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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2021 08 20 um 00.03.09Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. August 2021, Teil 15

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Woran liegt bloß der Zauber französischer Filme, solcher Filme, die voller Gefühl und wunderschöner Bilder immer dicht am Kitsch vorbeischrammen, aber eben die Kurve kriegen und schwierige gesellschaftliche Aussagen wahrhaftig zur Darstellung bringen in einer Weise, die wir in deutschen Filmen fast immer als platt, als ideologisch, als kitschig eben empfinden?

Ein solches filmisches Geschehen mit ungleiche Hauptfiguren, die doch ein gemeinsames Schicksal haben, das sehen wir UNTER DEN STERNEN VON PARIS. Stimmt, sehr viele Szenen spielen in der Nacht. Denn die beiden sind wohnungslos und verbrauchen viel Zeit, eine Schlafgelegenheit unter den Brücken, wollte ich schreiben, zu finden. Denn natürlich fallen einem sofort die Clochards ein, die schon zu einer Zeit eine Besonderheit von Paris darstellten und immer unter den Brücken der Seine lebten, als hier noch keine Obdachlosen auf den Straßen schliefen, es aber schon in New York diejenigen, gab die mit Einkaufswagen ihre Siebensachen durchs Leben und die Straßen führten und dann in den Hauseingängen schliefen. Der Unterschied liegt und lag in der früheren Betrachtung der Clochards in Paris als einer eigensinnigen und phantasievollen Gruppe von Menschen, die ihren eigenen Weg gehen, ihren eigenen Charme haben, ihre eigenen Gewohnheiten – und noch stolz darauf sind. Auf dieser eher romantischen Vorstellung des ohne Beruf, Familie und Besitz/Wohnung freien Menschen, beruht auch die Figur der Christine, der Catherine Frot eine starke Darstellung als verbrauchte, verbitterte, auf jeden Fall alte Frau gibt, was man um so mehr bewundert, wenn man sie in fast gleichzeitig anlaufenden anderen Filmen sieht, wo sie gut erhalten taffe Frauen verkörpert.

Wir lernen sie kennen in ihrem Zuhause, das sie unter Gewährenlassen eines Aufsichtsbeamten sich nahe der Metro in einer Art großer offener Kammer gebaut hat, mit liebevoll dekorierten und auch nützlichen Dingen. Morgens geht sie, abends kehrt sie zurück. Jeden Tag. Routine. Wenn ihr jemand frech kommt, schlägt sie zurück, aber sie schlägt auch schon, wenn jemand ihr gar nicht übel will. Sie ist einfach vom Leben gedemütigt und schroff geworden und um keine Verletzungen zu erleiden, legt sie erst einmal kratzbürstig los. So weist sie also auch Wohlmeinende erst einmal zurück. Und dann kommt das Kind. Ein schwarzer Junge ist ihr gefolgt, der erst einmal nicht redet, sondern sie nur mit großen Augen ansieht und schnell durch das Gatter schlüpft, das ihr nächtliches Domizil sicher macht.

Wir erleben nun die Kraft, auch die Anziehungskraft, die Kinderaugen (Mahamadou Yaffa) ausüben können, selbst wenn sie auf solche Knochen wie Christine treffen. Die Details kann man gar nicht alle beschreiben, das ist der Vorteil von Bildern, die Gemütszustände besser zeigen als Worte es können. Auf jeden Fall versuchen die beiden, die unterschiedliche Sprachen sprechen, eine gemeinsame zu finden und bringen sich gegenseitig Wörter bei. So nach und nach erfährt Christine, daß der Achtjährige mit seiner Mutter aus Eritrea geflohen war, beide keine Papiere, also auch keine Aufenthaltserlaubnis haben, am selben Morgen deshalb beide von der Polizei geholt wurden, um sie abzuschieben, was mit der Mutter glückte, er aber war davon gelaufen.

Aus der raunzigen Alten wird nun eine Fürsorgliche, die mit großem Aufwand, sich mit dem Knaben auf die Suche nach der Mutter macht. Und obwohl es jetzt ganz schön unwahrscheinlich zugeht, ist es einmal zu schön um wahr zu sein und andererseits kommt in den eher beschaulichen Film nun eine Bewegung, die spannend wird. Was den beiden alles einfällt, die Mutter zu suchen und sie inmitten so vieler Flüchtlinge zu finden, ist hinreißend und die Idee, daß beide nach tÖsterreich abgeschoben werden, weil das wohl das Ankunftsland in Europa war, läßt einen den Abflug der beiden eher verschmerzen, als es die erzwungene Rückkehr nach Afrika gewesen wäre. Daß beide von Österreich aus, sich wieder auf offiziellem Weg nach Frankreich aufmachen werden, schmeichelt dem französischen Selbstwertgefühl und gibt dem Ganzen eine versöhnliche Note. Aber wie gesagt und das alles noch einmal ganz deutlich, es bleibt ein gefühlvoller, märchenhafter Film, der aber nie die Grenze zum Kitsch überschreitet.


Foto:
©Verleih

Info:
BESETZUNG
Christine   Catherine Frot
Suli  Mahamadou Yaffa
Patrick  Jean-Henri Compère
Mama  Richna Louve
Hafenarbeiter  Raphaël Thiéry
Junger Obachloser Baptiste Amann
Doktorin Farida Rahouadj
und Dominique Frot

STAB
Regie Claus Drexel
Drehbuch Claus Drexel und Olivier Brunhes