Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen
brucknerdeutschlandfunk.deSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Juli 2020, Teil 3

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Das Scherzo aus der neunten Sinfonie von Anton Bruckner durchdringt die Basilika in  Sankt Florian. Die erhabenen Mauern des barocken Kirchenbaus korrespondieren mit den Fortissimo-Klängen in der Musik. Es bildet den Ausgangspunkt einer filmischen Reise, die sich mit der Biografie Bruckners ebenso akribisch beschäftigt wie mit seinem Werk. Chronologisch zeichnet Regisseur und Drehbuchautor Reiner E.  Moritz die Lebensstationen des 1824 in Ansfelden geborenen Oberösterreichers nach.

Von Sankt Florian, wo Bruckner als Chorknabe seine Jugend verlebte und nach seinem Tod unter der Orgel begraben wurde,  über Linz, wo er als Organist wirkte, bis nach Wien, wo er seine Sinfonien schrieb und starb.

Was die Persönlichkeit des Komponisten und die Besonderheiten seiner Handschrift ausmachte, erschließt sich überwiegend aus den Aussagen der vor der Kamera versammelten Experten und Musiker.  Anschaulich demonstriert etwa der heutige Linzer Domorganist Bernhard Prammer am Beispiel des Finalsatzes aus der Fünften, wie Bruckner den Orgelklang in seine Sinfonik einbrachte.

Dank solcher grundlegenden, anschaulichen Ausführungen eignet sich der Film „Anton Bruckner- Das verkannte Genie“ für den Kenner gleichermaßen wie für den Einsteiger.

In den Fokus seines Films rückt Reiner E. Moritz aber Bruckners Ringen um Anerkennung als Komponist. Es drückt sich an den zahlreichen Umarbeitungen seiner Sinfonien aus, die in unterschiedliche Fassungen mündeten, erläutert die Bruckner-Biografin Elisabeth Meier. Die Rezeption von Bruckners Sinfonik greift der Film auch über zeitgenössische Rezensionen auf, vorgetragen von dem Schauspieler Cornelius Obonya.

Sachlich fundiert, ambitioniert und kenntnisreich gibt sich der Film „Anton Bruckner- Das verkannte Genie“ mit seiner Fülle an Informationen, aber auch ein bisschen überfrachtet und trocken. Die neun Sinfonien, deren Entstehungsgeschichte und Rezeption Moritz im Einzelnen beleuchtet, hätten allein schon reichlich Stoff geboten. Die Aufnahme all der Details fordert dem Zuschauer viel Konzentration ab, zumal sich nur wenige der sprechenden Köpfe auf ein lebendiges Erzählen verstehen.  Aber immerhin stichhaltig arbeiten sie heraus, warum Bruckner sogar noch bis in die 90er Jahre  politisch kritisiert wurde. Zu Unrecht, sagt Elisabeth Meier.

Mit Ausschnitten aus  einem Brucknerzyklus der Münchner Philharmoniker unter ihrem amtierenden Chefdirigenten Valery Gergiev - aufgenommen in der Basilika in Sankt Florian - grundiert Filmautor  Moritz seine Doku musikalisch. Seine Verbundenheit mit diesem Orchester, das er mit der Kamera in den 90er Jahren schon einmal unter dem legendären Sergiu Celibidache begleitete, mag erklären, warum er sich auf Gergiev festlegte statt auf einen so profilierten Brucknerinterpreten wie Christian Thielemann. Gergiev kommt auch mit kurzen Statements zu Bruckners Musik zu Gehör, aber weitaus tiefgründiger erscheinen die Analysen seines Kollegen Kent Nagano, der ebenfalls  an dem Film mitwirkt.

Die Einbeziehung der Obertonreihe erzeuge einen Raumeffekt, der den Konzertsaal ausweite und den Eindruck erwecke, es entstehe ein Universum, sagt Nagano. Mit einer Kostprobe ist er im Film aber leider nicht zu erleben. Seine Ausführungen legen sich aus dem Off über Gergievs Interpretationen. Das irritiert und erscheint nicht ganz fair. Zudem erschließt sich nicht, warum Reiner Moritz mit Simon Rattle noch einen dritten Dirigenten mit einem einzigen knappen Statement einbringt.  Immerhin eine künstlerische Qualität aber muss man dem Filmautor Reiner E. Moritz zugutehalten: Dass er die musikalischen Ausschnitte großzügig bemisst. Insbesondere der guten Tonqualität wegen  lohnt die Dokumentation „Anton Bruckner-Das verkannte Genie“ deshalb trotz seinem etwas verkopften Anstrich einen Besuch im Kino.  Kirsten Liese


Foto:
© Verleih