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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2020 09 17 um 09.36.20Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. September 2020, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wäre ein Film über Jean Seberg in Europa gedreht worden, wäre es ein ganz anderer Film geworden. Und zwar wirklich ein ganz anderer. Für Europa nämlich war diese junge amerikanische Schauspielerin, die mit Aplomb in dem die Nouvelle-Vague einläutenden  Film von Jean-Luc Godard  Außer Atem (1960) als Patricia Franchini eine amerikanische Studentin verkörperte, die erst mit dem zum Kriminellen gewordenen Michel (Jean-Paul Belmondo) liiert, ihn dann an die Polizei verrät, für Europa war sie in der Nachkriegszeit die Verkörperung des jungen frischen Amerika.

Schon damals war sie mit einem Franzosen verheiratet, wurde aber nicht nur durch Außer Atem zum Kultstar der neuen Kinowelt, sondern ab 1962  als Ehefrau von Romain Gary, dem Bestsellerautor und skandalumwitterten Diplomanten und Piloten - man weiß heute einfach nicht mehr, welche dominierende Rolle er  in der literarischen und mondänen damaligen Welt  spielte - auch in der intellektuellen Welt zu Hause. Und als frische junge Frau aus Amerika mit blonder Kurzhaarfrisur war sie für junge Mädchen in Europa eine Stilikone, was ihre Kleidung noch unterstrich. Als sie im September 1979 tot und verwesend in ihrem Wagenin Paris  aufgefunden wird, als sie schon neun Tage vermißt worden war, war dies eine der großen Erschütterungen der Zeit, zumal ihr Abschiedsbrief lautete: "Vergebt mir. Ich halte meine Nerven nicht mehr länger aus." Für die filmbegeisterte und intellektuelle - was damals dasselbe war - Jugend Europas war das auch ein Mord des alten versifften Europas an dem jungen frischen Amerika, das erst mit Louis Armstrong und dann mit Elvis Presley frischen Wind in die Musik, mit Allen Ginsberg, Henry Miller, Arthur Miller u.a. diesen in die Literatur brachte und mit Rock'n Roll , Peticoat und Pferdeschwanz die Jugendkultur als besseres Deutschland konstituierte. Dachten wir damals.

Doch dies ist ein amerikanischer Film, den der australische Regisseur Benedict Andrews mit Blick auf die von Jean Seberg  (Kirsten Stewart) plakativ untertützte Black Panther Bewegung der USA drehte, wobei der Schwerpunkt darauf liegt, wie sehr die Schauspielerin in die Mühlen der Geheimdienste geriet - und durchgedreht wurde. Der Film ist eher ein Kinothriller denn ein Biopic, auch wenn er so beginnt. Und mit diesem Blick auf die USA entlarvt sich auch die Begeisterung für die, damals von der Jugend Europas empfundenen Vorbildfunktion der Vereinigten Staaten als frei, gerecht und demokratisch als gut ausgedachter Fake. Von daher ist dieser Film als Desillusionierung äußerst geeignet.

Allerdings ist diese in Europa schon lange und breit eingetreten, von daher ergibt die Geschichte für uns nichts Neues, das Neue daran ist, inwieweit Jean Seberg durch den Überwachungsstaat  USA zermürbt, gemobbt und gejagt wurde. Der Beginn sagt schon alles. Der Beginn ihrer Filmlaufbahn und den des Films. Otto Preminger hatte sie unter 18 000 Gesichtern als das ausgesucht, das die Jean d'Arc seines Films von 1957 SAINT JOAN haben sollte. Bei den Drehaufnahmen, als sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, fängt sie wirklich Feuer und erleidet schwere Verbrennungen. Welch ein symbolischer Auftakt, für diesen Film wie für ihr wirkliches Leben. Sie fühlt sich der Black Panther Bewegung verbunden, die Unterdrückte befreien will, beginnt mit einem ihrer Führer, Hakim Jamal (Anthony Mackie) ein Verhältnis, das vom FBI überwacht wird. Hier verschränkt der Film dramaturgisch die Bewegungen: die Schauspielerin wird radikaler, der auf sie speziell angesetzte Geheimdienstler Jack Solomon (Jack O'Connell) wird ob ihrer Naivität und Unschuld an seiner Aufgabe irre und versucht, sie aus den Fängen des Geheimdienstes zu befreien, was sie nicht versteht, nicht will, auf jeden Fall einen Selbstmordversuch unternimmt. 

Der amerikanische Skandal ist da. Die Schauspielerin diskreditiert, so nützt sie den Black Panthers nichts mehr, zumal das Verhältnis mit Jamal  beide moralisch ins Unrecht setzt, die Bewegung braucht aber Moral! Ein Scheitern auf der ganzen Linie.

Kommen wir zur Besetzung der Jean Seberg durch Kristen Stewart. Auf äußerlicher Seite sehr gelungen. Von weitem ist die schmale Gestalt mit den raspelkurzen blonden Haaren ihr sehr ähnlich. Die Steward ist eine hervorragende Schauspielerin, sie spielt das alles toll. Nur wenn man Jean Seberg in ihren Rollen und in ihrem Leben kannte, ist sie einfach eine andere Person. Das bleibt bei Verfilmungen von Schauspielern immer das Problem, stärker, als wenn Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, der Literatur, der Kunst die in Filmen Porträtierten werden. Man kennt Schauspieler einfach von der Leinwand, von Bildern besser. Das Zerbrechliche, das Unsichere, das Irrende, das Suchende, das Jean Seberg einfach ausstrahlte, hat in diesem Film keinen Platz.

P.S. 
Erst im Nachhinein wundere ich mich, warum im Kontext der Ehe Seberg-Gary die Sprache nicht auf Marylin Monroe und Arthur Miller kam, die die bekannteste Verbindung einer Schauspielerin mit einem Schriftsteller war. Zwar war M.M. 12 Jahre älter, als die 1938 geborene Seberg, aber die Ehen beider liegen zeitlich nahe: M.M von 1956 - 1961, Sebergs  Liäson und spätere Ehe mit Gary dauerte von 1960 bis 1970.

Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG
Jean Seberg    Kristen STEWART
Jack Solomon    Jack O‘CONNELL
Linette Solomon Margaret QUALLEY
Dorothy Jamal Zazie BEETZ
Romain Gary    Yvan ATTAL
Walt Breckman     Stephen ROOT
Frank Ellroy.    Colm MEANEY
mit
Hakim Jamal  Anthony MACKEYund
Carl Kowalski.  Vince VAUGHN

STAB
Regie    Benedict ANDREWS
Drehbuch.  Joe SHRAPNEL Anna WATERHOUSE