stillwaterSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 9. September 2021, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aua, denkt man zuerst, als der vierschrötige US-Amerikaner Bill Baker (Matt Damon) , so einer, den man sich als Trump-Wähler in der amerikanischen Provinz Oklahomas vorstellt, erst Ölbohr-Arbeiter aus Stillwater, dann arbeitslos mit sehr wenig Geld, auf einmal in Marseilles auftaucht und dort im Gefängnis eine junge Frau besucht, seine Tochter,Allison (Abigail Breslin) die wegen Mordes an ihrer Geliebten schon fünf Jahre im Gefängnis sitzt. Unschuldig natürlich. Aua, das ist ja wie Amanda Knox!

Aber nein, ganz und gar nicht. Und das ‚Aua‘ hat auch nur damit zu tun, daß WELTEXPRESSO so ausführlich, wie wohl keine andere Zeitung im Jahr 2014 in einer achtteiligen Serie über den Fall – hübsche amerikanische Studentin des Mordes an einer englischen Studentin und Mitbewohnerin in Perugia verurteilt, Urteil aufgehoben, neu verurteilt, erneut aufgehoben und am Schluß nach vier Jahren Haft in die USA abgeschoben - und die Literatur dazu berichtet hatte, über die zwei Spielfilme darüber auch – und wir das Thema nicht mehr hören und sehen wollten.

Aber STILLWATER ist etwas ganz anderes, ein ganz anderer Film, der einem nach und nach unter die Haut kriecht, weil er sehr subtil und Blatt für Blatt das Eigentliche entblättert, was europäische, speziell die französische Gesellschaft, besser: europäische, speziell französische Kultur, auch Zivilisation, vom amerikanischen auf dem Land Leben unterscheidet. So ziemlich alles.

Der Reihe nach. Was an STILLWATER auch so gefällt, das ist, daß sich alles vor unseren Augen entwickelt. Da wird der Zuschauer nicht für dumm verkauft, sondern er muß mitdenken, was aus welchen Gründen da auf der Leinwand passiert. Und das dauert wirklich, bis man merkt, aha, Gefängnis, Tochter. Was ist da los? Und als der Vater aus den USA abflog, da verweilten seine Augen und die der Kamera einen Tick zu lang auf dem Luxusgeschäft am Flughafen, wo silberne und goldene Ketten mit dem Emblem STILLWATER ausgestellt waren. STILLWATER ist die Stadt, wo die Familie herkommt und er hatte der Tochter zum Abflug nach Europa so eine Kette geschenkt.

Die Tochter ist auf den Vater nicht gut zu sprechen. Das merkt man gleich. Sie will ihn nicht sehen. Wirft ihm irgendwie auch den Selbstmord der Mutter vor. Sie ist unschuldig, ganz klar, und doch braucht sie ihn auf einmal, denn sie weiß etwas Neues und schmuggelt ihm ein Zettelchen in die Hand, für ihre Anwältin, auf dem steht, der Typ, der wirkliche Mörder, sei aufgetaucht. Voller Elan eilt Bill hin, doch die Anwältin winkt müde ab. Sie hat schon alles probiert. Das Mädchen soll seine restlichen vier Jahr absitzen. Einen neuen Prozeß wird es nicht geben.

Bill, dieser typische Amerikaner, vom Land nur Amerikanisch sprechend und das wenig, tief gläubig mit Tischgebet, aber schießwaffenwütig, in ewigen Jeans und der Nationalkopfbedeckung, dem Nationalhut, dem Basecap, wie man die ursprüngliche Baseballcape als Sonnenschutz beim Spielen heute bezeichnet. Erst lebt er in Marseilles im Hotel, kriegt Streit, weil er mit der Art der quirligen Französin im Nachbarzimmer, die nachts auf dem Balkon mit einer Freundin trinkt und raucht, nichts anfangen kann. Doch dann entpuppt sich Virginie (Camille Cottin) als liebevolle Mutter von Maya (Lilou Siavaudi), die zuerst nur nützliche Übersetzungshilfe darstellt, aber dann für Bill zur taffen Unterstützerin wird, die ihn sogar bei sich in der neuen Wohnung unterm Dach mit hinreißendem Blick übers Meer wohnen läßt. Im Hotel war sie nur die Tage, wo ihre Wohnung renoviert wurde.

Virginie hilft und läßt seine Fürsorge für ihre Tochter zu, weil sie bemerkt hat, wie sehr Bill in der Lage ist, auf ihre Tochter einzugehen und ein richtiger Kumpel für diese wird. Und allein in Mayas Gegenwart erleben wir für‘s Erste einen gelassenen, glücklichen Bill. Denn seine andere Zeit ist nun ausgefüllt mit der Suche nach dem potentiellen Typen, den seine Tochter auf einem Foto von der Party, wo alles seinen Mordausgang nahm, wiedererkannte. Glänzend, wie Matt Damon seine so unterschiedlichen Gemütszustände darstellen kann: als rigider Ami, dann als sanfter Onkel für Maya und aufrichtiger Mitbewohner für Virginie, aber eben auch als gnadenloser Verfolger des von ihm wirklich aufgefundenen jungen Mannes. Aber nicht minder fesselnd die Französin Camille Cottin, die als Ausbund europäischer Kultur dem holzschnittartigen Bill eine andere Art zu leben nahebringt, ihn aufweicht, Stück für Stück wird aus dem steinernen Gesicht ein männliches, ein menschliches.

Ineinandergeschachtelt dann die Krimihandlung. Bill findet den Täter, der ihm die Tat auch gesteht, aber auch, daß ihm die Tochter eine Goldkette mit STILLWATER zusteckte, damit er...doch mehr, wollen wir nicht verraten, auch nicht, daß der Vater mit der dann freigesprochenen Tochter in die USA zurückfliegt, wo wir auch gar nicht so genau wissen wollen, was diese dort macht, auf jeden Fall Bill alles Gute wünschen, nun ein besseres Leben führen zu können. Denn das war zwar als eine Art Krimi getarnt, dieser Film, ist aber in Wahrheit eine Charakterstudie, daß auch ein festgefahrenes Leben neu in Gang kommen kann.

Köstlich zudem, daß der Film die eigene Erwartung so ausspricht, wenn eine kritische Freundin von Virginie Bill mustert und fragt: „Trump gewählt?“ und wir denken: „Ja“, er aber sagt: „Nein“; wir sehen die sich entspannenden Züge von Virginie, wenn er nachlegt. Er war rechtskräftig verurteilt. Eine Kleinigkeit. Aber Verurteilte dürfen nicht wählen! Und darum hatte er Trump nicht gewählt, würde ihn aber nach seinem Marseilles-Aufenthalt auch nie wählen.

Foto:
Camille Cottin und Matt Damon
©Verleih

Info:
Darsteller:
Matt Damon, Abigail Breslin, Camille Cottin,

Regie:
Tom McCarthy