Bildschirmfoto 2020 03 09 um 02.07.18Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. März 2020, Teil 12

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Doch, heute soll der am Donnerstag angelaufene Film über die weithin unbekannte Malerin HILMA AF KLINT, die die kunstgeschichtliche Einordnung von Stilen und wer was zuerst entdeckt, gemacht oder gemalt hat, über den Haufen geworfen hat, noch am Weltfrauentag erscheinen, schließlich haben wir die Besprechung dafür aufgespart. Aber die weiteren Überlegungen, auch die Aufführung im Frankfurter CINEMA, das alles kommt morgen, damit klar ist, daß die heutige reine Frauenausgabe von WELTEXPRESSO, natürlich heißt: die Frauen bleiben Thema, nur nicht so gebündelt wie heute, wo es nur um sie ging.

Bildschirmfoto 2020 03 09 um 02.07.35Was hätte HILMA AF KLINT zum Weltfrauentag gesagt? Gestaunt? Sich gefreut? Mitnichten, meinen wir, denn sie hatte ganz andere Probleme, besser: ganz andere Gedanken und Gefühle, die in Richtung Harmonie mit dem Weltgeist gingen und eine tiefe Verbundenheit mit der Natur genauso beinhalteten wie ein Vertrauen auf etwas Übersinnliches, dem sie keinen Namen geben konnte, aber dessen Vorhandensein in der Welt ihre Überzeugung war.

Das vorneweg, denn wir wollen bei HILMA AF KLINT bleiben, wollen nur die Entdeckungsgeschichte, weder die der verdienstvollen Julia Voss, mit deren Artikel über Hilma af Klint in der FAZ in Großaufnahme der Film beginnt, noch dem Anspruch, durch diesen Film sei die schwedische Malerin dem Vergessen entrissen worden, folgen. Und gleichzeitig preisen wir diesen Film von Halina Dyrschka als einen, der längst überfällig war und der ein wichtiger Meilenstein zum Bekanntwerden dieser ungewöhnlichen Frau ist, deren Anspruch über eine Malerin zu sein, hinausgeht. Vielleicht liegt hierin die gewisse Skepsis, die mit ihrer Kennzeichnung als Malerin des ersten abstrakten Bildes einhergeht, das wir sowieso in die Steinzeit verlegen täten, denn unser Fortschrittswahn macht uns glauben, daß wir es unaufhörlich sind, die Neues entdecken in einer Welt, die über Millionen Jahre alt ist und schon so lange von Menschen bewohnt wird.

Warum wir uns darin so sicher fühlen, hat damit zu tun, daß wir auf jeden Fall die schwedische Malerin schon kannten, als wir 1986 nach Wien fuhren, wo in der Albertina eine Ausstellung ihrer Werke gezeigt wurde, die eine Tournee durch Europa machte. Und damals war der Zusammenhang mit den theosophischen Strömungen der Zeit sehr herausgearbeitet, der den Stil und die Motive der Hilma af Klint bestimmte, die ja ihre Tätigkeit als Berufung in höherem Sinne verstand.

Höchste Zeit über den Film zu sprechen, der wie gesagt eine Entdeckungsgeschichte überhöht, die die Kunstgeschichte umschreiben könnte. Dieser Wettbewerb um das erste abstrakte Bild gibt dem Film den inneren Motor, denn er will unaufhörlich beweisen, was er kann und was dem Film einen fast kriminalistischen Einschlag der Spurensuche und Entdeckung gibt. Im selben Kontext wird die Ausstellung im Modernen Museum Stockholms 2013 dann als Beweisführung der ersten abstrakten Malerin gewertet, die Hilma af Klint heißt und am 26. Oktober 1862 auf Schloss Karlberg in Solna geboren wurde und am 21. Oktober 1944 in Djursholm starb, ein für die damalige Zeit langes Leben über entscheidende Kultur- und Zivilisationsbrüche hinweg. Das wäre interessant, ob sich dies in ihrem Werkt wiederfindet, welche Entwicklung es genommen hat, gleichgeblieben oder mit der Zeit sich wandelnd. Doch da greifen wir der Kunstgeschichte voraus, denn tatsächlich hat eine Einordnung der Malerei von Hilma af Klint erst begonnen. ‚Abstrakt‘ ist ja auch kein wirkliches Analysieren, da es dem Gegenständlichen gegenübersteht. Und es sagt über einen Maler sehr wenig, wenn man nur über ihn sagt, er malt gegenständlich.

Aber das muß ein späterer Film über die Malerin leisten, wenn sehr viel mehr Wissen vorliegt oder erkundet werden kann. Erst einmal, wir wiederholen es, muß und darf man zufrieden sein, daß man über die äußeren Umstände ihres Lebens und ihres Wirkens informiert wird, wozu gehört, daß sie in einem Testament ihren Neffen zum Erben ihrer Bilder bestimmt mit der Auflage, daß diese zwanzig Jahre unter Verschluß gehalten werden sollen. Als dies dann 1964 vorbei war, war die Entwicklung der Kunst nach 1945, die erst die Abstraktion, dann die neuen Wilden, später eine amerikanische Welle nach der anderen nach Europa als angesagte Kunst transportierte, war also die Entwicklung der Kunst in eine so andere Richtung gelaufen, daß keiner auf ihre Bilder neugierig war. Das änderte sich erst ganz langsam, hatte aber den positiven Aspekt, daß das sehr umfangreiche Gesamtwerk in einer Hand geblieben ist, weil damals keiner diese Kunst kaufen wollte und die Familie heute weiß, daß sie einen Schatz hüten, der morgen vielleicht Gold verspricht.

Im Film ist es einzig Julia Voss, die auf die esoterischen Hintergründe der Malmotivation von Hilma af Klint eingeht. Aber sie bleibt in dem Bereich von spiritistischen Séancen, die mit Geistern und Dämonen einer Übernatürlichen Welt kommunizieren können wie auch mit den Verstorbenen und den Geheimbünden um die Theosophin Helena Blavatsky und es wird zwar Hilma Verehrung gegenüber dem Anthroposophen Rudolf Steiner ausgeführt, den sie zweimal in Dornach besuchte, was ihn nicht beeindruckte, aber eben zu wenig durchdrungen, worin der geistige Unterschied zwischen beiden – übrigens malte ja auch Steiner – bestand, wo und wohin sich ihre Weltsicht differenzierte. Bildschirmfoto 2020 03 09 um 01.48.36Dies nämlich führt dann in die Richtung, in der unbedingt weiter geforscht werden muß. Im Film wird mit keinem Wort Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (1875 – 1911) erwähnt, der litauische Komponist und Maler, der ein Pendant zu Hilma af Klint ist, sowohl was seine Unbekanntheit in unseren Welten angeht, wie auch die malerischen Absichten und Umsetzungen.

Übrigens ist auch er ein Maler des Abstrakten, wie man links auf seinem Bild von 1905 erkennen kann, weil bestimmte Seinsformen einfach nicht plastisch wiedergebbar sind. Die beiden müssen sich gekannt haben, denn als in den Neunziger eine große Retrospektive in Paris für den im Westen völlig unbekannten Künstler stattfand, gab es dort den Hinweis auf und Kontext mit Hilma af Klint. Das muß doch auch in ihren Unterlagen zu finden sein.

Und dann der Zusammenhang von Theosophie und moderner Physik sowie Chemie. Die Strahlen, die als Strahlungen einer Marie Curie zwei Nobelpreise einbrachten, die erkennt man in den Bildern von Hilma wie Konstantinas, wir sind für diese Zusammenhänge blind geworden, müssen sie erst einmal wieder erkennen, neu denken und interpretieren.

Sie sehen, es gibt noch viel zu forschen und das Verdient dieses Films, der sozusagen die Berechtigung, sich mit dieser Malerin sehr viel intensiver zu beschäftigen und sie zum Objekt der kunstgeschichtlichen Forschung zu machen, einklagt, ist eben, daß er ein Ei gelegt hat, das jetzt andere weiter ausbrüten müssen. Da bleiben wir am Ball.

Foto:
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Info:
Kino-Dokumentarfilm, 93 Min., HD, Farbe, 16:9,
DCP Sprachen Deutsch/Englisch/Schwedisch
Regie Halina Dyrschka
Kamera Alicja Pahl, Luana Knipfer

Am 26. Februar erschien die erste und einzige Biographie über Hilma af Klint
Julia Voss, Hilma af Klint – »Die Menschheit in Erstaunen versetzen«: Biographie, Fischer Verlag
Das Buch ist für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie SACHBUCH nominiert