pro2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. August 2021, Teil 6

Redaktion

Los Angeles (Weltexpresso) - PROMISING YOUNG WOMAN wurde 2019 vollständig von FilmNation Entertainment finanziert und in nur 23 Tagen, vor allem an Drehorten in und um Los Angeles, gedreht. Die Handlung des Films – teils verschachtelter feministischer Thriller und teils brillante schwarze Komödie – ließ Fennell in einer traditionell weiblichen Welt mit knalligen Farben und einem poppigen Soundtrack stattfinden. Durch die Gegenüberstellung mit den düsteren Themen der Geschichte entsteht so eine Dissonanz, die dem Publikum suggeriert, dass sich Cassies Leben keineswegs in Balance befindet. „Es gibt Dinge in der Popkultur, die ich liebe, weil sie funkeln und glitzern, auffällig und einfach schön sind“, erklärt Fennell. „Dieses ‚Tussi-Zeug‘ wollte ich nehmen und ungewohnt bedrohlich erscheinen lassen.“

Gemeinsam mit Kameramann Benjamin Kračun (Beast) entschied sich Fennell für eine stilisierte Ästhetik, die in jeder Szene des Films sichtbar ist. „Wir beide wollten, dass die Optik schön und fremdartig zugleich ist und sich einfach anders anfühlt“, sagt Fennell. „Der ganze Sinn dieses Films ist ja, dass erst einmal der Eindruck entsteht, man sei gerade in einen Süßwarenladen spaziert. Oder man ist auf einem Date mit jemandem, den man gerade erst kennengelernt hat. Dann geht man zusammen nach Hause und bemerkt plötzlich, dass die Tür verschlossen ist und man in der Falle sitzt. Der Film ist ein düsteres Märchen. Deshalb war es so wichtig, dass er dieses bedrohliche Gefühl vermittelt.“

Seine Inspiration fand Kračun in Filmen wie To Die For oder dem 1993 erschienenen Thriller Das Biest mit Alicia Silverstone. Der Kameramann benutzte eine spezielle Panavision-Linse, die ein etwas weicheres Bild erzeugt. Außerdem beleuchtete er Hauptdarstellerin Mulligan oft von oben, um einen Heiligenschein-Effekt um ihren Kopf zu erzeugen. Produktionsdesigner Michael Perry orientierte sich derweil an Retro-Serien wie Mord ist ihr Hobby oder Sweet Valley High. An der Teenager-Saga aus den 90er-Jahren, die auch Regisseurin Fennell zu ihren Fans zählen darf, arbeitete Perry damals selbst mit.

Auch Musikvideos aus der damaligen Zeit dienten dem Produktionsdesigner als Inspiration. „Die Farben sind richtig knallig“, so Perry. „Einige Töne hat man schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Wir bringen sie nun zurück: Neon zum Beispiel.“ Deutlich wird dies unter anderem an einem Neonschild in Cassies Café. „Das ganze Set sollte so verträumt wie möglich wirken“, so Perry. „Das Café ist ein ruhiger, entspannter Ort. Für einzelne Farbtupfer haben wir rote Kaffeetassen aufgestellt. Das Ganze wirkt wie eine 1980er-Rockvideo-Version eines Cafés. Es würde einen nicht wundern, wenn plötzlich a-ha zur Tür hereinkämen.“

„Neonfarben und Neonlicht sind in diesem Film ganz wichtig“, ergänzt Bühnenbildnerin Rae Deslich. „Es wirkt wie ein Rückblick in die 80er- und 90er-Jahre. Alles ist grell, poppig und glänzt.“

Um ein stimmiges Gesamtbild zu kreieren, mischten Perry und Deslich die kräftigen Farben mit gedeckteren Schattierungen, darunter auch der Blauton, der Cassie repräsentiert. „Wir haben viel mit Weiß gearbeitet. Hauptsächlich deshalb, weil man kein ganzes Restaurant in hellen Farben einrichten kann. Außerdem haben wir viele Designermöbel verwendet, um zu verhindern, dass das Café zu niedlich wirkt“, sagt Deslich. „Wir wollten zeigen, dass es ein Indie-Café ist, über dessen Einrichtung sich jemand Gedanken gemacht hat.“

Das vielleicht auffälligste Set des Films war das Haus von Cassies Eltern, das auch in einer von David Lynch erdachten Kleinstadt stehen könnte. Das tatsächlich existierende Gebäude hatte das Location-Team aufgespürt. Das Innere des Hauses richteten Perry und seine Crew dann gemäß Fennells Anweisungen her. „An Cassies Elternhaus sollte deutlich werden, wer dort das Sagen hat“, erklärt Fennell. „Wenn man ein Haus betritt, das mit Engelsfiguren und Hundeporträts vollgestopft ist, dann ahnt man schon, dass eine Frau für die Einrichtung verantwortlich ist. Die Location sollte schräg, unkonventionell und zugleich sehr weiblich wirken.“

Ziel war es, den Eindruck zu erwecken, als sei in diesem Haus die Zeit stehengeblieben. Es ist die Art von Zuhause, in dem die guten Möbelstücke mit Plastikfolie abgedeckt sind, damit sie nicht beschädigt werden, was zugleich eine gute Metapher für Cassies psychischen Zustand ist. „Diese Familie lebt im Grunde genommen in einem Museum“, sagt Perry. „Cassie bewegt sich in diesem Haus fast wie ein Geist. Sie hat offensichtlich diesen einen Moment aus ihrer Vergangenheit niemals verwunden und sich nicht weiterentwickelt.“

„Das Haus sieht aus, als habe es seit den 70er-Jahren niemand mehr angefasst“ fügt Mulligan hinzu. „Alles wirkt irgendwie festgefahren. Cassie hängt psychisch in der Zeit fest, in der für sie alles schiefgelaufen ist. Ihr Schlafzimmer sieht aus wie das Schlafzimmer eines Teenagers. Aber ich glaube, für sie ist das ein Trost: Sie verhält sich noch immer wie ein Kind, das zu Hause lebt. So muss sie sich nicht mit der realen Welt auseinandersetzen oder losgehen, um erwachsene Freunde zu finden.“

Kostümbildnerin Nancy Steiner (Lost in Translation: Zwischen den Welten, Little Miss Sunshine, Twin Peaks) kleidete Cassie in komfortable, geschmackvolle Kleidung, die wie ein direkter Widerspruch zu ihrer gebrochenen Psyche wirkt.

„Wenn Frauen sich für hübsche Kleidung interessieren, wird ihnen das oft als Oberflächlichkeit ausgelegt. Tatsächlich ist es aber die einfachste Möglichkeit, ihre Weiblichkeit zu bewahren“, sagt Fennell. „Alles in Cassies Leben muss ein und dieselbe Grundaussage haben: ‚Mir geht es gut‘. Deshalb ist sie immer sehr gut angezogen, trägt beispielsweise Pastelltöne, VichyMuster oder Haarbänder. Zu glauben, eine Frau sei deprimiert, nur weil sie T-Shirts und Schlabberhosen trägt, ist absurd. Oft sehen Frauen dann besonders gut aus, wenn es ihnen am schlechtesten geht.“

Für ihre nächtlichen Ausflüge entwarf Steiner eine ganze Reihe von Looks. Jeder einzelne sollte Cassie dabei unterstützen, für einen bestimmten Typ von Mann attraktiv zu wirken. „Sie könnte zum Beispiel eines Abends als hinreißend schöne Hipsterin unterwegs sein, dann wie eine Frau, die gerade aus dem Büro kommt und einen Feierabenddrink zu viel hatte, dann wieder wie ein Vamp im körperbetonten Kardashian-Kleid“, sagt Fennell. „Ich denke, um ihre Ziele zu erreichen, ist ihr jedes Mittel recht.“

Fennell war es wichtig, am Set eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. So wollte sie einerseits erreichen, dass die Rom-Com-Momente des Films glaubwürdig wirken. Andererseits sollten sich die Schauspieler auch während der Dreharbeiten der düsteren Szenen so wohl wie möglich fühlen.

„Als Regisseurin muss ich die Menschen dabei unterstützen, dass das, was sie tun, möglichst natürlich wirkt“, sagt Fennell. „Der Casting-Prozess ist oft der schwierigste Teil einer Produktion. Wenn man den hinter sich hat, ist es meiner Erfahrung nach wichtig, den Leuten nicht zu sehr auf die Nerven zu gehen. Ich versuche deshalb, ein möglichst angenehmes Umfeld für die Schauspieler zu schaffen, denn schließlich haben sie alle ziemlich schwierige Dinge zu erledigen. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, für die richtige Atmosphäre zu sorgen und den Darstellern den Rücken freizuhalten.“

Diese unbeschwerte Atmosphäre, so Mulligan, habe ihr geholfen, selbst die schwierigsten Momente ihre Rolle zu meistern, einschließlich Cassies Konfrontation mit Al Monroe auf dessen Junggesellenparty. „Beim Dreh hat sich wirklich vieles nach einer Romantikkomödie angefühlt. Die Arbeit mit Bo hat riesigen Spaß gemacht, ebenso wie die Zeit mit Laverne im Café“, so Mulligan. „Selbst die intensiveren Szenen, in denen Cassie Leute manipuliert oder erpresst, sind mit einer gewissen Verspieltheit gemacht, als ob ihr das alles großen Spaß macht. Ich hoffe, dass die Zuschauer genauso großen Spaß daran haben.“

Diese Hoffnung hegt auch Fennell: „Ich hoffe, dass die Leute den Film genießen und er sie zugleich zum Nachdenken anregt. Als Regisseurin möchte man, dass die Zuschauer nach einem solchen Film aufgewühlt sind.

Foto:
©Verleih

Info:
PROMISING YOUNG WOMAN
von Emerald Fennell, USA/GB 2020, 113 Min.
mit Carey Mulligan, Bo Burnham, Laverne Cox, Clancy Brown, Jennifer Coolidge, Alison Brie
Krimikomödie / Start: 19.08.2021

Abdruck aus dem Presseheft