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Kategorie: Film & Fernsehen
roasaSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Juli 2021, Teil 23

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da hatte ich mich ja weit aus dem Fenster gelehnt, als ich über VOR MIR DER SÜDEN - eine liebevolle Hommage an Pier Paolo Pasolini, in dem Pepe Danquart dessen historische Italienumrundung mit dem Fiat Millecento nachfährt – als den Film bezeichnete, der mir bei den am 1. Juli angelaufenen der liebste und wichtigste ist. Es bleibt dabei, aber wie gut, daß ich differenzieren darf und vom Dokumentarfilm sprechen kann, weshalb dann ROSAS HOCHZEIT unter den anlaufenden Spielfilmen derjenige ist, welchen Sie unbedingt anschauen sollten. Unbedingt.

Erst recht wenn Sie aus dem Kino mit Lachen, mit Gefühl, mit Energie und einfach einer Liebe zu den Menschen, zu bestimmten Menschen herauskommen wollen. Was Regisseurin Iciar Bollain gelingt, ist wirklich erstaunlich, denn nach und nach laufen wir derart zu Rosa über, vertreten innerlich ihre Interessen, ärgern uns kaputt, wie dieser liebe Mensch sich immer wieder von Verwandten und Freunden ausnutzen läßt, so daß wir mit ihr hadern, daß sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird und immer wieder reinfällt darauf, daß andere ihre Hilfe so selbstverständlich in Anspruch nehmen und sie nicht NEIN sagt, nicht Nein sagen kann.

Dafür sagt sie am Schluß JA. JA zu sich selbst. Was ich im Film lange nicht glauben wollte, daß es wirklich auf eine Hochzeit mit sich selbst hinausläuft, und während des Zuschauens immer befürchtete, daß auf dem Weg zum Vorhaben sie dann Mister X. kennen- und lieben lernt und eine Wohlfühlkomödie mir den Spaß an ROSA verdirbt, habe ich erst im Nachhinein als gängige, wenngleich sicher seltene Praxis erfahren: sich selbst zu heiraten. Und hätte mir jemand davon nur erzählt, hätte ich als Reaktion sicher vom Egoismus der Heutigen, Ihrer Egozentrik, mangelnden Empathie oder Interesse für andere gesprochen. Aber der Regisseurin und dem Film gelingt es, die Hochzeit mit sich selbst als notwendige Befreiung von Rosa sinnlich für uns erfahrbar zu machen. Das ist schon erstaunlich, daß ich etwas, was ich im ‚fast wia im richtigen Leben‘ empört kommentiert hätte, im Film durch diese Frau Rosa für notwendig, ja folgerichtig halte.

Wenn das keine Verführung durch Film und Darstellung ist! Eine Verführung, bei der man sich köstlich amüsiert und die uns Menschen so widersprüchlich zeigt wie wir sind. Egoistisch und altruistisch, eher nehmend denn gebend. Schlecht, wenn das in einer Person so hundertprozentig zusammenkommt wie bei Rosa: altruistisch und gebend. Und das erkennt selbstkritisch Rosa immerhin kurz vor ihrem 45. Geburtstag. Immerhin. So kann, so darf es nicht weitergehen. Immer gehen andere vor. Als Kostümbildnerin schuftete sie sowieso die ganze Zeit am Limit, mit Nachtschichten, alles ganz selbstverständlich und immer sofot. Wenn ihr Bruder eheliche Probleme hat und die Frau stiften geht, gibt er die Kinder bei Rosa ab, der Vater muß zum Arzt. Wer ihn begleitet? Natürlich Rosa. Die Katze der Nachbarin, die wegfährt? Zu Rosa, wohin sonst. Blumengießen beim urlaubenden Nachbarn? Die alleinstehende Rosa!

Statt eines Zusammenbruchs, macht sie den Abbruch. Sie türmt einfach aus Valencia und schaut sich im beschaulichen, schönen Benicàssim am Mittelmeer um, wo ihre Mutter einen nun verwaisten Laden hatte, ein Mittelding zwischen Atelier und Schneiderei, wo wir Zeuge werden, wie Rosa über die Stoffe streicht und ein himmlisches Lächeln anzeigt, daß sie nun weiß, daß sie hier leben und Kleider entwerfen und verkaufen wird. Das ist schon mal schön. Aber dann kommen erst die eigentlichen Szenen, in denen ihre Lieben erfahren, daß sie heiraten wird – und natürlich an einen Mann denken. Nein, kein weiteres Wort. Es ist einfach zu komisch, wie alle reagieren, wobei es höchste Zeit ist, über ‚die anderen‘ zu sprechen.

Gerade weil Rosa, durch Candela Peña hinreißend wahrhaftig geworden, so speziell ist, die mit ungewöhnlichen Mitteln sich selbst heilt, paßt es, daß die anderen Personen durchaus klischeehafte Züge tragen. Es geht ja um die typischen Verhaltensweisen, die Übergriffe gegenüber Rosa selbstverständlich erscheinen lassen. Aber die Geschichte selbst ist nur die Hälfte der Miete. Die andere Hälfte ist das flirrende Drumherum, die Art wie wir mit Rosa fühlen, schmecken, ihre haptischen Empfindungen selber spüren, pure Sinnlichkeit, das Licht Spaniens, die Musik. Kein Wunder, daß der Film ein filmischer Sensationserfolg in Spanien wurde.

Foto:
©Verleih

Info:
BESETZUNG & STAB
Rosa       Candela Peña
Armando Sergi López
Violeta Nathalie Poza
Antonio Ramón Barea
Lidia Paula Usero
Rafa Xavo Giménez
Marga Paloma Vidal
Lolín Lucía Poveda
Laura María José

Regie   Iciar Bollain
Buch    Iciar Bollain & Alicia Luna