Bildschirmfoto 2020 10 07 um 22.29.51Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Oktober 2020, Teil 5

Corinne Elsesser

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In ihrem ersten abendfüllenden Film erzählt die australische Regisseurin Shannon Murphy eine Geschichte über das Erwachsenwerden. Als die Schülerin Milla Finlay eines Morgens auf ihre S-Bahn nach Sydney wartet, springt sie plötzlich aus dem Nichts ein junger, ziemlich wilder Mann an, der sie fast mitgerissen und vor den Zug geworfen hätte, sich aber schnell umgedreht und die Hände ausgebreitet hat, als wolle er sie vor dem gerade einfahrenden Zug retten.

Diese Geste fasziniert das Mädchen. Der junge Mann, der sich als Moses vorstellt, scheint aber mehr an ihrem Geld interessiert zu sein und fragt sie nach einem Betrag, der ihm dann aber doch zu großzügig erscheint. Schnell macht Milla den Vorschlag, er könne ihr dafür ja einen Gefallen tun - und hat ihn für sich gewonnen.

Diese erste Begegnung der beiden Protagonisten ist so überraschend in Szene gesetzt, so nah am Pulsschlag der Jungendlichen, dass man sofort bereit ist, durch all die Höhen und Tiefen mitzugehen, die dieser kurze und intensive Lebensabschnitt so mit sich bringt.

Milla lädt den faszinierenden, offensichtlich drogensüchtigen Moses, der zuhause hinausgeflogen ist und sich mit kriminellen Deals durchs Leben schlägt, kurzerhand zum Abendessen bei ihren Eltern ein, auch um diese ein wenig zu schockieren. Sie bleiben aber ungewöhnlich cool. Auch als Moses nach Tagen noch einmal zu der eleganten Villa am Stadtrand zurückkehrt, diesmal als Einbrecher, um sich mit Medikamenten zu versorgen, reagieren die Eltern überraschend gelassen. Was zunächst etwas skurril und schräg scheint, zeigt einmal mehr, wie sehr der Blick der Tochter auf ihre Eltern den Erzählstil des Films bestimmt. In Millas Augen sind sie nicht weniger drogenabhängig. Ständig ist die Mutter damit beschäftigt, die vom Vater empfohlenen Beruhigungsmittel in der richtigen Reihenfolge einzunehmen und der Vater spritzt sich schon mal eine Ladung Morphium auf Rezept seiner Patienten. Um ihre Tochter sind beide sehr besorgt, denn sie ist unheilbar krank. Als ihr eines Tages alle Haare ausfallen, kommt mit der Gewissheit ein tragischer Zug ins Spiel, der allerdings Millas Blick auf die Absurditäten des Lebens und der Erwachsenen nicht verstellen kann.

Eliza Scanlen - aus Greta Gerwigs „Little Women“ noch in Erinnerung - gibt Milla als anmutige und ernste Tochter, die ihre Eltern zwar gerne bis an die Grenzen herausfordert und ihren eigenen Träumen folgt, die aber sehr genau weiß, wie es um sie steht.

Dieses Changieren zwischen Vernunft und einem ironischen Blick auf das Leben und insgesamt die Nähe zu den jugendlichen Protagonisten machen den Film zu einem besonderen Beitrag zum Thema Krebs, der den Zuschauer nicht wie sonst traurig und resigniert zurücklässt.

"Babyteeth", so der Originaltitel, ist eine Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Rita Kalnejais, die auch das Drehbuch schrieb. Der Film kommt mit wenigen, aber zu Bestleistungen motivierten Schauspielern aus. Ben Mendelsohn, der sowohl als Charakterdarsteller in "The Place behind the Pines" als auch in Blockbusterproduktionen wie "Rogue One: A Star Wars Story“ oder "Captain Marvel" überzeugte, spielt Millas Vater, einen sehr gelassenen Psychiater, neben dem Essie Davis als seine Ehefrau sehr viel emotionaler wirkt. Für seine mitreissende Darstellung des exzentrisch vereinnahmenden Moses wurde Toby Wallace bei der Premiere des Films in Venedig 2019 als Bester Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet. Der Film insgesamt erhielt von der Jugend-Filmjury der Deutschen Film- und Medienbewertung mit 5 Sternen eine Bestwertung..

Foto:
© Verleih

Info:
Milla meets Moses (Originaltitel: Babyteeth),Australien, 2019
Regie: Shannon Murphy
Drehbuch: Rita Kalnejais
Darsteller: Eliza Scanlen, Toby Wallace, Essie Davis, Ben Mendelsohn, Emily Barclay, Eugene Gilfeder