f littlejowSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. Januar 2020, Teil 4

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) -...DAS GEHEIMNISVOLLE
Der Gedanke hinter meiner Geschichte ist es, dass jedes Individuum ein Geheimnis in sich birgt, das Außenstehende, aber auch das Individuum selbst nicht wirklich zu fassen bekommen. Etwas Seltsames erscheint unerwartet in uns und lässt das Vertraute plötzlich unheimlich erscheinen. Jemand, den wir eigentlich kennen, wirkt mit einem Mal fremd und seltsam. Nähe verwandelt sich in Distanz.

In diesem Sinne ist LITTLE JOE – GLÜCK IST EIN GESCHÄFT eine Parabel auf das Fremde in uns selbst. Greifbar wird das im Film durch diese Pflanze, die scheinbar in der Lage dazu ist, Menschen zu verändern. Als Resultat dieser Veränderung tritt etwas Unbekanntes zum Vorschein, während etwas sicher Geglaubtes verloren geht: die Verbindung zwischen zwei Menschen.


... DIE LIEBE EINER MUTTER
Ob in Märchen und Geschichten oder auch im Alltag der Gegenwart – immer wieder stellen wir uns vor, dass es ein unsichtbares Band zwischen einer Mutter und ihrem Kind gibt. Im besten Fall ist dieses Band eines der Liebe, doch trennen lässt es sich in jedem Fall nicht, was unbestreitbar eine große Verantwortung der Mutter für ihr Kind bedeutet. Jede arbeitende Mutter kennt die – meistens mit einem Vorwurf aufgeladene – Frage, wer sich denn um das Kind kümmere, während sie arbeitet.

LITTLE JOE – GLÜCK IST EIN GESCHÄFT handelt von einer Mutter, die von ihrem schlechten Gewissen geplagt wird, weil sie arbeiten geht und ihr Kind „vernachlässigt“. Einer Mutter, deren Gefühlslage zwiegespalten ist, weil die Pflanze ihr anderes Kind ist, ihre Schöpfung und das Ergebnis ihrer Arbeit. Auch dieses Kind möchte sie nicht vernachlässigen oder verlieren. Doch für welchen ihrer Sprösslinge wird sich Alice am Ende entscheiden?


... GENTECHNIK – EIN GORDISCHER KNOTEN
Alice hat zwei Wesen zum Leben erweckt, die sich nach und nach ihrer Kontrolle entziehen: Joe und Little Joe. Die Pflanze scheint ein Eigenleben zu haben: Sie gibt ihre Pollen ab, ohne dass wir wissen ob nach einem Zufallsprinzip oder in bewusster Absicht. Versucht Little Joe, die eigene, von Alice bewusst gezüchtete Unfruchtbarkeit zu umgehen? Sichert sich die Blume ihr Überleben, in dem sie die Menschen infiziert und ihrer Gefühle beraubt, so dass die Infizierten sich ausschließlich um Little Joe kümmern?

Wir sind heute konfrontiert mit Lebewesen, die das Ergebnis von gentechnischer Arbeit sind, und wir können nicht mit Sicherheit wissen, welche Gefahren womöglich mit ihnen einhergehen. Vielleicht gar keine... doch Gewissheit haben wir keine. Es gibt Stimmen, die sagen, dass wir auf Nummer sicher gehen und uns schützen sollten. Und andere, die behaupten, dass alles unter Kontrolle ist. Ohne für eine Seite Partei zu ergreifen, interessiert mich ganz allgemein dieser Aspekt unserer heutigen Zeit, die einerseits bestimmt ist durch wissenschaftliche und technische Weiterentwicklungen und andererseits durch Halbwahrheiten, die sich im Internet verbreiten. Dazu kommt dann die frappierende Erkenntnis, dass häufig selbst die Wissenschaftler nur argwöhnen können und manches nicht mit Sicherheit wissen. Das ist natürlich fruchtbarer Boden für die verschiedensten Verschwörungstheorien.

Die Wissenschaft probiert und experimentiert, und niemand kann die Folgen vorhersagen. Aber trotzdem wird weitergemacht. Und manchmal haben die Ergebnisse ja auch einen positiven Effekt. Im Grunde ist das gar nicht so anders als in meinem Film „Lourdes“, wo das Wunder auch gleichzeitig gut und schlecht war. In dieser Geschichte nun ist die neue Schöpfung einerseits gut, denn die Menschen, die den Duft dieser Pflanze einatmen, sind ja glücklich. Aber andererseits... nun ja. Solche Widersprüche und inneren Konflikte interessieren mich mehr als alles andere. Diese Gordischen Knoten, die sich einfach nicht auflösen lassen.


... DEN LOOK DES FILMS
Es scheint mir fast so, als sei die Ästhetik des Films im Fall von LITTLE JOE – GLÜCK IST EIN GESCHÄFT noch abstrakter oder künstlicher als in meinen früheren Arbeiten. „Amour Fou“ war dank des historischen Settings für mich womöglich ein Knackpunkt, denn da begab ich mich zwangsläufig in eine Phantasiewelt. Schließlich war damals keiner von uns vor Ort und wir haben nur Bilder als Referenz, die bereits die Interpretation eines anderen Künstlers sind. Ich musste mich also zwangsläufig in eine erfundene, von mir selbst entworfene Welt begeben. Mit LITTLE JOE – GLÜCK IST EIN GESCHÄFT wollte ich diesbezüglich noch einen Schritt weiter gehen. Natürlich ließen wir uns von Gewächshäusern, Laboren und anderen realen Orten inspirieren, doch letztlich schufen wir eine künstliche Welt.

Wir wollten den märchenhaften Aspekt dieser Geschichte widerspiegeln. Was die Farben angeht, setzten wir zum Beispiel auf Mintgrün, Weiß und natürlich das Rot der Blume. Diese fast kindliche Farbpalette wählten wir aus, um dem Film die Züge eines Märchens oder einer Fabel zu verpassen. Gleiches gilt für Alices rote Haare, die im Film eine wichtige Rolle spielen. Dieser rote Pilzkopf ist geradezu ikonografisch.

Für die Kostüme habe ich wieder mit meiner Schwester Tanja Hausner zusammengearbeitet. Wir kollaborieren seit vielen Jahren, sie hat an jedem meiner Filme mitgewirkt. Gemeinsam haben wir einen bestimmten Stil entwickelt. Ausgehend von Tanjas Kostümen könnte man nicht unbedingt bestimmen, wann der Film spielt. Im Kostümdesign ging es uns darum, eine ganz eigene Realität zu schaffen. Ikonische Schlüsselelemente wie Perlenohrringe oder ein roter Hut kehren immer wieder, die Farben sind dabei natürlich dem Set Design angepasst. Und vor allem spielt Humor eine wichtige Rolle, mittels eines albernen Kleides oder eines zu großen Anzugs...

Für die Kameraarbeit gilt eigentlich genau das Gleiche. Ich habe das Gefühl, dass Martin Gschlacht und ich unsere Grenzen und die Beschränkungen des Realismus immer weiter verschieben, je länger wir zusammenarbeiten. Das interessiert uns beide, und zwar im Hinblick auf die Ästhetik genauso wie auf die Bildeinstellungen. In dem wir mit verschiedenen Perspektiven spielen, hinterfragen wir immer wieder die Realität. Was sieht das Publikum, was sieht es nicht? Es steht immer die Frage im Raum, was in unseren Bildern womöglich verborgen bleibt. Als Zuschauerin oder Zuschauer begreift man, dass man nur ein Fragment zu sehen bekommt – und fragt sich natürlich prompt, was an diesem Bild nicht stimmt oder was einem womöglich entgeht. Auch in der Bildgestaltung ging es also darum, die Frage zu betonen, was wir nicht sehen und was sich jenseits der Leinwand versteckt.


... SPRACHE
Dies ist mein erster englischsprachiger Film und ich bin ganz überrascht, wie wundervoll es sich anfühlte, in dieser Sprache zu arbeiten. Ich habe den Eindruck, dass man auf Englisch vieles sehr unsentimental ausdrücken kann, was sich im Deutschen schnell kompliziert oder lächerlich anhört. Wenn ich in einer anderen Sprache als meiner Muttersprache drehe, kann ich mich hervorragend konzentrieren, das gefällt mir. Beim Inszenieren ist es wichtig, dass man es sich nicht zu bequem macht und auch nicht zu sehr an kleinen Details aufhängt. Man muss ganz ungestört und klar auf eine Szene blicken können um zu beurteilen, ob sie funktioniert oder nicht. Die Fremdsprache half mir dabei, die nötige Distanz zu wahren.

Foto:
© Verleih

Info:
B E S E T Z U N G
ALICE EMILY BEECHAM
CHRIS BEN WHISHAW
BELLA KERRY FOX
JOE KIT CONNOR
KARL DAVID WILMOT
RIC PHÉNIX BROSSARD
IVAN SEBASTIAN HÜLK
PSYCHOTHERAPEUT LINDSAY DUNCAN
u.v.a.

S T A B
REGIE
DREHBUCH
JESSICA HAUSNER
JESSICA HAUSNER, GÉRALDINE BAJARD

Abdruck aus dem Presseheft