Bildschirmfoto 2022 01 07 um 00.47.05Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Januar 2022, Teil 9

Redaktion

Reykjavik (Weltexpresso) - ... über die Geschichte und seine Inspiration: Als Kind verbrachte ich viel Zeit auf der Farm meiner Großeltern, also kenne ich Lämmer, Schafe und Böcke sehr gut. Ich wollte schon immer einen Film machen, der auf den folkloristischen Märchen meiner Heimat beruht, eine Geschichte, die sich mit der Natur der Menschen und dem Menschen in der Natur beschäftigt.

Ich begann mit Konzept-Skizzen und einem Graphic Novel, um eine Geschichte zu entwickeln, die ich verfilmen konnte. Meine Produzenten stellten mir 2010 den Drehbuchautor Sjón vor, was sich als glückliche Fügung erwies. Wir fingen an, über meine Ideen zu sprechen, die später in LAMB realisiert wurden. Ihm gefielen meine Vorstellungen und er war von denselben Dingen fasziniert wie ich. Wir hatten einen langen Schreibprozess und lernten uns dabei sehr gut kennen.

Kino ist ein audiovisuelles Medium, das den Zuschauer auf vielen Ebenen anspricht und deshalb fokussierten wir uns darauf, die Geschichte durch Bilder und Töne zu erzählen und die Dialoge auf ein Minimum zu beschränken.

Unser Film zieht viel Inspiration aus isländischen Volksmärchen. Nicht aus einem bestimmten, aber aus einem Mix. Wir sind beide interessiert an Geschichten, die in ihrem Kern realistisch sind – dann aber ein absurdes oder surreales Element besitzen, das nie direkt angesprochen wird und dadurch genauso real wird wie der Rest.


... über Liebe und Verlust

Die Story ist direkt aus dem Leben gegriffen; bisweilen düster, aber auch immer wieder von Glücksmomenten durchsetzt. Für mich ist LAMB in erster Linie ein visuelles Gedicht über einen Verlust, der derart schmerzlich ist, dass man alles tun würde, um das Glück und die Lebensfreude zurückzugewinnen. Maria und Ingvar tragen einen Menge Schuldgefühle mit sich herum, die es ihnen unmöglich machen, ihren Verlust und ihre Trauer zu überwinden. Aus diesen Gefühlen heraus sind die beiden bereit, sich an eine Idee zu klammern, von der sie wissen, dass sie flüchtig ist – ein Versuch, Gleichgewicht und Freude zurück in ihr Leben zu bringen.

Aber während Maria versucht ihre Familie von äußeren Einflüssen abzuschirmen, die ihre sorgsam aufgebaute Wirklichkeit bedrohen, wird ihr bewusst, dass es für sie keinen Weg zurück gibt. Marias Stärke und Zielstrebigkeit sind inspiriert von meiner Großmutter, die vor Kurzem verstorben ist. Sie und mein Großvater hatten eine Schaffarm und fünf gemeinsame Kinder, alle innerhalb von acht Jahren geboren. Auf der Farm gab es keine Unterscheidung zwischen Männer- und Frauenarbeit. Alles wurde gemeinsam erledigt, egal ob technische Reparaturen oder die Zubereitung des Abendessens. Das Leben auf der Farm war nie einfach, aber trotzdem hat sich meine Großmutter nie unterkriegen lassen.

Maria hat dieselbe Widerstandskraft. Sie ist unzerstörbar und weigert sich aufzugeben. Und obwohl ihr und ihrem Mann durch den Verlust jegliche Lebensfreude und Leidenschaft geraubt wurde, sind sie dadurch auch enger zusammengewachsen.


... über Natur und Übernatürliches

Wir haben LAMB auf einem Bauernhof im Norden Islands gedreht. Die Tiere, die Farm und auch die Umgebung sind essenzieller Bestandteil des Films. Ebenso wie die Jahreszeiten mit ihren wechselnden Licht- und Nebelverhältnissen sowie auch die beiden unterschiedlichen Welten: die üppige und verletzliche Welt der Menschen auf der einen und die mythische Natur mit den rauen Bergen auf der anderen Seite. Mit dieser ursprünglichen und wilden Natur spielt man nicht und man kann sie nicht kontrollieren.

Mein Kameramann Eli Arensson und ich haben sorgfältig auf die natürlichen Lichtverhältnisse für die Außenaufnahmen geachtet und das Beste herausgeholt. Innenraumszenen wurden ebenfalls so natürlich ausgeleuchtet wie möglich. Gemeinsam mit den Produzentinnen Hrönn Kristinsdóttir und Sara Nassim sowie dem Set-Designer Snorri Freyr habe ich mehr als ein Jahr nach einer geeigneten Location gesucht. Wir sind zweimal um die gesamte Insel gefahren und haben gefühlt jeden Bauernhof auf Island besucht.


Als wir uns endlich auf die Flaga Farm im Norden der Insel geeinigt hatten, war ich immer noch skeptisch. Dort hat seit 20 Jahren niemand mehr gelebt. Wir mussten eine Menge tun, um die Farm zu dem Ort zu machen, den ich mir vorstellte. Ich bin sehr akribisch, wenn es um Szenebild, Formen und Farben geht. Deshalb hat es sehr lange gedauert, bis ich bereit war. Erst zwei Wochen vor Drehstart war das Set fertig und wurde endlich zum Zuhause für meine Charaktere. Die magisch anmutende Landschaft und die Abgeschiedenheit der Farm erwiesen sich letztlich als perfekt.

Ohne die Natur kann die Menschheit nicht existieren. Für mich ist Natur nicht bloß das, was wir sehen, sondern auch das, was wir fühlen. Deshalb ist sie für mich sehr stark mit dem Übernatürlichen verbunden. Natur lässt sich nicht abschätzen oder kontrollieren; und wie wir in den letzten beiden Jahren feststellen mussten, ist die Menschheit ziemlich fragil, schwach und abhängig. Wir sind ständig Kräften ausgesetzt, die sich außerhalb unserer Kontrolle befi nden – sowohl auf der alltäglichen Ebene, als auch auf der immateriellen. Verlust und Tragödie sind nie weit weg. In einer Welt, in der wir fast alles erreichen können, sollten wir nie vergessen, dass wir uns der Natur nicht entgegenstellen und unserem Schicksal nicht entkommen können.


... über die Schauspieler und das Team

Ich war sehr glücklich mit den Schauspielern. Noomi Rapace hat dem Charakter der Maria eine außergewöhnliche Tiefe verliehen und eine Menge Mut gezeigt, diese Rolle anzunehmen und unter teils schwierigen Umständen zu drehen. Noomi liebt Herausforderungen, daher war es für sie kein Problem, in isländischer Sprache zu drehen. Wir waren eine Crew von 35 Leuten und Noomi hatte noch nie mit so einer kleinen Gruppe an einem derart abgeschiedenen Drehort gearbeitet.

Wir hatten ein gemeinsames Verständnis von Marias Charakter. Noomi brachte dieses kühle, aber auch fürsorgliche Element ein, das Maria beschreibt. Sie hat ihre Rolle in einer Weise geprägt, die ich keiner anderen Schauspielerin zugetraut hätte. Hilmir Snær hingegen verlieh seinem Charakter Ingvar diese verletzliche Stärke. Ich hatte bereits vorher mit Hilmir zusammengearbeitet und kannte seine Vorzüge sehr gut. Neben der Tatsache, dass er ein fantastischer Schauspieler ist, war er auch eine große Hilfe während der Dreharbeiten. Björn Hlynur, der Pétur verkörpert, brachte die perfekte Dosis Konfl ikt und Erleichterung in die surreale Welt des Ehepaares, um sie aus ihrer Illusion herauszureißen.

Als Erstlingswerk war dieser Spielfi lm vielleicht nicht der einfachste, aber ich hatte eine Vielzahl sehr talentierter KollegInnen um mich herum, die mir dabei halfen, meine Vision zu verwirklichen. Meine Vorstellungen sind nicht immer in der Realität verhaftet und meine ProduzentInnen haben eine unglaubliche Begabung, meine unrealistischen Ideen wahr werden zu lassen. Ihr Ansatz und die Ressourcen, die sie für den Film mobilisierten, sind wohl das übernatürlichste Element dieses Projekts. Dafür bin ich sehr dankbar.

Foto:
©Verleih

Info:
STAB
Regie Valdimar Jóhannsson
Drehbuch Sjón, Valdimar Jóhannsson

DARSTELLER
Maria       Noomi Rapace
Ingvar      Hilmir Snær Guðnason
Pétur       Björn Hlynur Haraldsson