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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2021 11 10 um 17.36.42Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom Donnerstag,11. November 2021, Teil 2

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie entstand die Idee zum Film EINE HANDVOLL WASSER?

Auf Fotos von den sogenannten Trümmerkindern, also Kindern, die nach dem zweiten Weltkrieg inmitten von Schutt und Blindgängern gespielt und das Ende des Krieges miterlebt haben, sind mir vor allem die Augen der Kinder aufgefallen. Sie haben einen Blick, der gar nicht zu ihren kindlichen Gesichtern passt.

Diesen Blick habe ich in den Augen der Kinder wiedergefunden, die 2014/15 geflüchtet sind und in der Presse zu sehen waren. Und auch wenn damals viele junge Männer in Deutschland angekommen sind – es waren auch tausende unbegleitete Minderjährige unterwegs, Mädchen wie Jungen, in ganz Europa. Und ich beschloss, einen Film darüber zu machen: Über die,die man nicht sieht, weil wir wegsehen. Und darüber, wie viel deren Erfahrungen eigentlich mit unserem kollektiven Erfahrungsschatz zu tun haben.


Welche Parallelen sehen Sie zwischen der älteren und jüngeren Generation im Film?

Zunächst handelte die Geschichte noch mehr von geteilter Kriegserfahrung, letztendlich stand aber die geteilte Fluchterfahrung im Fokus. Menschen, die das eine erleben, erleben auch oft das andere – es sind aber unterschiedliche Erfahrungen.

Im Film geht es nun darum, dass der alte Konrad, und das hat er mit Jürgen Prochnow gemeinsam, aus Pommern fliehen musste, als er noch ein Kind war. Dasselbe ist Thurba aus dem Jemen passiert, die nun bei ihm Unterschlupf sucht. Das macht es ihm irgendwie unmöglich, allzu fies zu ihr zu sein und wir können zusehen, wie die Wärme des kleinen Mädchens sein gut verpacktes, raues Herz langsam erweicht.



War es schwierig, Schauspiel-Persönlichkeiten wie Jürgen Prochnow und Pegah Ferydoni für den Film zu gewinnen?

Glücklicherweise waren sowohl Jürgen Prochnow als auch Pegah Ferydoni direkt mit an Bord, weil sie das Thema so wichtig und die Bearbeitung im Film so emotional fanden. Jürgen Prochnow wurde uns von Günter Lamprecht vorgeschlagen, mit dem wir unseren letzten Kurzfilm SEIN KAMPF gemacht haben und den ich sehr verehre. Der Kontakt zu Pegah Ferydoni kam über einen gemeinsamen Freund.

Jürgen Prochnow ist natürlich eine Legende. Und er hat eine Präsenz, die wenige Menschen mitbringen. Es war wirklich ein Geschenk, den Film mit ihm machen zu dürfen. Pegah Ferydoni bin ich besonders dankbar, denn die Rolle der Mutter ist nicht einfach zu spielen: Sie schickt ihr Kind weg und wird dann von der Polizei mitgenommen. Zwar erkämpft sie sich immer wieder ihre eigene Position, aber man hätte diese Rolle auch viel passiver anlegen
können. Ich bin glücklich, dass sich ihre Figur zu einer unabhängigen Frau unter Druck entwickelt hat, die große Opfer bringt.


Wofür steht der Ausdruck EINE HANDVOLL WASSER?

Das ist eine Formulierung im Arabischen, die es sonst nirgendwo gibt: Der Begriff steht für genau so viel Wasser, wie in eine Handfläche passt, also ein ganz kleiner Schluck.

Wenn man es im Arabischen schreibt, dann ist es dasselbe Wort wie „Zimmer“, so dass der Titel sich für viele erstmal als „Zimmer voll Wasser“ und gleichzeitig wie „Handvoll Wasser“ liest – ein schönes Spiel zwischen Überfluss und Mangel. Gleichzeitig fehlt im Film ja Wasser für das Aquarium, das ein gläsernes Zimmer voll Wasser ist und ein wichtiges Kommunikationsmittel für die beiden Hauptfiguren. Thurba schläft neben dem Aquarium im Kellerzimmer, das auch Konrads liebster Raum im Haus ist.


Welche Herausforderungen brachten die Entwicklung und der Dreh des Films mit sich?

Wenn man einen Debütfilm macht, hat man immer zu kämpfen. Unsere Drehbuchentwicklung und Finanzierungsphase hat insgesamt 3 Jahre gedauert, anschließend 5 Wochen Dreh und dann kam nach dem Schnitt noch Corona, das hat uns nochmal 6 Monate mehr gekostet als gedacht. Jetzt sind es am Ende knapp 5 Jahre geworden, die wir insgesamt an EINE HANDVOLL WASSER gearbeitet haben.

In dieser Zeit gab es viele Herausforderungen, die größte war wahrscheinlich die Diskussion, ob das Thema nicht „langsam mal durch“ sei. Als wir damals SEIN KAMPF gemacht haben, haben uns alle gefragt, ob das Thema Rechtsradikalismus nicht langsam mal durch sei. In Deutschland scheint es so zu sein, dass man einerseits Themenfilme liebt, aber andererseits findet, dass sie nicht zur richtigen Zeit kommen. Bei SEIN KAMPF war es so, dass eine Woche nach unserer Uraufführung in Hof der NSU-Wohnwagen brannte und wir plötzlich alle wieder über Rechtsradikalismus gesprochen haben. Bei EINE HANDVOLL WASSER ist es ähnlich: 20 Jahre nach 9/11 läuft er auf dem Festival des Deutschen Films in Ludwigshafen – und genau zur selben Zeit herrscht wieder Chaos in Afghanistan. Geschichten wie EINE HANDVOLL WASSER brauchen wir nicht weniger, sondern mehr.

Es gab auch mehrere andere Herausforderungen, so z.B. die Umbesetzungen. Gerade die Rolle des Mädchens Thurba haben wir mit der großartigen Milena Pribak erst zwei Wochen vor Drehstart besetzen können. Es war ein langer Weg, aber ich bin unheimlich dankbar, dass ihn so viele Menschen mit mir zusammen gegangen sind und ihr Herzblut in den Film gesteckt haben.


Was würdest du mit deinem Film gern bewirken?

Osama Khaled und Mohammed Abdullah, meine beiden jemenitischen Schauspieler, finden es großartig, dass in Deutschland überhaupt mal über den Jemen gesprochen wird. Afghanistan und Syrien sind hier ja recht präsent, aber über den Jemen weiß kaum jemand etwas. Sie können sich mit dem Film gut identifizieren, was mich total freut.

Aber natürlich wünsche ich mir, dass Migration mehr als Normalfall denn als Sonderfall gesehen wird. In dem Mittelgebirge, aus dem ein Teil meiner Familie herkommt, war eine Mine, weshalb hunderte Arbeiter um die Jahrhundertwende aus Ungarn und anderen Ländern gekommen sind. Kein Mensch sieht heute mehr, dass diese Menschen oder ihre Nachfahren nicht ursprünglich dort herkommen. Mit der Klimakrise, unseren Wirtschaftsgesetzen aus der Kolonialzeit und unserer Strategie, Kriege in fremden Ländern zu führen, werden Flucht und Vertreibung über die nächsten Jahre und Jahrzehnte nur zunehmen. Ich glaube, das ist eine der zentralen Fragen der Gegenwart.


An welchen Projekten arbeitest du aktuell?

Derzeit entwickle ich als Regisseur ein großes europäisches Projekt auf Basis einer Literaturvorlage, außerdem ein kleines Projekt, das ich bisher selbst schreibe. Ich denke über einen breit angelegten Dokumentarfilm nach und schreibe mit zwei anderen Autoren an einer großen europäischen TV-Serie.


Fotos:
©Verleih

Info:
Darsteller
Jürgen Prochnow  (Konrad)
Milena Pribak.       (Thurba)
Pegah Ferydoni    (Thurbas Mutter – Amal)
Anja Schiffel          (Ingrid)
Anke Sevenich      (Polizistin)

Regie: Jakob Zapf
Buch: Marcus Seibert, Ashu B.A., Jakob Zapf
Kamera: Tristan Chenais

Abdruck aus dem Presseheft