lost leonardo.key still A5Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 23. Dezember 2021, Teil 2

Andreas Koefoed

München (Weltexpresso) -„Dies ist ein Film über die unglaubliche Reise eines Gemäldes, des Salvator Mundi, der „Erlöser der Welt“, der möglicherweise das Werk von Leonardo da Vinci ist. Es ist eine wahre Geschichte, zugleich aber auch ein Märchen, das den Geschichten eines H. C. Andersen würdig wäre: Ein beschädigtes Gemälde, das Jahrhunderte lang vernachlässigt wurde, wird zufällig wiederentdeckt und bald darauf als lang verschollenes Meisterwerk göttlicher Schönheit gepriesen. Auf seinem Höhepunkt im Rampenlicht wird es als Fälschung entlarvt und herabgesetzt. Die wahre Enthüllung jedoch ist die Falschheit der Welt, die dieses Gemälde umgibt und durch zynische Kräfte und Geld angetrieben wird. 

Die Geschichte legt die Mechanismen der menschlichen Psyche offen, unsere Sehnsucht nach dem Göttlichen und unsere postfaktischen, kapitalistischen Gesellschaften, in denen Geld und Macht die Wahrheit außer Kraft setzen. Das Gemälde wird zu einem Prisma, durch das wir uns selbst und die Welt, in der wir leben, verstehen können. Bis heute gibt es keinen schlüssigen Beweis dafür, dass das Gemälde ein da Vinci ist – oder nicht – und solange Zweifel darüber bestehen, können Menschen, Institutionen und Staaten dieses Gemälde vor dem Hintergrund ihrer eigenen Interessen benutzen.

Der Film ist das Ergebnis enormer Teamarbeit. Die Produzenten, Autoren, Redakteure und Menschen hinter der Kamera haben Seite an Seite gearbeitet und dem Projekt ihre ganze Kraft gewidmet. Dafür bin ich zutiefst dankbar. Es war eine fantastische Reise in geheime Welten, die normalerweise vollkommen verborgen bleiben. Welten, in denen alles nur Denkbare gekauft und verkauft werden kann — Welten, in denen Prestige, Macht und Geld die treibenden Faktoren unter der schönen Oberfläche der Kunstwelt sind. Mein Dank geht überdies an den Kunstkritiker Ben Lewis, den Historiker Yuri Felshtinsky und an den Investigativ-Journalisten Zev Shalev. Die durch sie gewonnenen, tiefen Einblicke haben maßgeblich zur Geschichte beigetragen.

Die Hauptfigur ist das Gemälde. Der Mensch, der sich über den Protagonisten den Kopf zerbricht, ist die Restauratorin Dianne Modestini, die bald nach dem Verlust ihres Mannes Mario, selbst ein weltberühmter Restaurator, mit ihrer Arbeit an dem Gemälde begann. Für Modestini wird die Restaurierung zu einem symbiotischen Trauerprozess, in dem das Gemälde und Mario bisweilen eins werden. Nachdem sie das Gemälde losgelassen hat, wird es irgendwo in einem Freihafen weggesperrt. Dianne fühlt sich alleingelassen und wird für ihre Arbeit kritisiert. Ging ihre Restaurierung so weit, dass sie ein beschädigtes Gemälde in einen da Vinci transformierte? Sie ist gezwungen, sich selbst und ihre Integrität zu verteidigen und einen Weg zu finden, mit Mario und dem Gemälde abzuschließen.

Was mich fasziniert und zugleich desillusioniert ist, dass Kunst für wirtschaftliche Spekulationen und als Gegenstand für politische Spiele benutzt wird. Kunst ist eine kostbare Manifestation menschlicher Gefühle und menschlichen Ausdrucks im Laufe der Geschichte. Aus meiner Sicht gehört Kunst der Allgemeinheit. Anstatt öffentlich zugänglich zu sein, wird sie in Freihäfen versteckt und für zynische und spekulative Zwecke benutzt.

The National Gallery, Christie’s, der Louvre oder die Staaten Frankreich und Saudi-Arabien – keine der prominenten Institutionen, die an der Geschichte beteiligt waren, zeigten sich gesprächsbereit und vielleicht ist das auch nicht weiter verwunderlich. Die vermeintlich eigenständige, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gemälde steht unter einem enormen politischen Druck. Am Ende geht nicht nur das Werk verloren, sondern mit ihm auch die Wahrheit selbst. Das Gemälde — ein Produkt der Renaissance, welche die Freiheit von Wissenschaft und Kunst hochhielt — wird so zum Opfer von Interessensverbindungen und Machtspielen. Wie sagt es Jerry Saltz im Film? „Die Geschichte ist eine erzählende Fabel unserer Zeit“.

Ich hoffe, der Film wird seine Zuschauer fesseln, überraschen und faszinieren. Sie werden selbst zu Detektiven der Geschichte und bleiben mit der Frage zurück: Welcher Wahrheit schenke ich mein Vertrauen?“

Foto:
©Verleih

Info:
The Lost Leonardo (Frankreich, Dänemark, Schweden, Norwegen 2021)
Originaltitel: The Lost Leonardo
Genre: Dokumentarfilm
Filmlänge: ca. 100 Min.
Regie: Andreas Koefoed
Drehbuch: Andreas Dalsgaard, Christian Kirk Muff, Andreas Koefoed
Mitwirkende: Dianne Modestini, Robert Simon, Alexander Parish,Warren Adelson, Yves Bouvier, Luke Syson, Martin Kemp, Maria Teresa Fiorio, Frank Zöllner, Jacques Franck, Evan Beard, Georgina Adam, Bradley Hope, Alexandra Bregman, Kenny Schachter, Jerry Saltz, Stéphane Lacroix, Alison Cole, Antoine Harari, David Kirkpatrick, Robert K. Wittman, Doug Patteson, Bruce Lamarche, Didier Rykner, Bernd Lindemann u.a.
Verleih: Piece of Magic Entertainment
Vertrieb: Die Filmagentinnen
FSK: ab 0 Jahren
Kinostart: 23.12.2021