Mirai TV1Als Free-TV Premiere am Mittwoch, 4. August 2021 bei Arte

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) - Als Kun vier Jahre alt ist ändert sich sein Leben radikal. Bis dahin war er der Liebling seiner Eltern, doch jetzt bringen sie seine kleine Schwester aus dem Krankenhaus mit nach Hause. Nun haben sie überhaupt keine Zeit mehr für ihn, beachten ihn kaum noch, denn alles dreht sich nur noch um seine kleine Schwester Mirai.

Kun versucht durch Schreien und Toben auf sich aufmerksam zu machen, das hilft aber auch nicht weiter. Als er seine kleine Schwester zum Weinen bringt und später auch noch mit seinem Spielzeug-Zug schlägt, wird er erst recht von seiner Mutter ausgeschimpft.

Ganz schlimm wird es, nachdem seine Mutter wieder in ihren Beruf zurückgegangen ist, während sein Vater als Architekt zu Hause arbeiten und sich auch um die beiden Kinder kümmern will. Damit ist er allerdings zuerst einmal hoffnungslos überfordert.

Wenn Kun sich besonders verlassen fühlt, geht er in den kleinen Garten des Hauses, in dem ein magischer Familienbaum steht. Eines Tages begegnet er dort einem Mann, der sich als menschliche Verkörperung seines Hundes Yukko herausstellt und der sich darüber beschwert, dass Kun ihm die Liebe seiner Herrchen gestohlen hätte.

Darauf besucht Kun immer wieder den Garten und trifft dort auf verschiedene Verwandte in unterschiedlichen Lebensabschnitten aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft: seine kleine Schwester als 12Jährige, seinen inzwischen verstorbenen Urgroßvater als tatkräftigen jungen Mann trotz einer Beinverletzung aus dem 2. Weltkrieg, seine Mutter als kleines Mädchen, die sich über ihren jüngeren Bruder ärgert, und seinen Vater, der Probleme hat, Fahrrad fahren zu lernen.

Er lernt dabei, seiner Schwester zu helfen, überwindet mit seinem Urgroßvater seine Angst vor den Fahrrad fahren und sieht, dass auch seine Mutter als Kind eifersüchtig auf ihr jüngeren Geschwisterchen war.

Als er dann auch noch lernen muss, was für Folgen es hat, zurückgelassen zu werden, beginnt Kun die Wichtigkeit seiner Familie aus einer anderen Perspektive zu sehen und ist bereit, sich mit seiner neuen Schwester zu arrangieren...


Mirai TV2"Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft" ist ein Animationsfilm von Regisseur Mamoru Hosoda, der auch selbst das Drehbuch verfasst hat. Er hat darin Erlebnisse seiner eigenen Familie verarbeitet, nachdem er und seine Frau Eltern eines zweiten Kindes wurden.

In dem Film werden die Konflikte aus der Sicht des vierjährigen Kun gezeigt, der plötzlich nicht mehr der Prinz im Haus ist, sondern auf den zweiten Platz gedrängt wird. Dabei gehen immer wieder Kuns Geschrei und seine Wutausbrüche nicht nur seinen Eltern, sondern vermutlich auch den Zuschauern gewaltig auf die Nerven. Kun selbst erfährt recht bald, dass der Familienhund Yukko ihm gegenüber ähnliche Gefühle entwickelt hat, wie Kun sie jetzt gegenüber Mirai fühlt.

Mamoru Hosoda hat dabei die Problematik sehr genau beobachtet und sie auch in kleinen Szenen immer wieder eingefügt, z.B. wenn der Vater Kun in den Kindergarten bringt und der sich laut schreiend mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Er zeigt aber auch, dass sich nicht nur der kleine Junge schwierig verhält, sondern dass auch die Eltern Fehler machen, so dass es regelmäßig zu Problemen mit dem älteren Kind kommen muss.

Interessant ist auch, dass Kun in einer modernen japanischen Familie lebt, denn die Mutter geht nach kurzer Zeit wieder arbeiten und der Vater (der auch das für Japan untypische Haus entworfen hat) arbeitet als Architekt zu Hause, während er die beiden Kinder betreut. Dabei passieren natürlich immer mal wieder kleine Katastrophen, die der Vater aber lernt zu meistern.

Wunderbar und mit viel Slapstick sind die Szenen, wenn die ältere Mirai, der menschliche Familienhund Yukko und Kun gemeinsam versuchen, eine Vergesslichkeit des Vaters zu beseitigen und der dann plötzlich seine kleine Tochter nicht mehr in der Wippe findet.

Ganz langsam lernt Kun und damit auch die Zuschauer, seine gesamte Familiengeschichte in der Gegenwart, der Vergangenheit und auch in der Zukunft kennen - wie sich seine Urgroßmutter und sein Urgroßvater kennen gelernt haben, dass Kuns Mutter ihm doch sehr ähnlich war, dass sein Vater auch Probleme mit dem Fahrrad fahren hatte und vor allem, dass sich Mirai und Kun zu netten und verantwortungsbewussten Jugendlichen entwickeln werden. Diese nachdenklichen Momente machen einen großen Teil des Charmes des Filmes aus.

Toll sind auch die fantastischen Erlebnisse Kuns umgesetzt. Vor allem zum Schluss muss sich der Junge in einer für Kinder sicher verstörenden Vision damit auseinander setzen, was es bedeutet, auf einem riesigen Bahnhof verloren zu gehen. Er muss verhindern, dass er in einen abfahrbereiten Zug des Shinkansen, seines Lieblingszuges, hineingezogen wird, denn dort droht ihm ein Leben ohne Familie und er muss auch die kleine Mirai daran hindern, in den Zug zu krabbeln. In dieser Sequenz wird die positive Verbindung von Kun zu seinen geliebten Spielzeugzügen plötzlich ins Gegenteil verkehrt und durch das Gefühl verlassen zu werden sind sie auch angstbesetzt. Dadurch lernt der Junge, über seinen Schatten zu springen und seine kleine Schwester und damit auch sich selbst zu retten (und sich damit in der realen Welt mit ihrer Anwesenheit anzufreunden).

Durch die verschiedenen Erlebnisse im Garten erfährt Kun, dass seine Probleme nicht einzigartig sind, sondern dass es seinen Eltern in deren Kindheit nicht anders ergangen ist, denn schon seine Mutter war nicht nur auf ihren jüngeren Bruder eifersüchtig, sondern auch recht unordentlich, und auch sein Vater ist das eine oder andere Mal vom Fahrrad gestürzt. Er lernt ebenfalls, dass man die Angst vor dem Verlassen werden durch den Zusammenhalt von Geschwistern mildern kann - und dass man nicht unbedingt immer alles mit Geschrei durchsetzen muss.

Der Regisseur zeigt dabei Kuns reale Welt in sanften Pastelltönen, dagegen sind einige der Fantasiewelten doch recht dramatisch gestaltet. Da leuchtet plötzlich eine rotes Hexengesichts auf oder der verzauberte Eisenbahnzug und der ewig lange Bahnsteig wirken bedrohlich und düster.

"Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft" wurde 2019 für einen Oscar in der Kategorie "Bester Animationsfilm" nominiert, er hat allerdings gegen "Spider-Man: A New Universe" verloren. Der Film wurde von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) mit dem Prädikat "wertvoll" ausgezeichnet, da er die Zuschauer in eine andere Kultur entführt und dabei einen gelungenen Blick auf den Alltag von jungen Familien aus der Perspektive eines kleinen Jungen wirft.

Insgesamt ist "Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft" ein sehenswerter Animationsfilm. Er ist ganz sicher kein Film allein für Kinder, aber er ist wunderbar als Familienfilm geeignet, denn die angesprochenen Probleme können so oder so ähnlich in allen Familien auftreten.

Zusatz: Regisseur und Drehbauchautor Mamoru Hosoda hat Kuns Geschichte auch als Buch veröffentlicht. Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft ist 2019 als deutschsprachige Ausgabe beim Verlag Kazé Manga erschienen.

Foto 1: Kun © Studio Chizu / Arte
Foto 2: Die 12jährige Mirai © Studio Chizu /Arte

Info:
Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft (Japan 2018)
Originaltitel: Mirai no Mirai
Genre: Animation, Fantasy, Drama, Familie
Filmlänge: ca. 98 Minuten
Drehbuch und Regie: Mamoru Hosoda
Deutsche Sprecher: Peggy Pollow, Linus Drews, Julia Meynen, Fabian Oscar Wien, Nadine Heidenreich, Nina Herting, Hans Bayer, Matti Klemm u.a.
FSK: ab 6 Jahren
"Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft" wird am Mittwoch, dem 04.08.2021 um 23:55 Uhr als Free-TV Premiere bei Arte zu sehen sein.