wurm, Barbara mit dem Turm, Katharina mit dem Radl, das sind die drei hei­li­gen Madln. Aber Katharina fehlt, stattdessen ist der Heilige Michael auf dem Pferd mit dabei. Aller drei hängen und sitzen in den Zweigen eines Baumes, wenn wir das Gespräch zwischen den Vieren verfolgen.

Danach ist die Sache klar. Jeanette wird in den Kampf ziehen. Allerdings muß sie erst wachsen. Wenn die Geschichte drei Jahre später weitergeht, ist aus dem Kind ein junges Mädchen (Jeanne Voisin) geworden. Aber die Faszination, die das Kind ausübte, kann das junge Mädchen nicht erreichen. Sie sieht dem Kind ähnlich, aber....doch davon im zweiten Teil.

Foto:
© Verleih

Info;
JEANETTE  (Frankreich 2017)
114 Minuten, französische OmU-Fassung, Regie: Bruno Dumont, Drehbuch: Bruno Dumont, basierend auf den Romanen “Les Batailles” und “Rouen” von Charles Péguy, Kamera: Guillaume Deffontaines, Schnitt: Bruno Dumont, Basile Belkhiri, Kostümbild: Alexandra Charles, Musik: Igorrr, Produktion: 3B Productions, Arte France, mit Lise Leplat Prudhomme, Jeanne Voisin, Lucile Gauthier, Aline Charles u. v. a.


JEANNE D'ARC BRUNO DUMONT (Frankreich 2019)
Filmstart: 2. JANUAR 2020
Spielfilm: 138 Min., DCP-2K, Farbe, franz. OmU-Fassung

Regie:  Bruno Dumont
Drehbuch: Bruno Dumont
Kamera: David Chambille
Ton: Philippe Lecoeur
Schnitt: Bruno Dumont
Mischung: Basile Belkhiri
Sound Editing: Emmanuel Croset
Musik:  Romain Ozan

Darsteller
Lise Leplat Prudhomme .   (Jeanne d'Arc)
Annick Lavieville      (Madame Jacqueline)
Justine Herbez .    (Marie)
Benoît Robail    (Monseigneur Regnauld de Chartres)
Alain Desjacques    (Messire Raoul de Gaucourt)
Serge Holvoet .    (Monseigneur Patrice Bernard)
Julien Manier .    (Gilles de Rais)
Jérôme Brimeux     (Meister Jean)
Benjamin Demassieux    (Messire Jean, Graf von Alençon)
Laurent Darras   (Diener)
Marc Parmentier .   (Baron von Montmorency)
Jean-Pierre Baude .   (Comte de Clermont)

Abdruck aus dem Presseheft

Aufführung in diesen  Kinos (mehr in Kürze):

Berlin - Brotfabrik - 23.1. - 29.1.
Berlin - Hackesche Höfe - ab 25.12.
Berlin - Wolf - ab 25.12.
Bremen - City46 - 2.1. - 8.1.
Dresden - Kino im Dach - ab 2.1.
Düsseldorf - Filmmuseum - 21.3. + 29.3.
Halle - Zazie - 20.1. - 22.1. + 30.1. + 31.1.
Hamburg - B-Movie - ab 2.2.
Hannover - Lodderbast - Januar
Heidelberg - Karlstorkino - ab 25.12.
Karlsruhe - Kinemathek - 9.1. - 12.1.
Köln - Lichtspiele Kalk - 11.1. + 13.1.
Leipzig - Cineding - 30.1. - 1.2.
Leipzig - Luru - ab 25.12.
Mainz - CineMayence - 23.1. - 25.1.
Nürnberg - Filmhaus - ab 25.12.
Weingarten - Linse - 26.1.
Wiesbaden - Caligari - 9.1. + 12.1.

Es fällt sehr unangenehm auf, daß Frankfurt am Main nicht dabei ist und auch München mit Abwesenheit glänzt. Woran liegt das?