f freiwillieSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Februar 2020 Teil 14

Nicolas Wackerbarth

Berlin (Weltexpresso) - Warum will Urs, dass Jette ein „freiwilliges“ soziales Jahr in Costa Rica macht? Würde er sie nicht lieber in seiner Nähe haben?

Henner Winckler: Urs ist ein engagierter Mensch. Er wünscht sich, dass seine Tochter die Welt kennenlernt und dabei Gutes tut. Sie soll ein Jahr in einem Krankenhaus in Costa Rica arbeiten. Ich habe eine Tochter, die ein Freiwilliges Jahr in Indien gemacht hat. Sie war kein Rollenmodell für die Figur der Jette, aber den Abschiedsschmerz habe ich miterlebt. Das Auslandsjahr und was man nach dem Abitur macht, ist ein wichtiges Thema in meinem Umfeld. Es gibt fast so etwas wie einen Wettbewerb, wessen Kind das interessantere Freiwillige Soziale Jahr macht.

Ulrich Köhler: Meine Eltern waren Entwicklungshelfer und ich bin ihnen unendlich dankbar dafür, dass ich eine Kindheit in einem Dorf in Zaire erleben durfte und erst mit neun Jahren in eine reguläre Schule in Deutschland gehen musste. Es geht in unserer Geschichte aber weniger darum, ob das Verlassen der Provinz positiv oder negativ für die Entwicklung der Tochter ist, sondern eher darum, wie Urs seine eigenen Vorstellungen von Glück auf andere projiziert und damit Schaden anrichtet und am Ende diejenige verliert, die ihm am wichtigsten ist.


Zwei Regisseure: Wie habt ihr zusammen geschrieben, wie später inszeniert, wie dann geschnitten?


HW: Wir kennen uns seit dem Studium und haben uns in unterschiedlichen Funktionen gegenseitig unterstützt, bei der Drehbuchentwicklung, beim Casting, am Set und im Schneideraum - die Idee zusammenzuarbeiten war also nicht so weit hergeholt. Das Drehbuch von DAS FREIWILLIGE JAHR haben wir online geschrieben, so dass wir relativ schnell auf den anderen reagieren und dessen Vorschläge kommentieren konnten, ohne zeitlich voneinander abhängig zu sein. Wir hatten Zeit, verschiedene Ideen zu vergleichen und zu einem Ergebnis zu kommen, das uns beide überzeugte. Unter dem zeitlichen und ökonomischen Druck von Dreharbeiten war es natürlich komplizierter, sich in jedem Detail zu einigen und so waren wir uns gegenseitig eher Berater und mussten den anderen gewähren lassen.


UK: Das fiel mir als Kontrollfreak weniger leicht als Henner, aber wenn ich mir das Ergebnis anschaue, habe ich das Gefühl, es ist ein Film entstanden, der ohne diese Zusammenarbeit nicht hätte entstehen können und der sowohl Henners als auch mein filmisches Spektrum erweitert. Nach den Dreharbeiten zu SCHLAFKRANKHEIT habe ich mich gefragt, ob die Arbeitsteilung beim Filmemachen auch anders funktionieren könnte, mir fehlte die Distanz, die wirkliche kreative Arbeit erst möglich macht. Ich hab mir gewünscht, die Last der Entscheidungen zu teilen und dadurch kreative Spielräume zu gewinnen – für mich ist dieses Experiment aufgegangen und wird mich hoffentlich in
zukünftigen Projekten zu einem entspannteren Filmemacher machen.


Die Kameraarbeit unterscheidet sich stark von euren bisherigen Filmen, die Schnittzahl scheint mir durch die Schuss/GegenschussSzenen wesentlich höher zu sein als in den frühen Arbeiten.

UK: Die Tatsache, dass gerade am Anfang des Films der VW-Bus unser Hauptmotiv war und wir auf jeden Fall reale Fahrszenen drehen wollten, hat in gewisser Weise die Kameraarbeit diktiert. Es war klar, dass man keine zwei Figuren gleichzeitig in ein Bild kriegen kann. Auch die handlungsreiche, hektische Szene in Falks Appartementhaus schien eine Handkamera zu verlangen, insofern waren wir uns sehr schnell einig mit dem Kamerakonzept.

HW: Es war eine Herausforderung, mit der Beschränkung umzugehen. Wir sind die meisten Szenen in einer Probenwoche durchgegangen, in der unser Kameramann
Patrick Orth viel gefilmt und fotografiert hat. Patrick kennen wir seit unserem gemeinsamen Studium an der HfbK Hamburg und es gibt ein großes Vertrauen.
Wir hatten keine klassische Auflösung mit Storyboard, sondern zumeist nur eine grobe Shotlist, die sich häufig am Drehtag noch verändert hat.
 
UK: Mich hat die Tatsache, dass wir in fast allen Szenen Schnittoptionen hatten, entspannt. Der Druck ist doch deutlich niedriger als beim Dreh von Plansequenzen. (lacht) Gleichzeitig ist das etwas, womit ich wenig Erfahrung habe und ich musste mich, was die Schneidbarkeit angeht, voll auf Henner und Patrick verlassen.
Euer Film spielt in der deutschen Provinz, wie ist euer filmisches Verhältnis dazu?

UK: Wir fanden es ein bisschen lustig, das Genre Heimatfilm wiederzubeleben. (lacht) Ich lebe schon länger in Großstädten als auf dem Lande und doch fühle
ich mich in Berlin immer noch wie ein Zugereister, der so tut als sei es seine Stadt. Henner und ich sind beide auf dem Land in Hessen aufgewachsen, es war
naheliegend, eine Lebenswelt zu wählen, in der wir uns auskennen. Unerfüllte Lebensträume und Kinder, die sich von ihren Eltern emanzipieren, gibt es
natürlich überall. Aber auf dem Land lässt sich dieser Konflikt schöner zuspitzen, das haben wir von Tschechow gelernt.