Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen
photobigliothe.chZum heutigen dreißigsten Todestag von Graham Greene, Teil 2/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es gibt für mich keinen Filmhelden, der so verführerisch wie Orson Welles als Harry Lime in DER DRITTE MANN agiert, obwohl er dann zum Oberschurken, ach was, zum üblen Verbrecher in dem Film von 1949 wird. Und ich kann diesen Film sozusagen täglich wiedersehen, was ich nicht tue, aber könnte! Kaum einer weiß, daß der Film ein Jahr vor der Buchausgabe entstand, daß aber Graham Greene vor seinem Filmskript die Geschichte als Erzählung niederschrieb.

DerDritteMann DVD 2D 1 scdetail600Die „dünne Kurzschrift eines Filmmanuskripts“ lasse nicht ausreichend Stimmung und Atmosphäre wiedergeben, war sein Credo, das er auch im Vorwort seines gleichnamigen Romans niederschreibt, der 1950 erschien. Aber daß der Titel DER DRITTE MANN bis heute ein Kulturbegriff ist, hat eindeutig mit dem Film zu tun, bei dem man sofort Wien assoziiert und die Nachkriegszeit. Darum war DER DRITTE MANN im vorvorigen Jahr auch zum 50jährigen Filmjubiläum in aller Munde, einschließlich einer wunderbaren technischen Aufrüstung des Films als DVDs von Arthaus, der Film und eine weitere DVD mit den Extras. Sehr zu empfehlen.

Bildschirmfoto 2021 04 03 um 01.50.54Brigitte Timmermann hat in einem großformatigen Bildband von 287 Seiten aus dem Verlag Czernin mit Bild-Essays von Frederick Baker AUF DEN SPUREN EINES FILMKLASSIKERS die Hintergründe des Films, seine Produktion in Wien und mit den herrlichen Schwarzweißbildern herausgegeben, auf den wir gleich eingehen.

Aber zuvor, wer die Geschichte nicht kennt, kurz den Inhalt von Film, Erzählung und Roman.

Wien um 1948. Österreich bleibt bis zum 15.5. 1955 von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs besetzt, die sich in Wien – wie gleichzeitig in Berlin – die Stadt aufteilen. Der amerikanische Schriftsteller Holly Martins will seinen Freund Harry Lime in Wien besuchen, doch als er ankommt, wird sein Freund am selben Tag beerdigt. Ein britischer Offizier erzählt ihm zudem etwas nicht Glaubhaftes. Sein Freund sei ein schlimmer Schwarzhändler gewesen. Das läßt Holly Martins nicht auf seinem toten Freund sitzen. Außerdem sind die Todesumstände doch sehr seltsam. Der Hausmeister in dem Haus, wo sein Freund wohnte, verwickelt sich in Widersprüche, auf welche Weise Harry Lime auf der Straße unter die Räder kam.

Martins sucht nach Anna, der Geliebten von Harry, die aus dem russischen Sektor geflohen ist, und sich immer wieder seltsam verhält, ihm aber helfen will. Das, was er herausfindet, kann er nicht glauben, aber die Beweise sind erdrückend. Harry hat Penicillin verhökert, das in der Nachkriegszeit für die vielen Krankheiten, vor allem für Kinder lebensnotwendig war, das er aber des finanziellen Gewinns wegen verlängerte und damit unbrauchbar, ja lebensgefährlich wurde für den, der es injiziert bekam.

photobibliothek.chUnd dann, diese Szene vergißt man sein Leben nicht, fällt aus einem Hauseingang ein leichter Schatten, und eine Katze streicht um einen Fuß, den man auf einmal sieht, bevor klar wird, daß der eigentlich tote Harry Lime lebendig ist. Harry versucht, den Freund in seine Machenschaften zu verstricken, verschwindet wieder. Doch Holly sucht jetzt den Freund, wobei er nach und nach Klarheit über dessen Verbrechen gewinnt, die ihn sicher sein lassen, daß Harry schuldig ist. Doch Anna, die verhaftet wird und am Zentralfriedhof an die Sowjets übergeben wird, wohin Holly geeilt ist, läßt ihn links liegen. Holly ist der Verräter, der ihren Geliebten ans Messer geliefert hat. Das Tolle, was Regisseur Carol Reed gelingt, ist bei aller Spannung eines echten Thrillers, den Zuschauer mit einem offenen Ende zu konfrontieren...

Es ist zuvörderst die Atmosphäre im Film, die dann zur Riesenradszene und zum irren Trip durch die Kanalisation von Wien führt – was man heute übrigens für Touristen nachstellt. Wien ist sozusagen Mitspieler, aber das eigentliche Thema ist für den moralischen Autor – und das ist kein abwertender, sondern für mich ein positiver Begriff – doch die Verkommenheit des gewinnsüchtigen Einzelnen, was die Verhältnisse in dieser geteilten Stadt fördert.

Der Film ist ein Klassiker, die Hauptdarsteller Orson Welles und Joseph Cotten Filmikonen geworden, die anrührenden Zitherklänge von Anton Karas vervollständigen das Bild. Der Film erhielt in Cannes 1949 den Großen Preis und 1951 den Oscar.

orsonwelles.orgMit der schwarzen Zither – ich habe übrigens eine aus Familienbesitz – und den Händen von Anton Karas beginnt der Bildband, der gleich in den Einleitungen auf diverse Feinheiten eingeht, was die Übersetzungen, auch die groben Übersetzungen aus dem Englischen angeht. Es sind fünf Männer, die Film + Buch möglich machen: Produzent Alexander Korda, mit dem übrigens Graham Greene befreundet war, der Co-Produzent David O. Selznick, der die Stars Jospeh Cotton und Alida Valli einbrachte, Produzent Karl Hartl, Direktor von Wien-Film sowie Regisseur und Produzent Carol Reed.

Nun folgen viele Bilder aus dem Film, aber auch Fotos vom Wien der damaligen Zeit. Das großherrschaftliche Treppenhaus, wo Portier Hörbiger Harry Lime verschaukelt. Ach und der zwielichtige Dr. Winkel. Und noch nie wußte ich, daß als erste Besetzung für Holly Martins Gary Grant und für Harry Lime Noel Coward vorgesehen waren. Mit dieser Vorstellung ging Greene auch ans Drehbuch heran. In einzelnen Kaptiteln wird der Film begleitet, wobei immer wieder die Drehbuchdialoge abgedruckt sind. Der britische Offizier Calloway, über den wir noch nicht sprachen, den Trevor Howard gibt, kommt hier ausführlich zu Wort.

„Martins: Ich schreibe Abenteuerromane.
Calloway: Ich habe noch nie von Ihnen gehört. Wie war doch Ihr Name?
Martins: Holly Martins.
Calloway: Nein, tut mir leid.
Martins: Kennen Sie ‚Der Todesreiter von Santa Fe‘?“

Doch neben den Filmbildern und dem Skript sind es die Ausführungen über das Wien der Nachkriegszeit, die jedem unter die Haut gehen. Wer den Film mag, ja liebt, für den ist dieses Buch ein Lebensbuch!

Foto:
Orson Welles als Harry Lime
©photobigliothe.ch
Cover
Riesenrad
©photobibliothek.ch
Orson Welles
©orsonwelles.org
Info:
Graham Greene, Der dritte Mann, Lizensausgabe für den Bertelsmannlesering mit Genehmigung des Paul Zsolnay Verlages Hamburg-Wien , printed in Germany Buch Nr. 1984

Timmermann, Brigitte/Baker, Frederick, Der dritte Mann. Auf den Spuren eines Filmklassikers, Wien Czernin Verlag 2002
ISBN 3 7076 0143 9

Der dritte Mann (Special Edition) , 2 DVDs
Großbritannien, 1949
FSK ab 12 freigegeben
Bestellnummer: 7578566
Erscheinungstermin: 16.7.2015
Serien: Filme, die man haben muss!,
Arthaus Thriller, 101 Min.
Regie: Carol Reed
Darsteller: Orson Welles, Alida Valli, Paul Hörbiger, Ernst Deutsch, Trevor Howard, Siegfried Breuer, Joseph Cotten
Originaltitel: The Third Man
Sprache: Deutsch, Englisch
Tonformat: Dolby Digital mono
Bild: 4:3 (s/w)