Persischstundenalamodefilm2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. September 2020, Teil 7

Hanswerner Kruse

Berlin (Weltexpresso) - „Ach nee, nicht schon wieder Nazifilme“, war die Stimmung auf der letzten Berlinale, als es um den Film „Persischstunden“ ging, der außer Konkurrenz in der Reihe Special Gala gezeigt wurde.

Doch der Streifen wurde aufgrund seiner skurrilen aber berührenden Geschichte begeistert gefeiert und kommt - verspätet durch Corona - erst jetzt in die Kinos. 
Dieser  sehenswerte Film changiert zwischen Grauen und Komik, erreicht aber nicht die kühne Gratwanderung zwischen diesen beiden Polen wie Roberto Benigni in seinem Film „Das Leben ist schön“ von 1997. Die Film-Geschichte (Inhalt siehe unten) beruht nicht ganz auf wahren Begebenheiten, sondern setzt sich - verdichtet - aus verschiedenen Erzählungen Überlebender zusammen. Meistens hält der Film glaubwürdig das Gleichgewicht zwischen Komik und Entsetzen - das Lachen bleibt einem oft im Hals stecken.

Doch die Erschießungen der jüdischen Menschen am Anfang, dann ein Transport mit gutgenährten nackten Toten ins Krematorium: Das geht gar nicht! Das Grauen der Nazi-Verbrechen ist filmisch nicht darstellbar, dieses Thema hat Claude Lanzmann intensiv beschäftigt und er hat alle Versuche in dieser Richtung kritisiert. Christian Petzold hat zu recht in „Phoenix“ seine Anfangsszene gestrichen, in der Nina Hoss schwer verletzt die Erschießungen überlebt. Dagegen ist die Alltagsbrutalität in „Persischstunden“ durch sadistische Nazis cineastisch vertretbar und macht immer wieder deutlich, wo wir uns befinden: Auf jeden Fall nicht in der Küche eines Luxusrestaurants...

Zum Inhalt:
Als Nazihorden die Juden eines Lagers ermorden, kann sich ein Mensch retten: Kurz zuvor hatte er ein Stück Brot gegen einen persischen Bildband getauscht, dieses Buch macht ihn als „Perser“ glaubwürdig für den SS-Hauptsturmführer Koch (Lars Eidinger). Der will unbedingt Farsi lernen, um nach dem Krieg in Teheran ein deutsches Restaurant aufzumachen. Im Konzentrationslager ist er der Küchenchef und glaubt, nicht an den Nazi-Verbrechen schuldig zu sein - er koche ja nur das Essen.

Nun soll Gilles alias Reza (Nahuel Pérez Biscayart) ihm die persische Sprache beibringen. Die ersten selbst ausgedachten Worte kann Reza sich noch merken, aber dann wird es schwierig. Doch weil er auch so schön schreiben kann, soll er die Lagerlisten führen. Das bringt ihn auf die Idee, Silben aus den Namen der Gefangenen zu nehmen und in Farsi umzuwandeln. Doch je mehr Worte der SS-Mann Koch lernt und sich mit Reza sogar in Farsi unterhält, umso gefährlicher wird die lebensgefährliche Lügengeschichte. Sie eskaliert, als Reza bei einem Offiziers-Picknick die Worte für Baum und Brot verwechselt.

Koch verprügelt ihn brutal und verdammt ihn dazu, sich im Steinbruch totschuften zu müssen. Als Reza nachts entkräftet im Fieberwahn auf Persisch schreit, glaubt Koch ihm wieder und lässt sich nach dessen Genesung weiter von ihm unterrichten. Parallel zur Perser-Geschichte werden im Film die skurrilen Eifersuchtsdramen zwischen weiblichen Küchenhilfen und Soldaten erzählt sowie sexualisierter Klatsch aus dem Offizierskasino kolportiert. Auch das macht den Film zusätzlich spannend, obwohl man ja gleich zu Anfang erfährt, dass Gilles das Lager überleben wird.

Aber im Mittelpunkt des Films steht die Beziehung zwischen dem Nazi und dem Perser. Obwohl Eidinger einen schneidigen, tobsüchtigen SS-Mann spielt, öffnet er sich gegenüber Gilles. Er zeigt seine verletzlichen Seiten und schreibt sogar ein Gedicht auf Farsi. Biscayart kämpft schlau und listig um sein Leben, verfällt aber immer wieder in tiefe Verzweiflung, wenn er die alltäglichen Quälereien und Massaker der Nazis miterleben muss. Am Ende können beide Männer fliehen, was aus dem Nazi wird verraten wir hier nicht. Der Perser Rezi darf wieder Gilles sein, jüdischer Belgier, der sich über seine Lügengeschichte an die Namen von 2480 Ermordeten erinnern und den britischen Alliierten von ihnen berichten kann.

Foto:
Alamode-Film

Info:
„Persischstunden“, Deutschland/Russland 2019, 127 Minuten. Filmstart 24. September 2020. Regie Vadim Perelman, mit Nahuel Pérez Biscayart, Lars Eidinger
u.a.