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Kategorie: Film & Fernsehen
 Schwesterlein NinaHossVegaFilmHanswerner Kruse im Gespräch mit Nina Hoss

Hanswerner Kruse

BERLIN (Weltexpresso) - „Pelikanblut“ und „Schwesterlein“ - erst im Herbst kamen zwei Filme mit Nina Hoss in die Kinos, die bereits vor der Corona-Pandemie anlaufen sollten. In „Pelikanblut“ spielt sie Wiebke, eine Mutter, die mit allen Mitteln um das Vertrauen ihres zweiten Adoptivkindes Raya kämpft. Der Streifen „Schwesterlein“ zeigt sie als Lisa im Ringen mit dem Tod des kranken Zwillingsbruders (siehe Filmbesprechungen unten).
In beiden Filmen hat man das Gefühl, dass die Schauspielerin selbst an ihre Grenzen geht. Aber gar nicht durch dramatisches oder exzessives Spiel, sondern durch spürbare Einfühlung in die Figuren und die Authentizität ihrer Darstellung. Beide von ihr gespielten Frauen kämpfen (scheinbar) mit fehlender instrumenteller Vernunft und akademischer Logik - ohne Rücksicht auf ihr mahnendes Umfeld - gegen ein unabänderliches Schicksal. Im Gespräch geht Nina Hoss tief in die Details, sagt aber viel Allgemeines über die von ihr dargestellten Frauen und ihre Arbeit.

Frage: Sind die beiden Figuren besessen oder sind sie voller Glaube, Liebe, Hoffnung?

(lacht) Ich kann die Kraft beider Frauen individuell erklären: Wiebke weiß in „Pelikanblut“ als „Horsemanship“-Frau,hier sagt man fälschlich Pferdeflüsterin, dass Tiere trotz schlechter Erfahrungen mit Menschen wieder Vertrauen gewinnen können: Ohne Druck und Gewalt. Was sie da verstanden hat, will sie auch mit ihrem neuen Adoptivkind verwirklichen. Sie ist ja eine unglaublich einfühlsame Frau, die Vertrauen herstellen kann.

Den beiden Mädchen aus Bulgarien, nur da darf man sie als alleinerziehende berufstätige Frau adoptieren, will Wiebke auf ihrer „Ranch“ größtmögliche Freiheit und Entwicklungsmöglichkeit gewähren. Jetzt funktioniert das aber nicht so, wie sie es sich vorgestellt hat. Was heißt das, wenn ich auf Widersprüche, auf Hindernisse stoße? Wie schnell sage ich, ach, das lasse ich sein und gebe den anderen auf...

Frage ...das ist in Wiebkes Leben nicht vorgesehen?

Nein, sie glaubt daran, dass sie mit Geduld und stetiger Zuwendung das Kind erreicht. Durch ihren Umgang mit Pferden weiß sie ja, dass es ist möglich ist. Als Wiebke einfach nicht mehr kann und Raya ins Heim geben will, spürt sie ein Zeichen als das Mädchen plötzlich „Mama!“ ruft. Man weiß nicht, ob Raya sich verstellt, aber in dem Moment öffnen sich bei Wiebke wieder Türen: Das geht nicht, ich werde mir nie verzeihen, wenn ich jetzt aufgebe... Das ist ihr Antrieb. Vielleicht ist das sogar eher ihr Weg als Rayas, dass sie selbst durch alle Strecken hindurch muss. Manchmal wirst du durch jemanden, der dir nahesteht, dazu gezwungen.

Das bringt uns zu Lisa in „Schwesterlein“...

Frage ...sie wird durch die Krankheit des Bruders herausgefordert?

Ja, der Bruder hadert, kämpft, ringt mit der tödlichen Krankheit und Lisa begibt sich mit ihm auf die Reise. Er fordert sie in gewisser Weise heraus und die Trauer, das Drama geben ihr auch Kraft. Weil sie nicht wegrennt und die schwere Lebensaufgabe gemeinsam mit ihm durchsteht, entsteht diese Power. Also wenn es etwas Positives am Tod eines geliebten Menschen gibt, dann dass die Zurückbleibenden sich bewusst werden, worum es für sie in ihrem Leben geht. Dass sie spüren, wie schnell und zerbrechlich dieses Leben ist. Aber beide Film-Geschichten sind trotz aller Dramatik auch die Suche nach dem Licht, nach der Kraft die daraus entsteht, wenn man zusammen durch das Dunkel geht.

Frage: Zurück zu Lisa, sie will nicht wahrhaben dass er stirbt...

...es gibt ja die verschiedenen Stadien der Trauer, erst kommt die absolute Ablehnung, Verdrängung, dann die Akzeptanz.

Frage: Sie kommt über die Akzeptanz des Sterbens auch zu sich? Ihr Mann schnauzt sie an, „Du bist überhaupt nicht bei Dir“...

...ja, und sie kontert, „ich war noch nie so bei mir wie jetzt.“

Als der Bruder medizinisch nichts mehr mit sich machen lassen will, sinkt die Akzeptanz auch in sie ein. Und dadurch, dass er nicht nachlässt sie zu fragen, warum schreibst du nicht? Das bist du doch auch, so wie du über mich redest, der Schauspieler muss spielen, sonst stirbt er früher als man gucken kann. Darum musst du schreiben. Man braucht als Künstler - sonst wäre man es nicht - das sich Ausdrücken, das Malen, Schreiben, auf der Bühne stehen. Du platzt sonst - oder du verkümmerst wie Lisa in ihrer uninspirierenden Umgebung in der Schweiz...

Frage: ... also die Entmündigung durch den Mann, der für sie zu entscheidet. Der Zwang in seiner Musikschule zu repräsentieren...

Ja, der versteht nichts, aber sie ist ganz bei sich. Sie glaubt erneut an ihre Kraft als Künstlerin, die schenkt ihr der Bruder jetzt gleichsam wieder.

Frage: Wie war die Einfühlung in ihre Figuren und die Zusammenarbeit mit Lars Eidinger, der ja im Theater gerne im Brecht’schen Sinne etwas zeigt und zugleich wieder aussteigt?

Im Film finde ich das schwierig, denn ich möchte, dass du als Betrachter für zweieinhalb Stunden in ein anderes Leben versinken kannst.

Ich suche im Spiel eher nach den Momenten, wo sich was wahrhaftig anfühlt. Dahin kann ich eigentlich nur kommen, wenn ich mich so gut wie möglich auf die Rolle vorbereite, wenn ich im Spiel keine Fragen mehr an die Situationen, an die Figur habe. Egal was dann passiert, wenn die Kamera läuft, möchte ich aus der Figur heraus agieren und reagieren können. Dass ich weiß, was die alles mit sich trägt (lacht), ob sie frei ist, ob sie was zurückhält, ob sie scheu ist, ob sie offen ist... Diese Dinge verändern ja alles in der Reaktion.

Mit Lars war das so phänomenal, wir vertrauen, respektieren, bewundern uns in der jeweiligen Arbeit. Das größte Glück war immer, wenn die Klappe fiel und ich wie ein Kind gespannt in die Szene gehen konnte, mal gucken was er jetzt macht. Wenn ich was anders mache, wie reagiert er darauf... Also man hat diese Freiheit - und es ist eine „Todesanzeige“, wenn ein Kollege sagt, wenn du das so machst, kann ich nicht reagieren. Dann passiert ja nichts... Bei Lars ist das überhaupt nicht so, weil er nach dem Unbekannten sucht und mir geht das genauso.

Nina Hoss & Hanswerner Kruse 2015Nina Hoss und Hanswerner Kruse (2015 im Gespräch über "Phoenix")

Wer ist Nina Hoss?
Mit gerade 20 Jahren wurde die Schauspielschülerin Nina Hoss mit dem TV-Film „Das Mädchen Rosemarie“ (1995) bundesweit bekannt. In dem Streifen des Erfolgsproduzenten und Regisseurs Bernd Eichinger („Der Untergang“) spielte sie mit unglaublicher Differenziertheit die junge Edelprostituierte Nitribit und begeisterte die Kritiker. Viele erwarteten, dass sie nun ihren plötzlichen Ruhm nützen würde, um in populären Filmen zu spielen. Doch sie besuchte weitere drei Jahre die renommierte Ernst-Busch-Schule, die sie als Erfahrungs- und Experimentierfeld nutzen wollte.

Nach ihrem Abschluss musste sie im Theater und beim Film ganz von unten anfangen, doch sie setzte sich schnell im Deutschen Theater durch. Hoss spielte unter Einar Schleef und anderen anspruchsvollen Regisseuren. Sie arbeitete zwar in einigen Bestsellerverfilmungen mit, interessierte sich aber auch für kleine unabhängige Filme mit niedrigem Budget. Etliche Streifen drehte sie mit dem Arthouse-Regisseur Christian Petzold, beide hatten mit „Barbara“ (2012) den ersten internationalen Erfolg.

Von Rainer Rother erschien bereits 2009 ihr frühes Porträt: „Nina Hoss – Ich muss mir jeden Satz glauben“. Der Autor beschreibt auf der Grundlage zahlreicher eigener Interviews das Verhältnis von Hoss zu ihren Rollen, den Unterschied, den sie zwischen Theater und Film macht und warum sie sich nicht auf bestimmte Typen festlegen lassen will. Das hervorragende Buch kostet 9,95 Euro.

Filmbesprechungen:
"Pelikanblut"
"Schwesterlein"