siberiaAb heute geht das Kino wieder los! Die anlaufenden Filme vom 2. Juli, Teil 3

Hanno Lustig

Köln (Weltexpresso) - Schade, daß der dänisch-norwegische Originaltitel SELVMORDSTURISTEN nicht beibehalten wurde, denn das Wort läßt aufmerken. Aber die Gleichmacherei läuft immer auf englische Titel hinaus, obwohl auf Deutsch SELBSTMORDTURISTEN auch so viel eindrücklicher wäre. Denn es geht tatsächlich um den Service, sich unter gehobenen Umständen in einem Hotel den Selbstmord servieren zu lassen.

Heute ist das filmisch fast schon abgegrast, wenn es um verschiedene Sterbehilfen geht. Aber dieser Film ist ein Mysterythriller, es geht also um mehr als nur ums eigene Sterben. Da ist Max, Versicherungsmakler ( Nikolaj Coster-Waldau), und unheilbar an einem Gehirntumor erkrankt. Er schafft es nicht, sich umzubringen, obwohl er es ernsthaft versucht. Eine Kundin von ihm zeigt ihr das Abschiedsvideo ihres Mannes, der sich in diesem Hotel das Leben nahm. Nichts wie hin. Aber der Film bleibt irgendwo auf der Strecke halbtot liegen.

Ein schrecklicher Film erwartet Sie mit SIBERIA. Wenn man erst einmal liest: Regisseur Abel Ferrara und Hauptdarsteller Willem Dafoe, da freut man sich auf den Film. So ging es vielen auf der Berlinale, wo dieser Film merkwürdigerweise lief. Und gerechterweise muß man sagen, daß immerhin wunderschöne Naturaufnahmen von Eis und Gletschern auf der großen Leinwand zu bewundern sind. Aber die klägliche redundante Handlung. Das will einfach niemand, bis auf diese alten weißen Männer und ihre Angehörigen, mehr sehen und hören, wie alte weiße Männer angesichts des Alters abbauen, rumquatschen, trinken und im emotionalen Chaos versinken. Und im Alkohol. Eine männliche Weinerlichkeit, die sich entscheidend auch immer um die nachlassende Potenz dreht, wo Frauen entweder ganz dick und obsessiv oder auf andere Weise die große Liebe, auf jeden Fall monströs sind, auch wenn sie klein und zierlich sind, und wo die Angst vor dem Tod Exzesse fördert. Alles wie gehabt, aber in Zeiten, wo auch andere Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben interessantere Geschichten haben, irgendwie von gestern - und zwar entschieden.

Andere Geschichten...Zum Beispiel ZU WEIT WEG! Der Untertitel: Aber Freunde für immer, verbunden mit zwei zugewandten Jungensgesichtern auf dem Filmplakat, geht bei Erwartungen in die richtige Richtung einer Jungenfreundschaft, die aber erst einmal die schwierigsten Hürden zu überwinden hat. Man hat Freude an diesem Film, der so schwierige Themen wie Verlust von Heimat und Sich Fremdfühlen mit einer Leichtigkeit erzählt, die ans Herz geht. Interessant wie hier zwei Geschichten gekoppelt werden, die von den Gefühlen her diesselben Gefühle von Verlust, Lustangst vor Neuem und die Versuche, sich zu integrieren und die anderen einem einzuverleiben vereint. Da geht es erst einmal um den zwölfjährigen Ben( Yoran Leicher), der bisher in einem Dorf lebte, das von der Landkarte und der Erde verschwinden soll. Braunkohle liegt darunter, die abgebaut werden soll. Die Familie wird umgesiedelt und er fühlt sich in der neuen Schule fremd. Aber er hat ja seinen Fußball. Nur ist er im neuen Verein nun nicht auf Anhieb der Stürmerstar, den er im Dorf vielbejubelt abgab.

Denn da ist auch Tariq (Sobhi Awad), ein elfjähriger Flüchtling aus Syrien, der ein gewitzter kleiner Kerl ist - und zudem richtig gut Fußball spielt. Immer kommt Ben gewissermaßen zu spät. Aber wie die beiden zusammenkommen, das genau ist das Geheimnis von Jugend, die sich auf den Weg macht und nicht im ersten Gefühl von Anderssein verharrt.

Regisseurin Sarah Winkenstette, deren Namen man sich angesichts der emotionalen Kraft des Films wird merken müssen, hat zu ihrem Film ein Regiestatement abegegeben. "Ich war 16, als mein damaliges Elternhaus abgerissen wurde. Es wurde zwar an gleicher Stelle wieder neu aufgebaut, aber es war nicht mehr unser altes Haus, nicht mehr mein Zimmer mit all den Erinnerungen, der Zufluchtsort meiner Kindheit. auch wenn mein kleiner Heimatverlust damals nicht vergleichbar ist mit dem eines Braunkohlevertriebenen oder gar eines Kriegsflüchtlings, so haben sich die Bilder von den Trümmern unseres Hauses und die damit verbundenen Gefühle tief in mir eingebrannt. Etwas Altes geht, etwas Neues kommt - traurig und dabei zugleich aufregend. Ein universelles Gefühl, mit dem man im Leben immer wieder in verschiedenen Situationen konfrontiert sein wird. Ben und Tariq, den beiden Jungs in unserem Film, begegnen diese Gefühle in dem Ausmaß zum ersten Mal. Ihre Gefühle und Nöte und ihre Auseinandersetzung damit - das finde ich an diesem Stoff so wahnsinnig spannend. Eine Freundschaft, die in Zeiten eines massiven Umbruchs entsteht, die beiden Halt gibt und sie in der neuen Heimat ankommen läßt. Das möchte ich zeigen - Gerade jetzt, gerade in Europa!"

Foto:
Siberia
© Verleih





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