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Kategorie: Film & Fernsehen
daniel Bartolsz bieleniaSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. September 2020, Teil 3

Claus Wecker

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – »Jeder von uns ist ein Priester von Christus«, sagt der Gefängnisgeistliche Tomasz (Lukasz Simlat), und diesen Satz nimmt sich der junge Daniel (Bartosz Bielenia) zu Herzen. Er steht kurz vor seiner Entlassung und möchte so gerne Priester werden. Doch Vater Tomasz sagt ihm, kein Priesterseminar in Polen werde einen aufnehmen, der aus einer Jugendhaftanstalt kommt.

In einem Sägewerk in der Provinz soll sich Daniel bewähren. Im nahegelegenen Dorf ist allgemein bekannt, dass jugendliche Straftäter dort eine Chance bekommen. Als Daniel in der Fabrik ankommt, nimmt niemand Notiz von ihm.

Da geht er erst einmal in die Kirche, lernt dort eine junge Frau kennen und gibt sich bei ihr als Priester aus. Eliza (Eliza Rycembel) staunt nicht schlecht. Einen Pfarrer hat sie sich anders vorgestellt. Doch der Fremde zieht eine Soutane aus seiner Reisetasche.

Auch im Pfarrhaus wird nicht nach Papieren gefragt, denn dem alten Vikar macht sein Alkoholismus zu schaffen. Da kommt ein Vertreter für eine Auszeit gerade recht. Die Kurie muss ja nichts davon erfahren.

Überhaupt der Alkohol! Eine Gruppe junger Leute ist bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Alkohol soll im Spiel gewesen sein, heißt es. Das Dorf gedenkt noch immer der Opfer, Ewa Kobielski (Barbara Kurzaj), die Witwe des schuldigen Fahrers ist geächtet. Sie bewahrt die Urne ihres Mannes im Haus, der »Mörder« soll nicht neben seinen Opfern die letzte Ruhe finden.

In dieser brisanten Gemengelage findet sich Daniel ziemlich schnell zurecht. Die erste Beichte nimmt er mithilfe seines Smartphones ab. Bei seiner ersten Predigt erinnert er sich einfach an die Worte seines Vorbilds Tomasz, dessen Namen er sich auch zugelegt hat. Er wolle nicht mechanisch predigen, er hoffe, die Gläubigen seien nicht hier, um eine Pflicht zu erfüllen, Gott folge ihnen überall hin. Die Gemeinde staunt über den neuen Stil, nur die strenge Küsterin Lidia (Aleksandra Koniecza) behält ihn kritisch im Blick.

Um bei der Gemeinde die Trauerarbeit in Gang zu setzen, setzt Daniel alias »Vater Tomasz« seine Erfahrungen aus den Selbsterfahrungsgruppen im Knast ein. Vor der Gedenktafel an der Hauptstraße initiiert er eine Art von Teufelsaustreibung, in der die Angehörigen ihre Trauer und Wut herauslassen.

Erst als sich »Vater Tomasz« mit Bürgermeister Walkiewicz (Leszek Lichota) anlegt und auf einer Beisetzung des Unfallfahrers im örtlichen Friedhof besteht, beginnt sich sein Blatt zu wenden.

Aber ist Daniel ein Fake-Priester? Oder ist er ein zeitgemäßer Pfarrer, den sich die Kirche wünschen sollte?

Ein Naturtalent ist er allemal. Einer, der zuhören kann und ein Gespür für Menschen hat. Dabei kein Heiliger, er trinkt Alkohol (auch er), raucht Zigaretten, ist einem Joint nicht abgeneigt, und mit der Lidia aus der Kirche läuft er nicht nur herum, sondern verbringt auch eine Nacht mit ihr, in der es zur Sache geht.

Daniel, den man nur einmal am Anfang beten sieht, ist jedenfalls kein Suchender. Er ist ein Zerrissener, der den jugendlichen Rebell in sich spürt. Aber für eine religiöse Figur ist er zu selbstgewiss. Indem er diesen selbsternannten Gottesmann das Paradies auf Erden proklamieren lässt, verspielt der Film seine spirituellen Möglichkeiten. Der Vergleich mit Robert Bresson und George Bernanos, den der Kritiker des von der Katholischen Filmkommission für Deutschland herausgegebenen Internetmagazins »Filmdienst« gezogen hat, geht deshalb in die Irre. »Corpus Christi« verhandelt ein im Grunde religiöses Thema auf säkularer Ebene und ist gerade deshalb einer der Favoriten für den Europäischen Filmpreis.

Claus Wecker

CORPUS CHRISTI (Boze Cialo)

von Jan Komasa, PL/F 2019, 116 Min.

mit Bartosz Bielena, Eliza Rycembel, Aleksandra Konieczna, Tomasz Zietek, Leszek Lichota, Lukasz Simlat

Drama / Start: 03.09.2020



Besetzung

Bartosz Bielena
Eliza Rycembel
Aleksandra Konieczna
Tomasz Zietek
Leszek Lichota
Lukasz Simlat