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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2021 08 14 um 02.45.22Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 12. August 2021, Teil 12

Redaktion

Berlin Weltexpresso) -  NAHSCHUSS ist hochkarätig besetzt. In der Hauptrolle spielt Lars Eidinger, der gefeierte deutsche Theaterschauspieler, der längst auch aus dem Kino nicht mehr wegzudenken ist und sich durch seine Arbeit mit internationalen Regisseuren wie Olivier Assayas, Claire Denis oder Vadim Perelman auch außerhalb Deutschlands einen Namen gemacht hat. An seiner Seite spielen die Deutscher-FilmpreisGewinner Luise Heyer und Devid Striesow die beiden weiteren Hauptrollen. Klingende Namen finden sich aber bis in die kleinsten Nebenrollen des Films. Dazu gehören unter anderem Christian Redl, Peter Lohmeyer, Victoria Trautmannsdorff, Paula Kalenberg, Kai Wiesinger, Peter Benedict und Moritz Jahn.

Warum ist Lars Eidinger die Idealbesetzung für Ihren Franz Walter? Was bringt er mit, wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?

Bei der Besetzung der Hauptfigur habe ich anfangs überlegt, ob es nicht am besten wäre, Franz mit einem völlig unbeschriebenen Blatt zu besetzen, das keine Assoziationen evoziert, also einem Schauspieler, den der Zuschauer im Lauf des Films erst entdecken kann. Aber dann sah ich Lars Eidinger das erste Mal auf der Bühne und konnte mir nur noch ihn vorstellen. Er geht mit einer Kompromisslosigkeit an seine Rollen heran, dass ich mir sicher war, dass er in einer Weise in der Figur aufgehen würde, die einen als Zuschauer etwas völlig Neues an ihm entdecken lässt. Es ist grandios, wie er sich beim Dreh auf den Film eingelassen hat. Die Entscheidung für ihn ist schon sehr früh gefallen: Lars hat drei Jahre vor Beginn des Drehs zugesagt, die Rolle zu spielen. Ich hatte ihn dann bei der weiteren Bucharbeit vor meinem geistigen Auge. Es ist wundervoll eine Figur schon so früh mit einem Menschen verknüpfen zu können. Bei meiner ersten Filmarbeit, VINETA, war das mit Peter Lohmeyer auch schon so gewesen – der in NAHSCHUSS auch wieder dabei ist. Ich bin unendlich dankbar für das gesamte Ensemble. Alle meine Hoffnungen und Wünsche haben sich erfüllt bis in die Nebenrollen hinein. Ich rechne es jedem Einzelnen sehr hoch an, mit welcher Ernsthaftigkeit, exakter Vorbereitung und starkem Spiel selbst in den kleinsten Rollen sich Jeder der Schauspieler*innen auf diesen Prozess und die Inhalte eingelassen hat.


Wie haben Sie die Arbeit mit Lars Eidinger erlebt?

Großartig. Lars stellt nicht her, sondern er lebt es. Diese Radikalität und Authentizität, da haben wir uns getroffen. Emotionale Authentizität steht absolut im Vordergrund seines Spiels. Mein wichtigster Lehrer war Mogens Rukov, einer der Väter der Dogma-Bewegung und Drehbuchautor von DAS FEST. Er entfachte die fortwährende Suche nach emotionaler Authentizität in mir. Lars verkörpert Authentizität unfassbar intensiv und gleichsam feinstofflich. Er spielt das immer enger werdende Netz so nuanciert, die Verzweiflung, die zunehmende Erstarrung, die Angst um jedes Wort, die Luft, die Franz abgeschnürt wird. Bei NAHSCHUSS gab es mit Ausnahme einer Leseprobe auch keine Proben vor den Dreharbeiten. Alles entstand am Set. Wegen der knappen Drehzeit gab es eine bewusste Entscheidung: Statt viele Takes zu drehen oder innerhalb der Takes viel zu experimentieren, haben wir uns oft klar gesagt, dass wir die Szenen lieber nur mit einem oder maximal zwei Takes drehen wollen und dafür die Zeit nutzen, die wenigen Takes sehr genau durchzusprechen. Lars ging danach in die komplette Konzentration. Und dann setzten wir auf die Authentizität und die Wahrhaftigkeit des Augenblicks. Lars hat sich vollkommen darauf eingelassen – auf seine Figur und den jeweiligen Raum. Man muss das wollen. Und Lars wollte das. Das ist für mich absolut das Risiko wert, dass man im Schnitt keine Varianten zur Verfügung hat. Dafür muss ich natürlich einstehen. Aber das tue ich. Denn was man hat, ist das, was man hat. Authentizität im Gefühl steht für mich über allem. Und wenn das entsteht, ist das das Entscheidende.


Ist das der Grund, warum Sie auf Filmmusik verzichtet haben?

Ja, innerhalb des Films gibt es keinen Score. Nur ganz am Ende – bewusst ein einziges Stück Filmmusik. Der Filmkomponist K. S. Elias hat die ganze Kraft der Musik geballt dort hineingelegt. Eine großartig vielschichtige Komposition, die nach Franz‘ Tod am Ende des Films im Schwarzbild einen rein musikalischen Raum öffnet, für Reflexion.

Im gesamten Film selbst gibt es dementsprechend tatsächlich keine Filmmusik. Ich wollte dadurch auch auf der Ton-Ebene eine fast dokumentarische Nähe zu Franz ermöglichen. So als steht man die ganzen 120 Minuten neben ihm, hört ihn atmen und schlucken, hört das Rascheln der Kleidung. In dem Gefangenentransport zu Beginn atmet Franz nicht, ringt dann in Panik plötzlich nach Luft. Franz Atmung begleitet uns ab dort – immer wieder anders, mal flach, mal tief und mal setzt seine Atmung aus, am Ende für immer. Als Mensch atmen wir unbewusst und es erzählen sich damit ungefiltert unsere inneren Zustände. So auch bei Franz. Später einmal das Atmen mit Corina im Arm - bis in den gleichen Rhythmus hinein. Wenn ich Musik im Film verwendet hätte, würde man den Atem zwischendurch verlieren. Aber er war mir sehr wichtig. Auch der Raumklang. Jeder Raum bringt seine eigene Identität und ein eigenes Gefühl für Franz mit sich. Das wollte ich unbedingt einfangen. Der Filmtonmeister Andreas Prescher und der Mischtonmeister Malte Zurbonsen haben eine ganz feine und minuziöse Arbeit geleistet.


Zu einer Liebesgeschichte gehören immer Zwei: Lars Eidinger kann auch deswegen so toll sein, weil Luise Heyer als Corina genauso toll ist.

Ja, absolut. Luise war ein ganz großer Wunsch. Sie ist grundsätzlich eine wunderbare Schauspielerin. Aber wie sie sich auf die Liebe zu Franz eingelassen hat und ihren Kampf um diese Liebe, das hat sie mit einem Einsatz aber auch einem Gefühl gespielt, die ganz wichtig waren. Trotz aller Verletzungen und Irritationen, die Corina fühlt, hat Luise Corina immer auch eine Stärke gegeben. In NAHSCHUSS zeige ich ein patriarchalisches Unrechtssystem, in dem Frauen marginalisiert werden und oft nur als Spielball für die Machtinteressen oder als Druckmittel verwendet werden. Corina dringt durch ihre Beharrlichkeit in Franz verschlossene Berufswelt ein. In NAHSCHUSS erzähle ich absichtlich nicht alles, es bleibt einiges bis zum Schluss im Unklaren, beispielsweise: Hatte Corina eine Affäre mit Dirk? Wurde Corina von der Stasi nach Franz‘ Inhaftierung unter Druck gesetzt? Wer kooperierte? Wer nicht? Durch Luises faszinierend vielschichtiges Spiel stehen Fragen wortlos mit im Raum. Überhaupt kann ich nur Gutes sagen über das Hauptdarstellertrio, das von Devid Striesow komplettiert wird. Mit seiner hohen Expertise und seiner eigenen Erfahrung aus der DDR-Zeit zieht Devid noch einmal eine weitere, zusätzliche Ebene ein. Er spielt die Facetten von Dirk mit einer fesselnden Genauigkeit. Seine detailgenaue Einlassung macht so viel in diesem Film aus. Sie alle haben mit Haut und Haar und Körper und Seele gespielt.


Sie haben bereits Ende 2019 gedreht. Jetzt kommt der Film endlich in die Kinos. War die Coronazeit für Sie womöglich auch ein bisschen ein Segen, weil sie dadurch mehr Zeit für den Schnitt hatten?

Nein, den Schnitt des Films hatten wir kurz vor dem Beginn der Pandemie bereits beendet. In der Pandemie fanden dann unter anderem das Sounddesign, die Tonmischung und die Lichtbestimmung statt. Ein Zurück in den Schneideraum war nicht mehr möglich. Aber wir waren uns auch nach den sieben Wochen Filmschnitt sicher, dass wir fertig sind: Ziel war es immer Franz zu folgen und die Komplexität von Empfindungen und Erlebtem durch lange Beobachtung erfahrbar zu machen. Die Editorin Andrea Mertens und ich haben das in einem intensiven Montageprozess immer wieder und wieder genau befragt und ausgelotet. Der Film bezieht seine Spannung bewusst aus der Ruhe, durch lange Einstellungen und eine sehr niedrige Schnittfrequenz. Es sind nur halb so viele Schnitte wie in einem gängigen Spielfilm. Wir haben uns konsequent leiten lassen von dem Blick auf die Figuren und dem Bemühen, so nah wie möglich an ihnen zu sein. Wir schneiden nicht auf Effekt, sondern sehen zu, wie sich Gefühle in den Figuren entwickeln, was in ihnen vorgeht. Menschen sind mehr als das, was sie einander sagen. Das ist nur eine Ebene. Auf anderen Ebenen spielt sich oft viel mehr ab. Die Mehrdimensionalität erzählt die Geschichte. Deshalb bleiben wir in NAHSCHUSS oft sehr lange auf den Gesichtern ruhen.

Fortsetzung folgt

Foto:
©Verleih

Info:
STAB
Regie & Drehbuch FRANZISKA STÜNKEL

BESETZUNG
Franz Walter LARS EIDINGER
Dirk Hartmann DEVID STRIESOW
Corina Walter LUISE HEYER
Klara PAULA KALENBERG
Schreiber PETER BENEDICT
Professorin Link VICTORIA TRAUTTMANSDORFF
Hagedorn ANDREAS SCHRÖDERS
Renner MORITZ JAHN
Wagner KAI WIESINGER
Panther PETER LOHMEYER
Hans Walter CHRISTIAN REDL
Margit Walter HEDI KRIEGESKOTTE
Bernd HENDRIK HEUTMANN