Bildschirmfoto 2020 03 09 um 20.50.37Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. März 2020, Teil 13

Halina Dyrschka

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –  Nichtsahnend las ich eines Morgens in der Zeitung folgende Überschrift: „Die Kunstgeschichte muss umgeschrieben werden.“ Das ist im Jahre 2013 dann doch überraschend und zudem herrlich entschlossen. Was sich mir dann beim Besuch der Ausstellung „Hilma af Klint – eine Pionierin der Abstraktion“ in Berlin ein halbes Jahr später darbot, machte mich jedoch fassungslos: Schier überbordende Farbkompositionen, überdimensionale und zeitgeistig anmutende Bilder!

Spätestens beim Anblick der Bilderserie „Die 10 Größten“ fühlte ich mich dann aber beinahe persönlich beleidigt. Wie hatte man mir das vorenthalten können? Wer war dafür verantwortlich, dass bis dato diese Bilder nie einem großen Publikum zuteilwurden?

Die faszinierende Künstlerin war eine kaum bekannte Schwedin, die dieses riesige Oeuvre erschuf ohne wirklich wahrgenommen zu werden. Bei meiner Recherche stieß ich aber nach und nach auf ein ganz anderes Bild der Unbekannten: weder allein, noch völlig unbemerkt, vielmehr eine Frau die wirklich bemerkenswert konsequent ihren Lebensweg verfolgte. Eine unverbrüchliche Persönlichkeit mit einer mutigen Lebenseinstellung und am Ende – einem erfolgreichen Leben.

Die Zeit ist reif, die Geschichten von Frauen nicht mehr nur aus einer Opferperspektive zu betrachten sondern endlich auch von den Heldinnen zu erzählen. Hilma af Klint war eine starke Frau, die TROTZ der Umstände und unbeirrt aller Rückschläge ihre Kunst erschuf. Mehr noch - sie hat nicht nur Kunst erschaffen, die ihrer Zeit voraus war, sie hat auch ein Lebensbild vertreten, das bis heute absolut zukunftsweisend ist. Sei es die Gleichheit der Geschlechter oder ihre visionäre Anschauung zu Religion und Spiritualität - hier ist eine Künstlerin, die Bedeutendes zu sagen hat, unabhängig von geschmacklichen Präferenzen oder subjektivem Kunstverständnis. Sei es die Vertretung der Geschlechtergleichheit oder ihre Religionsanschauung - hier ist eine Künstlerin, die sehr viel und Wichtiges zu sagen hat, ganz Abgesehen von geschmacklichen Präferenzen oder subjektivem Kunstverständnis.

Lebensthemen verweben sich auf ästhetische Weise mit dem Werk und der Künstlerin. Mit ihren Ansichten füllte af Klint lebtags an die 26 000 Tagebuchseiten, die heute faszinierende Einblicke in ihre Welt erlauben. Noch lange ist nicht alles gelesen und erforscht - es würde wohl für einige Fortsetzungen reichen. Auch wenn viele Künstler, männlich wie weiblich, erst posthum bekannt werden, so betrübt diese Tatsache bei Künstlerinnen doch aufgrund des gewaltigen Nachholbedarfs umso mehr. Allerdings sind viele von ihnen erst in den letzten 50 Jahren einfach aus der Geschichtsschreibung verschwunden. Biografien von Frauen in Kunst und Wissenschaft müssen immer noch mühsam entdeckt werden. Hilma af Klint und viele ihrer Kolleginnen haben ein Recht auf Selbstverständlichkeit. Heute. Jetzt. Sofort.


Über die Regisseurin
Die Berliner Regisseurin Halina Dyrschka gründete die Produktionsfirma AMBROSIA FILM. Nach dem Schauspielstudium und dem Studium des klassischen Gesangs, absolvierte sie den Master of Arts in Filmproduktion. Anschließend realisierte sie ihren ersten Kurzfilm „9einhalbs Abschied“ als Regisseurin. Dieser lief auf über 40 Filmfestivals weltweit und gewann mehr als 10 Preise, u.a. den Friedrich-Wilhelm-Murnau-Preis und den Deutschen Hörfilmpreis. Neben dem Schreiben von Drehbüchern, hat sie sich die letzten 5 Jahre intensiv in die Recherche über Hilma af Klint vertieft. JENSEITS DES SICHTBAREN ist ihr Langfilmdebüt und der erste Film über diese Pionierin der Abstraktion überhaupt.

Fotos:
© Verleih

Info:
Kino-Dokumentarfilm, 93 Min., HD, Farbe, 16:9,
DCP Sprachen Deutsch/Englisch/Schwedisch
Regie Halina Dyrschka
Kamera Alicja Pahl, Luana Knipfer

Am 26. Februar erschien die erste und einzige Biographie über Hilma af Klint
Julia Voss, Hilma af Klint – »Die Menschheit in Erstaunen versetzen«: Biographie, Fischer Verlag
Das Buch ist für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie SACHBUCH nominiert


Abdruck aus dem Presseheft