Leben Amanda TV1Französisches Drama am 14. April 2021 erstmals bei Arte

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) - Der 24jährige David (Vincent Lacoste) führt in Paris ein recht sorgloses Single-Leben, lebt in einem Ein-Zimmer Apartment und hält sich mit mehreren Jobs über Wasser. So kümmert er sich für seinen Vermieter um dessen andere Wohnungen in einem Wohnblock. Dort kommen sowohl regelmäßig neue Mieter als auch Touristen unter, die David dann am Bahnhof abholen muss. Daneben arbeitet er noch als Gärtner und Baumpfleger.

Jetzt kommt er mal wieder zu spät, um seine 7jährige Nichte Amanda (Isaure Multrier) von der Schule abzuholen, denn die indische Familie, der er die neue Wohnung zeigen muss, kam nicht nur zu spät, sondern auch viel zahlreicher als erwartet. Doch trotz seiner Unpünktlichkeit verstehen sich David, seine allein erziehende ältere Schwester Sandrine (Ophélia Kolb) und Amanda hervorragend. Sandrine arbeitet als Englisch-Lehrerin, denn die Mutter der Geschwister ist Britin und lebt aber schon sehr lange wieder in England. Ihr Vater, der die Beiden allein groß gezogen hat, ist inzwischen verstorben.

In eine der Wohnungen gegenüber von Davids Apartment zieht Léna (Stacy Martin) ein, die neu nach Paris gekommen ist und als Klavierlehrerin arbeiten möchte. David beginnt, sich für die junge Frau zu interessieren und lädt sie zu einem Picknick im Park mit Freunden seiner Schwester ein.

Doch von einen auf den anderen Tag ändert sich alles. David ist noch mit dem Rad unterwegs und kommt etwas zu spät zum Picknick als Polizei-Sirenen zu heulen beginnen und Krankenwagen losrasen. Er muss feststellen, dass in der Zwischenzeit während eines Amoklaufes auf die Gruppe im Park geschossen wurde und dabei Sandrine und andere Freunde getötet wurden. Léna hat zwar überlebt, wurde aber schwer verletzt.

Jetzt muss David nicht nur sein eigenes Leben auf die Reihe bringen, sondern auch entscheiden, ob er in der Lage ist, dauerhaft für Amanda zu sorgen, deren Vater die Vaterschaft nicht anerkannt hat. Denn außer ihm gibt es nur noch seine Tante Maud (Marianne Basler) und seine in England lebende Mutter Allison (Greta Scacci), zu der er schon seit 20 Jahren keinen Kontakt mehr hat. Überfordert mit der Verantwortung sucht er nach jeder möglichen Hilfe, denn neben Amanda ist da auch noch Léna, die durch das Attentat eine Handverletzung davon getragen hat und möglicherweise nie wieder Klavier spielen kann...


Leben Amanda TV2"Mein Leben mit Amanda" beginnt mit seinen sommerlichen Bildern wie eine typische französische Komödie über das unbeschwerte Leben von jungen Parisern aus der Mittelschicht. Doch Regisseur Mikhaël Hers erzählt in seinem wunderbaren Drama nach dem Drehbuch von Maud Ameline und ihm selbst sehr feinfühlig, warmherzig und jenseits aller Klischees, wie ein Leben nach einem Terrorakt plötzlich aus den Fugen kann. Es gelingt dem Regisseur in seinem Drama Themen wie Trauerarbeit und Verarbeitung von Schicksalsschlägen ausgesprochen behutsam zu behandeln.

Auch wenn Mikhaël Hers seinen Film an den Terroranschlag vom 13.11.2015 in Paris angelehnt hat, verzichtet er bewusst darauf, sowohl den Anschlag im Park als auch die Beerdigung Sandrines und ihrer Freunde zu zeigen. Es wird auch nie darüber gesprochen, wer für den Anschlag verantwortlich war. Er zeigt aber die Folgen für die Überlebenden und für die Stadt. Denn die wirkt erst einmal wie im Schock erstarrt. Die Straßen sind leer, die Polizei sperrt den Park ab und lässt auch David nicht hinein.

David selbst ist genötigt, ganz schnell erwachsen zu werden. Er muss mit seiner eigenen Trauer zurechtkommen, aber er ist auch gezwungen zu entscheiden, ob er in der Lage ist, Amanda auf Dauer zu sich zu nehmen. Er fühlt sich mit der Verantwortung überfordert und denkt kurz darüber nach, Amanda in ein Waisenhaus zu geben.

Eine der bewegendsten Szenen ist allerdings, wenn David und Amanda auf einer Parkbank sitzen, und David versucht für seine Nichte das Geschehen in Worte zu fassen und er beim Versuch beinahe emotional zerbricht. Als Zuschauer entwickelt man in diesem Moment grenzenloses Mitleid mit den beiden.

Aber auch für Amanda verändert sich mit dem Verlust der Mutter das Leben, denn sie übernachtet mal bei David und dann auch wieder bei Davids Tante Maud. Der Regisseur schafft es, mit diesen alltäglichen Szenen die Erschütterung des kleinen Mädchens zu zeigen, wenn z.B. David Sandrines Zahnbürste und Lippenstift in den Müll wirft und Amanda wütend wird, als sie das feststellt, worauf David alles sofort wieder an seinen angestammten Platz im Bad stellt.

Dann ist da auch noch Davids sich entwickelnde Beziehung zu Léna, die zwar letztendlich mit einer Armverletzung davon gekommen ist aber doch große Probleme hat, in den Alltag zurückzukehren und dies nicht nur, weil sie als professionelle Pianisten um ihre Hand fürchtet. Der Regisseur zeigt Lénas posttraumatische Belastungsstörung in einer kurzen Szene, als sie auf der Straße bei der Fehlzündung eines Autos in ihrer Nähe beinahe zusammenbricht.

Der Film lebt besonders von der großartigen Darstellung von Vincent Lacoste, der die verschiedenen Stimmungen Davids wunderbar natürlich darstellen kann. Die achtjährige Isaure Multrier steht ihm als Amanda mit der herzzerreißenden Trauer eines Kindes in ihrer ersten Rolle kaum nach.

Doch der Film zeigt nicht nur eine differenzierte Schilderung der Auswirkungen auf die Überlebenden, sondern auch dass es möglich ist, nach diesen schrecklichen Erlebnissen langsam wieder zu einer Normalität zurückzukehren. Das wirkt nie aufgesetzt, sondern entwickelt sich langsam, wenn David und Amanda zum Beispiel eine Fahrradfahrt durch London machen, wie es zu Beginn des Films Amanda mit ihrer Mutter in Paris getan hat.

Dass das Leben weitergeht und es zu einem Zusammenhalt von Onkel und Nichte kommt, zeigen auch die Szenen, in denen die beiden die noch von Sandrine gekauften Tickets für das Tennisturnier in Wimbledon benutzen und David auch endlich in der Lage ist, seine entfremdete Mutter zu treffen, und wie Amanda bei einem Match erkennt, dass man nicht nur im Sport, sondern auch im Leben niemals aufgeben darf und es selbst bei einem Spielstand von 0:40 noch die Möglichkeit zu einer Wende zum Positiven geben kann.

Keine dieser Szenen wirken theatralisch, sondern sie entwickeln sich ganz natürlich. Die langsamen Fortschritte der Beziehung zwischen David und Amanda auf der einen sowie David und Léna auf der anderen Seite zeigen die Momente auf, in denen der Film zu seiner anfänglichen Leichtigkeit zurückfindet.

Insgesamt ist "Mein Leben mit Amanda" ein hervorragend gelungenes Drama, das in der Lage ist, das ernste Thema trotz allem in einer wunderbaren Inszenierung darzustellen, die am Ende wieder zu der Leichtigkeit des Anfangs zurückfindet. Es ist ein unbedingt sehenswerter und bewegender Film entstanden, der einen akkuraten und feinfühligen Blick auf die überlebenden Opfer und die Hinterbliebenen nach einem Terroranschlag wirft. Der Film wird im Fernsehen als Erstausstrahlung bei Arte am Mittwoch 14.04.2021 um 20.15 Uhr gezeigt.

Foto 1: David (Vincent Lacoste) mit seiner Nichte Amanda (Isaure Multrier) © Pyramide, Arte
Foto 2: Léna (Stacy Martin) © Pyramide, Arte

Info:
Mein Leben mit Amanda (Frankreich 2018)
Originaltitel: Amanda
Genre: Drama
Filmlänge: 102 Min.
Regie: Mikhaël Hers
Drehbuch: Mikhaël Hers, Maud Ameline
Darsteller: Vincent Lacoste, Isaure Multrier, Stacy Martin, Ophélia Kolb, Marianne Basler, Greta Scacci, u.a.
FSK: ab 6 Jahren
TV-Start ist am Mittwoch 14.04.2021 um 20.15 Uhr bei Arte. Wiederholung am Montag, 26.04.2021 um 13.45 Uhr. Der Film ist in der Arte Mediathek online vom 07.04. bis 20.04.2021 verfügbar.