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Kategorie: Film & Fernsehen
hol Der letzte seiner Art 1Interview mit Floor van der Meulen über ihren Dokumentarfilm „Der Letzte seiner Art“

Holger Twele

Duisburg (Weltexpresso) - Direkt nach Ihrer Filmarbeit in Aleppo haben Sie sich Afrika zugewandt. Wie kam es dazu?

Ich habe mehrere Filme über Syrien gedreht. Danach brauchte ich einen Wechsel. Als ich ein Foto von Sudan, dem letzten Nördlichen Breitmaulnashorn, in der Zeitung sah, um das vier bewaffnete Männer im Kampfanzug herumstanden, weckte das meine Neugier, wieso ein Nashorn persönlichen Schutz benötigt. Im Begleittext stand, dass es das letzte Nashorn seiner Art sei und rund um die Uhr bewacht werden muss. Ich fand schließlich heraus, dass dieses Nashorn noch lebte. Daher reiste ich nach Kenia, um dort einen Film über Sudan und dessen Bewacher zu drehen. Als ich dort eintraf, waren Wissenschaftler, Journalisten und andere Filmemacher bereits vor Ort. Die ganze Welt war offenbar an dieser Geschichte über den letzten männlichen Vertreter seiner Art interessiert. Meine Produzenten und ich dachten, wir sollten einen Film über diese Faszinationskraft drehen, die das Nashorn hervorrief, und über den Kampf zwischen Natur und Mensch, obwohl ich über keinerlei Erfahrungen in Biologie und über die Natur verfüge.


Zu Beginn des Films gibt es eine Erzählung über Gott und die ersten Tage der Schöpfung. Darin sollten sich Mensch und Tier entscheiden, ob sie lieber ein ewiges Leben haben oder Kinder gebären wollten. Woher kommt diese Geschichte?

Ich kannte diese Geschichte von einem holländischen Theaterautor. Er schrieb ein selbst inszeniertes Theaterstück über Biodiversität, in dem ein Zoodirektor diese Geschichte erzählt. Später erfuhr ich von ihm, dass er diese Erzählung in einem holländischen Gedichtband gefunden hatte. Ihr Ursprung könnte in Afrika liegen. Ich überprüfte das durch einen Korrespondenten, der mehr als 30 Jahre in Afrika gelebt hatte und eng vertraut mit dieser Kultur ist. Er meinte, es gäbe dort eine ganze Reihe von ähnlichen Geschichten. Ich benötigte diese Fabel, um das Publikum auf die Perspektive des Films einzustimmen, in dem es weniger um ein Rhinozeros als um die Menschen und ihre Charakterzüge geht. Wir möchten gerne Herrscher über das ganze Universum sein, wir wollen ewiges Leben, aber auch Kinder haben.


Hat es Sie überrascht, dass der Film nicht etwa für die Dokumentarfilmwoche in Duisburg, sondern für das doxs!-Festival mit Dokumentarfilmen für Kinder ausgewählt wurde?

Das ist sehr interessant bei diesem Film. Eigentlich drehten wir ihn für das Kino und für das erwachsene Publikum. Dann wurde er auf Öko-Festivals und Kinderfilmfestivals gleichermaßen eingeladen, lief in Zlín beispielsweise in einer Sektion mit Naturfilmen. Ich war etwas überrascht, denn der Film hat viele philosophische Anspielungen, die für Kinder vielleicht nur schwer zu verstehen sind. Als ich dann den Film mit ihnen sah und ihre Reaktionen erlebte, war das eine positive Erfahrung. Kinder sind die nächste Generation, die etwas ändern kann. Daher finde ich es gut, dass der Film bei doxs! lief und junge Menschen jenseits der Unterhaltungsware aus Hollywood auch mit Dokumentarfilmen konfrontiert werden, über die sie danach in der Schule diskutieren können.


Als Sie mit den Dreharbeiten vor drei Jahren begannen, war da bereits vorauszusehen, dass Sudan bald sterben würde?

Zu Beginn der Dreharbeiten hatte ich das nicht erwartet. Aber er war schon sehr alt und wurde bald krank. Da wussten wir, dass es nicht mehr lange dauern würde. Mir kam es so vor, als ob ein imaginärer Filmemacher mir ins Ohr geflüstert und geraten hat, ich solle diesen starken Moment auf keinen Fall verpassen. Schließlich wollten wir auch einen Film über das Verschwinden einer Spezies drehen und diesem Moment ins Auge blicken. Allerdings ist das Warten nicht billig, denn es gab ja Vereinbarungen mit Rundfunkanstalten. Aber am Ende machten alle mit.


Besonders interessant ist die Montage des Films. Es gibt keine verbalen Kommentare, nur solche, die allein auf visueller Ebene liegen.

Als wir bei der Ankunft in Kenia das ganze Theater und die dahinterliegenden Marktmechanismen sahen, in die viele Menschen involviert waren und die um Sudan gemacht wurden, war mir klar, dass wir genau das zeigen mussten, um eine kritische Bestandsaufnahme der Menschheit und ihrer Verhaltensweisen liefern zu können. Daher entwickelten wir einen visuellen Stil, mit dem wir auf distanzierte statische Weise die Menschen in ihrem natürlichen Lebensraum ebenfalls als eine besondere Spezies zeigen konnten. Wir interviewten sie in diesem Lebensraum und ließen sie durch Weitwinkelaufnahmen klein in ihrer Umgebung wirken. Es sind aber alles Menschen in ihren gewohnten Lebensraum und in ihrer normalen Funktion, die ich zeige. Ich hoffe, dass wir durch die Montage und den visuellen Stil das Publikum dazu einladen, über das Gesehene zu reflektieren, das mitunter tragikomisch wirkt und die Tragödie des Menschen zeigt.


Viele Interviewpartner beantworten die an sie gestellten Fragen im Film nicht, etwa warum Biodiversität so wichtig ist und warum gerade das Nördliche Breitmaulnashorn nicht aussterben sollte. Waren sie dazu nicht in der Lage?

Natürlich gab es Antworten und jeder hatte seine persönliche Sichtweise. Sie können schon eine Antwort darauf geben, warum Biodiversität für das gesamte Ökosystem und für das Überleben der Menschheit so wichtig ist. Alles hängt von dieser Biodiversität ab, selbst die Medizin. Nebenbei bemerkt wäre es sehr langweilig und traurig, wenn wir die einzigen Überlebenden wären. Wir betrachten alles aus unserer Perspektive und in Bezug zu uns selbst. Für die Wissenschaftler ist das Überleben dieser Nashornart ein Projekt, bei dem nach sich als Wissenschaftler und als Retter einer so stark bedrohten Tierart beweisen kann. Es gibt aber auch viele andere Tierarten, die genauso bedroht sind. Immer ist diese Frage daher auch mit dem menschlichen Ego verbunden.


Am Ende erweist sich, dass Sudan für das Überleben seiner Art offenbar weniger wichtig als die weiblichen Tiere ist.

Das gesamte Marketing konzentrierte sich auf diesen letzten männlichen Vertreter seiner Art, denn es ist dramatisch und sexy. Aber ich wusste, dass es auch noch zwei weibliche Nashörner gibt, die wir ebenfalls gefilmt haben. Zuerst dachten wir, sie gleich zu Beginn des Films zu zeigen. Dann fanden wir es besser, uns zunächst auf das männliche Tier zu konzentrieren, wobei deutlich wird, dass die Weibchen zwar auch wichtig sind, aber niemand von ihnen spricht und niemand sie besucht, zumal man sie nicht anfassen kann. Erst im letzten Drittel des Films führen wie diese Weibchen nun ein. Als Filmemacherin ist das auch ein feiner Seitenhieb auf die Zeiten, in denen wir leben.


Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist dann die ganze Menschheit in Gefahr und kann die junge Generation dies verhindern?

Es lässt sich leicht sagen, die junge Generation werde die Welt retten, weil die Verantwortung bei ihr liege und nicht bei uns. Menschen wählen immer den leichteren Weg. Natürlich gibt es auch einige, die sich wirklich sorgen und es anders machen wollen. Aber den meisten von ihnen ist das egal, denn es gibt auch noch andere Probleme. In Bezug auf die Rettung der Welt lässt sich zweierlei sagen: Die Bevölkerung wächst, die Gesellschaften werden moderner, natürlich auch in Afrika. Auch dort will man Modernisierung und Demokratie. Vielleicht wird es in Afrika bald so sein wie bei uns in Europa. Es gibt keine freilebenden Wildtiere mehr, nur noch Zoos. Denn mit zunehmendem Landbedarf und mehr Wachstum ist für diese kein Platz mehr. Auf der anderen Seite versteht inzwischen fast jeder, dass wir am Ende sind. Wir haben der Erde schon zu viel zugemutet und wollen nun die jüngere Generation erziehen. Das ist unsere Art, ihr die Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie es besser machen kann. Aber zuvor müssen Teile der älteren Generation verschwinden, um Platz für Neues zu schaffen. Wir können von der jungen Generation nicht erwarten, dass sie die Welt rettet, aber wir sollten ihr wenigsten etwas Platz machen. Wir tragen genauso die Verantwortung und müssen uns überlegen, welche gemeinsame Zukunft wir haben wollen.


Und was ist mit der Wiederbelebung ausgestorbener Tierarten?

Noch hat das Rhinozeros eine natürliche Lebensumgebung auf der Welt. Wenn man es künstlich wiederbelebt, besteht noch eine Chance, auch wenn es einer enormen Anstrengung bedarf, dies mit nur drei übriggebliebenen Tieren zu schaffen. Vielleicht sollte man sich besser auf andere Arten konzentrieren. Ich befürchte auch, wenn wir es schaffen, haben wir ein noch zerstörerisches Werkzeug an der Hand, weil wir sie dann alle zurückbringen können und dann Gott spielen. Wir werden das dann mit den Dinosauriern oder mit den Mammuts machen und sie zurück in die sibirische Tundra bringen, nur um zu beweisen, dass wir es können. Das wird lustig oder vielleicht auch nicht. Tourismus, Geld, Ansehen, aber am Ende wird uns das Mammut vielleicht töten. Für mich geht das alles zu weit.


Foto:
© doxs!-Festival Duisburg

Info:
Das Interview führte Holger Twele im November 2019 in Duisburg