Bildschirmfoto 2020 03 09 um 20.50.49Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. März 2020, Teil 14

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man sollte, so man kann, solche Gelegenheiten wahrnehmen, wenn tätige Kinobetreiber zum Anlaufen eines Filmes die entsprechenden Regisseure, Produzenten oder Darsteller einladen, den Film anschauen und danach mit den Machern darüber sprechen. Denn seien wir ehrlich, eigentlich hat man zu jedem Film fragen, oder besser: man sollte sich angewöhnen, an den Film schon beim Zuschauen Fragen zu stellen. Das sorgt nämlich für eine ununterbrochene Aufmerksamkeit!

Das war die Vorstellung:
JENSEITS DES SICHTBAREN – HILMA AF KLINT (OmU)
Sonderveranstaltung in Anwesenheit der Regisseurin Halina Dyrschka und Eva Ilmer & FAZ-Journalistin Verena Lueken
Di 3.3. 10.30 Uhr
im Cinéma
Eintritt: 10,00 €

Der Film wurde mit dieser Information angekündigt, die der Selbstbeschreibung des Films im Presseheft entnommen ist:

Die Kunstwelt macht eine sensationelle Entdeckung nur 100 Jahre zu spät. 1906 malt Hilma af Klint ihr erstes abstraktes Bild, lange vor Kandinsky, Mondrian oder Malewitsch. Insgesamt erschafft sie über 1500 abstrakte Gemälde, die der Nachwelt Jahrzehnte verborgen bleiben. Wie kann es sein, dass eine Frau Anfang des 20. Jahrhunderts die abstrakte Malerei begründet und niemand davon Notiz nimmt? Die cineastische Annäherung an eine Pionierin, deren sinnliches Werk nicht nur künstlerisch fasziniert, zeigt eine lebenslange Sinnsuche, die das Leben jenseits des Sichtbaren erfassen will. Die außergewöhnliche Gedankenwelt der Hilma af Klint reicht dabei von Biologie und Astronomie über Theosophie bis hin zur Relativitätstheorie und umspannt einen faszinierenden Kosmos aus einzigartigen Bildern und Notizen. Heute begeistert die Künstlerin Millionen mit ihrem schrankenlosen Denken, welches in einem überwältigenden Oeuvre gipfelt und die Geschichtsschreibung der Kunst auf den Kopf stellt. Im Anschluss an die Vorstellung findet ein moderiertes Filmgespräch statt.

Bildschirmfoto 2020 03 09 um 20.50.27Der Film dauert nur 93 Minuten, aber er steckt voller Informationen, die einen noch lange beschäftigen. Denn die Filmemacherin, die zwar schon Filme gemacht hatte, aber hier ihren ersten Langfilm als Dokumentarfilm vorlegt, hatte ja eine Menge auf einmal zu vermitteln:

Sie mußte eine unbekannte Künstlerin vorstellen
Sie mußte erläutern, warum diese bisher unbekannt war
Sie mußte erklären, warum diese Künstlerin auf einmal bekannt – und sogar bedeutend ist
Dazu mußte sie einen Blick in die Lebenszeit der Künstlerin (1862-1944) werfen,
um deren Biographie zu schildern und einordnen zu können und
um ihre künstlerische Bedeutung auf diesem Hintergrund orten zu können.

Eine gewaltige Aufgabe, die die Berliner Regisseurin mit Verve angeht und im Filmverlauf den roten Faden in der Tatsache/Interpretation spinnt, daß Hilma af Klint als erste abstrakt gemalt habe, von der Kunstgeschichte übersehen, nun diese aufrollt. Insbesondere die Konkurrenz zu Wassily Kandinsky, der sich als erster Künstler, der abstrakt male, bezeichnete, ist dabei Maßstab. Aber auch im Film gezeigte af Klint Bilder im Vergleich zu Klee, Mondrian, Malewitsch, sogar Warhol, aber seltsamerweise wird nie der Spanier Joan Miró erwähnt, der ähnliche Zeichen verwendet. All das wollen wir hier nicht diskutieren, sondern das Gespräch nach der Filmvorführung weitertragen, das in Form von Fragen von einem beeindruckten Publikum an die Regisseurin in Gang gesetzt wurde.

Natürlich ging es als erstes um ihre Motivation, gerade diesen Film zu drehen. Ausgangspunkt war für sie der Artikel von Juli Voss in der FAZ , in dem sie überhaupt zum ersten Mal von der schwedischen Künstlerin erfuhr, und genauso fängt ihr Film auch an. Wovon der Zuschauer in der Regel wenig weiß, sind die Probleme der Finanzierung eines Filmprojekts. Diese Arbeit übernehmen Produzenten, die ihre Kontakte haben und bei Filmen für sich einzuschätzen wissen, welches Publikum sie erreichen können und wie hoch die Investition in einen Film gehen können, um mindestens mit einem blauen Auge davonzukommen, auch wenn ein Gewinn erstrebt wird. Wie schwierig die Finanzierung diesmal wurde, hätte sie sich nicht vorstellen können. Der Ausweg sind meist Filmförderungen der Länder und vor allem die Fernsehanstalten. Aber hier war es zappenduster. Also suchte sich Halina Dyrschka mit Eva Illmer eine Mitproduzentin und die beiden Frauen brachten nach einem Jahr die Finanzierung auf die Reihe. Insgesamt hat ihr Filmprojekt 5 Jahre gedauert!

Sie erläuterte auch, wie sie selbst vor den Bildern, insbesondere der Phalanx der großen Bilder, ergriffen war, daß sie einen ganz besonderes Kunsterlebnis hatte, was ihr auch Kraft für das Projekt gab. Das Gleiche widerfuhr ihr in New York, wo das MOMA in der monographischen Ausstellung zur schwedischen Künstlerin mit 600 000 Besuchern die publikumsträchtigste Ausstellung feiern konnte. Die Zuschauer wollten mehr über ihren Kreis von Theosophen und Anthroposophen hören, aber dazu ist die Kenntnis noch sehr gering, weil nur ein Teil ihrer unendlich umfangreichen Tagebücher entschlüsselt sind.

Ich selbst hatte nach der Wiener Ausstellung von 1986 gefragt, denn als ich zu deren Besuch in die Wiener Albertina fuhr, war mir die Künstlerin schon ein Begriff, ohne daß ich heute noch wüßte, woher oder seit wann. Und ich warf auch den Namen Mikalojus Konstantinas Čiurlionis in den Raum, die litauische Doppelbegabung als Komponist und Maler, dem in den Neunziger Jahren eine große Ausstellung in Paris galt, wo auch Hilma af Klint eine Rolle spielte.

Doch wäre das eine Überforderung, an diesen Film die der Malerei zugrundeliegenden theosophischen, intellektuellen, sensuellen Hintergründe aufgearbeitet zu sehen. Was aber klar ist, das ist, daß nach dieser Basis, die Halina Dyrschka mit dem ersten Film über Hilma af Klint gelegt hat, in genau diese Richtung die kunsthistorische Forschung betrieben werden muß. Sinnvollerweise nicht nur bezogen auf af Klint, sondern auf diese geistige Grundlage, von der Hilma af Klint immer sagte, daß dies der Motor ihrer malerischen Arbeiten war.