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Kategorie: Film & Fernsehen
nahscshuß 2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. August 2021, Teil 10

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - DER HINTERGRUND: Bis 1968 wurde in der DDR das Todesurteil mit dem Fallbeil vollstreckt. Weil sich die Guillotine
mechanisch allerdings als zunehmend fehleranfällig erwies, ging man zu einer sichereren Methode über, die man auch als humaner begriff: den unerwarteten NAHSCHUSS in den Hinterkopf. Am 26. Juni 1981 war Werner Teske der letzte, an dem in der Leipziger Justizvollzugsanstalt im Gebäude des ehemaligen Königlichen Landgerichts die Todesstrafe vollstreckt wurde. Im Erdgeschoss der Leipziger Arndtstraße 48 wurden 64 Menschen hingerichtet, insgesamt wurden in der DDR 166 Personen auf Grund von Urteilen der ostdeutschen Justiz hingerichtet.

Offiziell wurde die Abschaffung der Todesstrafe durch den Staatsrat erst am 17. Juli 1987 beschlossen. Was gab für Sie den Ausschlag, die letzte Hinrichtung in der DDR als Grundlage für einen Spielfilm zu nehmen? Wie viel wussten Sie bereits über den Fall, wie viel über das Leben in der DDR? Der Fall Werner Teske war mir völlig unbekannt. Über die Todesstrafe in der DDR war ich am Rande in einem Zeitungsartikel aufmerksam geworden, in einem Nebensatz. Ich war erschrocken, ja geradezu schockiert, dass ich davon nichts gewusst hatte. Sicherlich maße ich mir nicht an, alles über die deutsche Geschichte zu wissen. Aber dass mir etwas so Schwerwiegendes völlig fremd war, machte mich betroffen.

Während der ganzen Erarbeitung des Stoffes habe ich dann aber, immer wenn ich jemandem davon erzählte, gemerkt, wie wenig im Bewusstsein unserer Gesellschaft verankert ist, dass es die Todesstrafe in der DDR gegeben hat. Mein Eindruck ist, dass es den meisten nicht bekannt ist. Nur wenige haben davon gehört, wissen aber meist nichts Näheres darüber. Für mich war klar, dass die Todesstrafe ein sehr wichtiger historischer Fakt ist. Ich wollte mehr wissen. Insgesamt habe ich das Drehbuch dann sieben Jahre lang entwickelt. Ich habe immer wieder aufs Neue recherchiert und habe immer wieder hinterfragt, ob das Drehbuch in seiner Mehrdimensionalität schon so dasteht, wie es nötig war.

zu zeigen, wie die Hinrichtung historisch stattgefunden hat. Ich war daher vor den Dreharbeiten auch mit der Szenenbildnerin von NAHSCHUSS, Anke Osterloh, und dem Kameramann Nikolai von Graevenitz in der Hinrichtungsstätte, der ehemaligen Hausmeisterwohnung des Leipziger Gefängnisses. Es war ein intensives Erlebnis, über das wir bis heute sprechen. Wir haben danach lange nach einer Wohnung gesucht, in der man diese Szene drehen kann. Sie sollte dem wahren Ort sehr nahekommen, damit man als Zuschauer nachvollziehen und erleben kann, was geschehen ist. Welche anderen Locations waren essenziell? Schon während des Drehbuchschreibens habe ich Originalorte, so sie denn noch existierten bzw. begehbar und recherchierbar waren, aufgesucht und mich oft stunden- und tagelang darin allein aufgehalten. Deshalb war ich oft in der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen. Dort befindet sich auch der Gefangenentransporter, in dem wir Lars Eidinger in der ersten Szene sehen. Gefangene wurden darin in eine nicht mal ein Kubikmeter winzige überhitzte Zelle ohne Frischluft gesperrt und teils stundenlang umhergefahren, ohne zu wissen, wohin. Das ging über körperliche und seelische Grenzen. Machtdemonstration, Demütigung und Desorientierung gehörten zum Konzept der Staatssicherheit. Davon erzählen auch Räume. In dem Gefängnistrakt in Hohenschönhausen drehten wir an mehreren Tagen vor dem Morgengrauen. Wir waren die Einzigen auf dem Gelände. Ich fand das für die intensive Wahrnehmung der Orte sehr dienlich. Ich war während der Drehbucharbeit auch immer wieder in der Mielke-Etage im Hauptquartier des Ministeriums für Staatssicherheit in der Berliner Normannenstraße, gar nicht weit vom Alexanderplatz entfernt. Dort ist die komplette Etage erhalten, wie sie unter Mielke ausgesehen hatte. Wir haben in einem Konferenzraum des ehemaligen MfS-Gebäudes gedreht. Auf dem Gelände, gegenüber von Mielkes Gebäude, befindet sich die Hauptverwaltung Aufklärung von Markus Wolf. Dort, also am Originalort, haben wir das Büro unseres Franz Walter aufgebaut. Auch drehten wir in einem ehemaligen Segelclub der Stasi. Der Aufenthalt an diesen Orten des Geschehens war entscheidend für mich. Wenn man nicht nur schnellen Blickes solche Orte streift, sondern mit dem Wissen um diese Orte sehr lange dort verweilt, beginnt die Einlassung, man beginnt zu fühlen und wirklich zu sehen. Auf diese Art sind Bilder für NAHSCHUSS in mir entstanden und wichtige Ideen für Handlungsdetails gewachsen. Dieses stille lange Beobachten kenne und pflege ich auch sehr in der Fotografie. Fotografie macht das Unsichtbare sichtbar. Und das gilt auch für die Bilder eines Films. Aber das braucht Zeit und Einlassung. Die Bilder sind genau komponiert; ihre Dichte raubt dem Zuschauer buchstäb

Bisher gibt es ein paar Publikationen, die das Thema Todesstrafe in der DDR behandeln. Aber weder in einem Roman noch im Kino ist das bislang thematisiert worden.


Das war die Initialzündung?

Die eigentliche Initialzündung war ein Foto von Werner Teske, auf das ich bei meinen Recherchen im Internet stieß. Es gibt nicht sehr viele Fotos von ihm, aber auf diesem einen Foto war er 38 Jahre alt – ein Jahr vor seiner Hinrichtung. Genauso alt war auch ich, als ich das Foto entdeckte. Das hat mich sehr berührt. Er hat einen sehr sensiblen Blick, aber es steckt noch mehr darin, so dass ich mich sofort gefragt habe: Was ist diesem Menschen passiert? Was ist vorgefallen, dass er hingerichtet wurde? Man macht Filme ja nicht über ein Thema – man macht Filme über Menschen. In der ersten Szene zeige ich meine Hauptfigur Franz Walter hinter Gittern, allein in einem Barkas, einem Wagen für Gefangenentransporte. Ich wollte, dass man sich als Zuschauer dieselben Fragen stellt, die auch ich mir gestellt habe, als ich das Foto von Werner Teske sah. Was ist diesem Menschen widerfahren; was passiert mit ihm?


Wussten Sie, wohin Sie diese Reise führen würde? War Ihnen bewusst, was am Ende herauskommen sollte?

Nein. Aber so ist das für mich in künstlerischen Prozessen immer. Erst einmal treibt mich eine Frage. So wie ich mich gefragt habe: Was ist diesem Menschen passiert? Die Leidenschaft, einer Frage zu folgen, zieht mich dann immer tiefer hinein und beim Auffächern der Frage stellen sich im Idealfall neue substanzielle Fragen: Passiert einem Menschen einfach etwas? Wo liegen Ursache und Wirkung? Können wir frei entscheiden? Wodurch können wir darin manipuliert werden? Wie erschafft man sich eine Bewusstwerdung für die Ursachen eigener Entscheidungen, die u.a. durch Erziehung, Gesellschaft und ein politisches System geprägt sind? Wenn Fragen für mich genug Substanz haben, werden sie zum Kern meiner Arbeit und es entsteht ein Werk daraus. In diesem Fall war für mich im Laufe der Entwicklung klar, dass ein Kinospielfilm ein geeignetes Medium ist. Mit den feinstofflichen gestalterischen Instrumenten eines Kinospielfilms habe ich die Möglichkeit die Komplexität dieser Fragen erfahrbar zu machen.


Die Recherche ist grundsätzlich ein journalistischer Vorgang: Man stellt Fragen. Man sammelt Wissen. An welchem Punkt beginnt für Sie die Arbeit als Künstlerin?

Das ist der Punkt, wenn man anfängt, das Recherchierte in eine Geschichte zu fassen. Aus einem ganzen Leben muss man für einen Film ja einen oder mehrere Aspekte herauslösen. Dieser Transfer ist ein künstlerischer Prozess. NAHSCHUSS ist kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm, in dessen Zentrum die Figur des Franz Walter steht. An einigen Stellen lehnt sich Franz an das Leben von Werner Teske an. Das betrifft beispielsweise die Rechtsgeschichte und die Hinrichtung. Andere Teile des Films sind fiktionalisiert. Das findet da statt, wo schlicht keine Recherche möglich war, oder es sinnvoll war, um die innere Entwicklung von Franz erfahrbar zu machen. Seine innere Entwicklung ist es ja, die das Thema emotional abbildet. Und darum geht es im Kino und besonders auch in einem Film wie NAHSCHUSS, in dessen Mittelpunkt durchweg ein einziger Mensch steht. Wenn es keine autobiographischen Aufzeichnungen einer historischen Figur gibt, bewegt man sich mit der Darstellung der Gefühlswelt auch per se im fiktiven Bereich. Man muss auch Entscheidungen treffen, an welcher Stelle man Bilder und Handlungen erschaffen muss, um einen psychologischen Prozess stufenweise zu verdeutlichen - wann man sich von Realität lösen muss, um wahrhaftiger und klarer zu sein, in der Dauer eines Films und in dem künstlerischen Medium Spielfilm. Die Ausformulierung von Franz‘ Wesen 
und diesen Transfer von Historie in Fiktion bzw. Teilfiktion, also eine filmische Handlung, würde ich dem künstlerischen Entwicklungsprozess zuschreiben. Die Arbeit als Künstlerin beginnt für mich generell aber vor allem in meinen Filmen dann, wenn ich beginne unter den unzähligen Möglichkeiten der dramaturgischen, visuellen und auditiven Mittel auszuwählen und daraus die Gesamtkomposition des Films zu formen. Die ganz eigene künstlerische Handschrift des Films entsteht daraus, sein Wesen.


DAS THEMA DES FILMS

Was war dieses Thema, das Sie interessiert hat?

Wie verhält man sich als Mensch in einem politischen System? Wie können politische Systeme Menschen manipulieren? Zwar geht es in NAHSCHUSS um das politische System der DDR, aber ich habe diese Fragen ganz generell verfolgt. NAHSCHUSS ist auch eine Fallstudie und die Vermutung, dass ein Weg wie der von Franz Walter so oder ähnlich auch in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft möglich ist. Wichtig ist mir eine Übertragbarkeit auf politische Unrechtssysteme im Allgemeinen. 

Darunter auch das Thema Todesstrafe. Noch heute wenden 56 Staaten die Todesstrafe an. Selbstverständlich trete ich entschieden für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Ein ganz elementarer Aspekt in meinem Film ist auch das Thema Vertrauen. Wie weit vertraut man als Mensch einem politischen System, wann beginnt das Misstrauen, ab wann missbraucht ein politisches System Vertrauen?


Dem stellen Sie unmittelbar die Liebesgeschichte zwischen Franz und Corina entgegen.

In einer Beziehung ist Vertrauen von entscheidender Bedeutung. Es ist immer ein Vertrauensvorschuss, dem man seinem Partner gewährt. Man kann einen Menschen nicht komplett kennen oder kontrollieren, man kann nicht wissen, was er denkt oder tut, egal wie eng die Partnerschaft auch sein mag. Nicht von ungefähr heißt es, dass man Vertrauen gibt. Ganz zu Beginn des Films malen sich die beiden mit einem Kuli einen Ring an den Finger, weil sie keine Verlobungsringe zur Hand haben. Das ist rein fiktiv. Ich habe mir das ausgedacht, als Sinnbild dafür, dass man sich so seiner Liebe jeden Tag aufs Neue verpflichtet. Immer nach dem Duschen muss man diesen Ring neu auftragen und überprüft dabei sich selbst und seine Gefühle. Man muss sich immer wieder das Vertrauen geben, im Idealfall ist das kein Automatismus, sondern ein bewusster Prozess – auf gesellschaftlicher, politischer und privater Ebene, in der Freundschaft und in der Liebe. Deshalb ist Liebe auch ein so effizientes und perfides Druckmittel, um Menschen zu verunsichern und auf Linie zu bringen: Franz wird von der Stasi damit konfrontiert, dass Corina gegen ihn ausgesagt haben soll. Was macht das mit einem Menschen? Was macht das mit seiner Liebe, seinem Vertrauen, zumal ja auch der Verdacht an ihm nagt, sie könne ein Verhältnis mit Dirk haben? Wenn man die beiden zum letzten Mal zusammen sieht, möchte ich, dass man das auch als Zuschauer ganz stark erlebt, dass Franz ihr sein Vertrauen ausspricht. Die Liebe ist da. Und wo Liebe ist, ist auch der Wunsch da, vertrauen zu wollen.


Beim Schreiben des Drehbuchs sind Sie unentwegt damit konfrontiert Entscheidungen zu treffen – Handlung, Figurenanordnung, Details, Anspielungen. Man muss sich genau bewusst machen, was man erzählen will.

Mehrdimensionalität und Komplexität sind Grundvoraussetzung. Anhand von Franz wollte ich sichtbar machen, wie sich jemand, bereitwillig in dieses Netz begibt, in dem er ja auch funktioniert, um dann an einem Punkt festzustellen, dass er sich in der Komplexität verliert und keinen Ausweg aus diesem Netz mehr findet: Franz ist Täter und Opfer zugleich, er trägt auch Schuld. Wo fängt sie an, wie schwer wiegt sie? Eigentlich ist NAHSCHUSS ein ganz simpler Film, weil man nur einem Menschen folgt. Aber weil sich der Fokus zwei Stunden kompromisslos und schonungslos nur auf ihn richtet, auf seinen Weg durch das System DDR, kann man auch in die Tiefe gehen, ihn als komplexes, widersprüchliches Wesen begreifen. Jede seiner Entscheidungen hat Konsequenzen. Und doch ist immer klar, dass er eine zutiefst tragische Figur ist. Die grausame Willkür, mit der die Todesstrafe an ihm vollzogen wird, ist doppelt tragisch, weil er sich über den Plan hinaus, aus der DDR fliehen zu wollen, keines Verbrechens schuldig gemacht hat und einfach nur ein Exempel an ihm statuiert werden soll. So war das auch in der Realität: Aus dem Zorn heraus, weil Stiller in den Westen übergelaufen war, richtete Mielke seine ganze Wut auf Werner Teske. Er wurde vom Obersten Militärgericht in einem geheimen Prozess zum Tode verurteilt. Das Urteil der Richter stand bereits vorher fest. 1998 wurde einer der Richter und ein Staatsanwalt in der Bundesrepublik wegen Justizmordes an Werner Teske schuldig befunden, weil er selbst nach dem gängigen DDR-Recht völlig zu Unrecht zum Tod verurteilt und hingerichtet worden war. Ihm wurde keine Spionage nachgewiesen, und geflüchtet war er auch nicht. Ich hoffe, mein Film stellt die Ohnmacht dar, mit der ein Individuum der Willkür eines politischen Systems ausgeliefert sein kann.


Hätte Franz das Angebot, die Professur zu übernehmen und bis zu diesem Zeitpunkt für die Staatssicherheit zu arbeiten, auch ablehnen können?

Das hätte er tun können. Aber das hätte natürlich auch Konsequenzen gehabt. Ende der Siebzigerjahre hat das Ministerium für Staatssicherheit an den Hochschulen gezielt gesucht und war informiert über parteinahe Talente, die man mit einfachen Schritten für die eigenen Reihen gewinnen konnte. Die Verführbarkeit war gegeben. Bei Franz im Film weiß die Stasi genau, welche Hebel sie ansetzen muss. Das Ministerium für Staatssicherheit führte insgesamt rund 625.000 Menschen als inoffizielle Mitarbeiter, sogenannte IM, die dem Staat gezwungenermaßen oder freiwillig verdeckt Informationen lieferten.


AUTHENTIZITÄT UND WAHRHAFTIGKEIT

Wie wichtig war Ihnen Authentizität? Wie genau sind Sie bei der Beschreibung der Zustände in der DDR?

Ich selbst bin nicht in der DDR aufgewachsen. Aber ich habe intensiv recherchiert, weil ich so genau und wahrhaftig sein wollte, wie es möglich ist. Eine große Hilfe war dabei mein Schwager, der aus der DDR stammt. Sein Vater, ein Gynäkologe in Magdeburg, flüchtete bei einem Kongress im Westen und blieb dort. Die Familie wollte er nachholen. Schon in der Nacht seiner Flucht begann man Druck auf die Familie auszuüben, unter anderem indem die Nachbarn gegenüber im Garten alle Bäume fällten, um einen freien Blick auf das Haus meines Schwagers zu haben und als IM fortan alles der Staatssicherheit zu melden und alles zu fotografieren. Man ging da nicht gerade dezent zu Werke. Besonders eindringlich erinnere ich mich an eine Geschichte meines Schwagers, dass ihm zwischenzeitlich verboten wurde, die Schule zu besuchen. Mit 16 Jahren litt er sehr darunter, von seinen Freunden und seinem vertrauten Umfeld isoliert zu werden. Man vermittelte ihm den Eindruck, er sei weniger wert, man müsse ihn gar nicht mehr unterrichten, weil er ohnehin nicht mehr dazugehöre. Ein 18-jähriges Mädchen von einem anderen Gymnasium suchte überraschend den Kontakt zu ihm, wollte ihn verführen. Er ließ sich auf eine viermonatige Beziehung ein. Er war verwundert, dass sie ihn von Anfang an und immer wieder sehr intensiv nach seinem Vater befragte, er habe doch sicher gewusst, dass er im Westen bleiben wolle, und wo er sich denn aufhalte. Ihre Eltern arbeiteten beim MfS und hatten die 18-Jährige auf meinen damals 16-jährigen Schwager angesetzt. Mich hat beeindruckt, wie weit dieses System ins Private eindrang, um seinen Einfluss geltend zu machen und Druck auszuüben. Das hat meinen Blick für NAHSCHUSS sehr geschärft. Mein Vater ist Geschichtslehrer. Ich bin erzogen worden mit einem Bewusstsein, dass die Vergangenheit immer wichtig für das Erfassen der Gegenwart und ein Erahnen einer möglichen Zukunft ist. Mein Vater pflegte zu Zeiten der DDR eine enge Freundschaft mit einer Familie im Osten, die wir wiederholt Zuhause besucht haben, weil er wollte, dass wir die DDR nicht nur aus den Geschichtsbüchern kennen. Ich bin in der Nähe von Hannover, nicht so weit weg von der Grenze, in einem geteilten Land groß geworden. Das prägt meinen Blick sicherlich. Aber ich habe für NAHSCHUSS dann so viel Material zusammengetragen, wie mir möglich war, um mir einen umfassenden Einblick zu verschaffen, wie dieses Land funktioniert hat und wie seine Bürger lebten.


Was waren Ihre wichtigsten Quellen?

Ich habe wissenschaftliche Publikationen über die DDR und die Todesstrafe studiert, Dokumentarfilme gesichtet, mit Historikern gesprochen und viele Interviews mit Zeitzeugen gelesen oder teilweise auch selbst geführt. Sehr beeindruckend waren meine Besuche in dem Stasi-Gefängnis BerlinHohenschönhausen, das heute als Gedenkstätte Einblicke in den Inhaftierungsalltag gewährt. Man darf das Gebäude nicht ohne Zeitzeugen betreten, die kleine Gruppen durch die Räume führen und ihre eigene Geschichte erzählen. Das waren wichtige Kontakte. Wichtige Bücher waren „Zersetzung der Seele“ von Klaus Behnke und Jürgen Fuchs über die psychologischen Methoden der Stasi und „Klassenkampf und Schafott“ von Klaus Behling über die Todesurteile in der DDR. Klaus Behnke war dann auch einer meiner historischen Berater. Er war selbst Kultur-Attaché in der DDR und hat viel publiziert. Mit ihm habe ich das Drehbuch intensiv diskutiert und viel davon profitiert. Ein weiterer Berater war Professor Jens Gieseke vom Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam. Interessant bei der Recherche war auch, und da spürt man, dass es sich um ganz junge Geschichte handelt: Manche Türen gingen weit auf, aber andere Türen gingen genauso schnell wieder zu. Man darf sich nicht davon beeindrucken lassen, sondern muss sich die Frage stellen nach dem Warum: Warum gehen diese Türen auf, warum gehen diese Türen zu? Es gibt verschiedene Interpretationen der Machenschaften der Stasi. Wir sind ein wiedervereintes Land, seit gerade einmal knapp 32 Jahren. Bei meinem Film geht es mir um die Sichtbarmachung eines historischen Fakts: Der Todesstrafe in der DDR. Das war mein Fokus.


Dabei haben Sie NAHSCHUSS auf eigene Faust angepackt und entwickelt. Wann haben Sie die Fühler nach Mitstreitern ausgestreckt?

Ja, die erste Drehbuchfassung von NAHSCHUSS habe ich allein entwickelt und damals dafür Drehbuchförderung bei der Nordmedia beantragt und bewilligt bekommen. Danach bin ich mit dem Stoff auf die C-Films Deutschland zugegangen, weil sich in deren Portfolio immer wieder auch politische Stoffe fanden. Die deutsche Dependance der C-Films Deutschland war gerade neu gegründet worden. Dem ZDF-Redakteur Daniel Blum habe ich NAHSCHUSS auch in der Zeit ganz zu Anfang vorgestellt. Er hat NAHSCHUSS seitdem begleitet. Auch meine Agentin Marlis Heppeler ist Wegbegleiterin der ersten Stunde. Franks Filmproduktion und die Network Movie kamen im Verlauf hinzu, auch der Verleih Alamode Film. Ich bin sehr dankbar für das Vertrauen der Produzent*innen und Koproduzenten in dieses Filmprojekt. Filmfinanzierung ist ein langer steiniger Weg, der viel erfordert und fordert. Bettina Wente von der Network Movie ist die Produzentin des Films. Sie ist sehr engagiert mit mir den Weg der Dreharbeiten bis jetzt zum Kinostart gegangen. Wir teilen intensive Zeiten der Zusammenarbeit, darunter auch die Fertigstellung des Films während der Pandemie.

Fortsetzung folgt

Foto:
©Verleih

Info:
STAB
Regie & Drehbuch FRANZISKA STÜNKEL


BESETZUNG
Franz Walter LARS EIDINGER
Dirk Hartmann DEVID STRIESOW
Corina Walter LUISE HEYER
Klara PAULA KALENBERG
Schreiber PETER BENEDICT
Professorin Link VICTORIA TRAUTTMANSDORFF
Hagedorn ANDREAS SCHRÖDERS
Renner MORITZ JAHN
Wagner KAI WIESINGER
Panther PETER LOHMEYER
Hans Walter CHRISTIAN REDL
Margit Walter HEDI KRIEGESKOTTE
Bernd HENDRIK HEUTMANN