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Kategorie: Film & Fernsehen
burSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Januar 2022, Teil 16

Redaktion

Paris (Weltexpresso) –  Wie sind Sie zu diesem Filmprojekt gekommen?

Auf die einfachste Art und Weise. Ich habe das Drehbuch geschickt bekommen, ich habe es gelesen, es hat mir gefallen und ich bis zum Casting gegangen. Als ich erfuhr, dass ich die Rolle bekommen hatte, war ich wie verrückt vor Glück. Soweit ich weiß, hat es noch nie einen Kinofilm gegeben, der sich mit dem Leben und den Arbeitsbedingungen von Tierärzten auf dem Land beschäftigt. Außerdem hat mir sehr gefallen, dass das Drehbuch auch Platz für viele unterschiedliche Tierarten gelassen hatte. Tiere faszinieren mich. Sie zu beobachten fasziniert mich. Ich bin in einem kleinen Bergdorf in der Schweiz aufgewachsen. Meine Mutter war Biologin mit einer großen Leidenschaft für alles Lebendige. Als Kind konnte ich ihr zuschauen und habe unglaublich viele verschiedene Pflanzen- und Tierarten kennen gelernt. PLÖTZLICH AUFS LAND hat mich in meine Kindheit zurückversetzt. Ich habe durch die Begegnungen mit den Tierärzten, die uns bei den Dreharbeiten begleitet haben, viel gelernt. Wenn auf einem Hof ein Tier krank wird, ist das für den Besitzer ein emotionales Unglück, und bedeutet auch einen Verdienstausfall. Also muss man sich so schnell wie möglich um das Tier kümmern. Auf dem Land müssen die Tierärzte rund um die Uhr in Bereitschaft sein. Sie sind gleichzeitig Ärzte und Psychologen. 


Ihre Filmfigur Alex hält sich eine zahme Ratte - hat Sie das abgeschreckt?

Es hat mich nicht abgeschreckt und auch nicht geekelt, weil ich Ratten sehr gern mag. Ich habe schon als Kind einige aufgezogen, einmal sogar ein Dutzend gleichzeitig. Ratten sind sehr liebevoll, sehr intelligent und auch sehr sauber. Es war ein lustiges Zusammentreffen, weil ich auch bei meinem letzten Kurzfilm einige Szenen mit Ratten zu spielen hatte. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die auf Obdachlose in Paris trifft. In einer Szene lasse ich eine Ratte aus meinem Mund trinken. Die Szene ist verstörend, und ich habe sie geliebt! Am Beginn von PLÖTZLICH AUFS LAND lebt Alex mit einem dieser kleinen Nager zusammen, was einiges über sie aussagt. Sie ist ein seltsamer Typ, der sich in der Gesellschaft von Tieren wohler fühlt als in der von Menschen. Eine Ratte zu besitzen, ist für sie auch ein Mittel, um sich die Menschen vom Halse zu halten. Sie ist eine wütende junge Frau, die oft gegen etwas aufbegehrt. Sie schleppt eine schwierige persönliche Geschichte mit sich herum: Sie hat ihre Eltern verloren, als sie noch sehr klein war und ist bei einem Onkel aufgewachsen, der oft fort war; deshalb hat sie ein recht schroffes Sozialverhalten, auch wenn sie sich gleichzeitig etwas Kindliches bewahrt hat. Im Grunde ist Alex eine Wilde, aber mit einem guten Herz. Sie hat mich sehr berührt. 


Der Film erzählt von ihrer Entwicklung. Können Sie verstehen, dass Alex für die harte Arbeit auf dem Land ihren Traumjob im Labor aufgibt? 

Alex’ Geschichte ist wie ein Entwicklungsroman. Ich fand das sehr passend. Julie Manoukian hat die Geschichte mit großem Einfühlungsvermögen geschrieben. Sie lässt Alex an die Orte ihre Kindheit zurückkehren, so dass sie nicht länger das Gefühl hat, ihre Vergangenheit verschleiern zu müssen. Je mehr Alex sich ihrer Vergangenheit stellt, desto mehr Barrieren reißt sie ein. Dieses intelligente Mädchen, das bis dahin mit seinen Büchern in Einsamkeit gefangen war, muss sich anderen gegenüber öffnen, auch wenn sie es eigentlich gar nicht will. Von der Psychologie der Figur her war es eine tolle Aufgabe, das zu spielen. Und gleichzeitig auch körperlich eine sehr anstrengende Arbeit: Abhorchen, heilen, operieren, Spritzen setzen, verbinden, nähen, usw. Das war sehr konkret. Und für mich, die ich immer irgendwohin mit meiner Energie muss, war es perfekt!


Im Film wirken alle Ihre Handlungen sehr gekonnt und sicher. Wie haben Sie sich vorbereitet?

Ich wollte, dass es so realistisch wir möglich ist, deshalb habe ich um eine MiniAusbildung gebeten. Bevor wir angefangen haben zu drehen, konnte ich einige Tierätzte bei ihrer Arbeit begleiten. Wir haben einen Stier mit Lungenentzündung beatmet, Kühe geimpft, Katzen betäubt, Hunden eine Infusion gelegt. So konnte ich ermessen, wie breit das Spektrum ihrer Arbeit ist. Sie haben mir die Handgriffe gezeigt, die ich für meine Szenen brauchte. Ich habe viel dadurch gelernt. Später, vor der Kamera, was die Einstellung der Tierärzte zu den Besitzern der Tiere betrifft, habe ich mich von der Tierärztin inspirieren lassen, die sich um meine Katze kümmert.


Welche Szene hat Sie am meisten geprägt?

Das Kalben. Ich hatte nicht erwartet, dass es mich so umhauen würde! Die Tierärzte, die den Dreh begleitet haben, hatten uns benachrichtigt, dass die Geburt des Kalbes unmittelbar bevorstand, aber wir hatten nicht erwartet, dass es so schnell gehen würde. Aber zum Glück waren wir am Set alle bereit! Ich habe mich der Kuh genähert und mich ihr gezeigt, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen und ihre Reaktionen testen zu können, aber ohne Furcht, weil ich vor Tieren keine Angst habe. Dann, ermutigt von der Tierärztin, die mir sagte, ich solle schnell machen, habe ich meinen Arm hineingeschoben, um die Hufe des Kalbes zu greifen und habe mit ganzer Kraft gezogen. Die Tierärztin hat mir nur einmal ganz kurz dabei geholfen. Als ich den Kopf des neugeborenen Kalbes auftauchen sah, hat mich das in einen vollkommen emotionalen Zustand versetzt. Ich habe dabei geholfen, Leben zu geben! Ich bin gar nicht darüber hinweggekommen. Es war wirklich verrückt. Am Set waren alle völlig fasziniert. Es war an einem 20 Freitagabend. Das ganze folgende Wochenende war ich noch total ausgelaugt. Ich denke, diese Szene hat mich fürs Leben geprägt.


Hat der Film das Bild geändert, das Sie von Tierärzten auf dem Lande hatten?

Um ehrlich zu sein, hatte ich kein Bild von ihnen, weil ich keine persönlich kannte. Aber die Begegnungen mit einigen von ihren für diesen Film haben mich großen Respekt gelehrt. Sie arbeiten unermüdlich, oft unter schwierigen Bedingungen, bei Hitze und bei Kälte. Ihr Beruf nimmt einen körperlich sehr in Anspruch, man braucht viel Kraft, aber gleichzeitig auch eine sehr genaue Technik. Um den Beruf ausüben zu können, muss man ein unglaubliches medizinisches und wissenschaftliches Wissen haben, aber auch einen Sinn fürs Praktische. Für die Tierärztinnen ist es noch einmal schwieriger, weil sie sich in einem männlich dominierten Beruf durchsetzen müssen.

Wie haben Sie die Arbeit mit Julie Manoukian erlebt?

Es war einfach toll! Julie ist eine ganz außergewöhnliche Frau, intelligent und offen. Sie versteht sehr viel von menschlichen Beziehungen. Ich habe sie vom ersten Tag an gemocht, gleich bei unserer ersten Begegnung beim Casting. Es mag ihr erster Film gewesen sein, aber beim Dreh hatte ich immer das Gefühl, dass sie weiß, was sie tut. Sie war stark und ruhig, höflich und mutig - all das gleichzeitig ließ sie sich niemals entmutigen. 
Sie hat mich beeindruckt. Ich habe mich sehr gut mit ihr verstanden.

Und mit ihren Schauspielkollegen?

Gute Regisseure habe auch das Talent, Schauspieler zusammenzubringen, die sich nicht nur voll und ganz für den Film einsetzen, sondern sich auch gut untereinander verstehen. Julie besitzt dieses Talent. Es war großartig, mit Clovis Cornillac zusammenzuarbeiten. Als Filmpartner ist er aufmerksam und gibt einem viel. Und er ist einfach ein Superschauspieler. Es war auch toll, dass Michel Jonasz meinen Onkel spielte. Ich war schon lange ein Fan von ihm als Sänger – und jetzt auch als Schauspieler und als Mensch, weil er so freundlich und humorvoll ist. Aber auch Carole Franck und Antoine Chappey und die kleine Juliane Lepoureau – alle, die vor der Kamera standen – sind großartige Schauspieler. Wir haben alle an einem Strang gezogen. Und dass wir alle auf demselben Campingplatz gewohnt haben, hat unseren Zusammenhalt nur noch verstärkt!

Foto:
©Verleih

Info:
BESETZUNG
Nico             Clovis Cornillac
Alexandra    Noémie Schmidt
Lila              Carole Franck
Marco          Matthieu Sampeur
Zelda           Juliane Lepoureau
Nath            Lilou Fogli
Morille         Christian Sinniger
Michel         Michel Jonasz

STAB
Regie          Julie Manoukian
Drehbuch   Julie Manoukian

Abdruck aus dem Presseheft