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Kategorie: Film & Fernsehen
tatortNeuer Frankfurt-Tatort im Ersten am Ostermontag, Teil 2

Katharina Klein

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Frau Lüschow, „Es geht wieder was los, ist das nicht schön?“, heißt es am Ende Ihres Films. Die Ermordete ist bei Ihnen nicht nur Opfer, sondern wir lernen in sehr wenigen Szenen sie, ihre Wünsche und Hoffnungen auf ein besseres Leben gut kennen. Fehlt es daran im deutschen Krimi? 

Petra Lüschow: Es geht um den Blick in den Abgrund des Normalen, so wie ich das bei Patricia Highsmith oder dem Regisseur Claude Chabrol schätze. Beide erzählen ja häufig über Gewalt und wie sie die Gesellschaft im Griff hält.

In „Finsternis“ geht es um ein Verbrechen, das besonders häufig ist, aber gerne ignoriert wird. Das Opfer, seine Sehnsucht, seine Wünsche stehen im Kontrast zu dem schrecklichen Motiv und der ganzen Grausamkeit, die all das nach und nach enthüllt. Wir – Lili Kobbe und ich – haben dabei viel Wert darauf gelegt, keinen Themenfilm zu machen. Wir waren uns einig, dass das eine Filmerzählung wird, die als spannender Krimi, als Whodunit funktioniert, aber auch als Drama mit komplexen Figuren und verstörenden Konflikten emotional überzeugt.


Die Szene am Beginn des Films – die Tankstelle in der Nacht – ist visuell sehr eindrücklich. Auch darüber hinaus gibt es immer wieder Kameraeinstellungen, die auffallen. Wie wird so eine Bildsprache entwickelt?

Petra Lüschow: Das ist vor allem Vorbereitung, es beginnt mit der Locationsuche. Der Kameramann Jan Velten und ich haben in der Vorbereitung erst einmal darüber gesprochen, worum es hinter der Geschichte geht, und dann den Look, die Beleuchtung, die filmästhetische Umsetzung festgelegt. Bei der Auflösung wird jede einzelne Szene betrachtet, jede Einstellung notiert. Hier war uns das Zentralperspektivische wichtig, wir wollten den Figuren zudem sehr nahekommen, ihrer Verstrickung, ihren Manipulationen, ihren Verdrängungen. Aber die Arbeit mit der Kostümbildnerin Sandra Meurer und dem Szenenbildner Manfred Döring hat ebenfalls einen Einfluss auf die Bildsprache.

Der Film beginnt fast wie ein Horrorfilm, um dann den Horror im Normalen zu suchen – das Licht leuchtet nicht aus, die Figuren verschwinden durchaus auch mal im Schwarz, zum Ende kehren wir für das Finale in die Finsternis zurück. Die leichte Stilisierung, die dadurch kommt, dass wir zur Coronazeit gedreht haben, so dass viele Orte so leer wirken, hat uns dabei direkt in die Hände gespielt. Das betrifft etwa die Tankstelle, wo auch kein Auto gefahren ist, weil ja Ausgangssperre war, die leeren Hörsäle, das leere Theater (die Statisten wurden aus den bekannten Gründen auf ein Minimum reduziert).


Ohne zu viel von der Handlung verraten zu wollen: Dieser Fall führt die beiden Kommissare an menschliche Abgründe. Wie bereiten Sie die Schauspieler auf das Thema und ihre Rollen vor?

Petra Lüschow: Vorweg: Ich empfinde es als eine Stärke des Frankfurter Tatort, dass hier die Fälle im Mittelpunkt stehen und weniger die privaten Geschichten der Ermittler. Trotzdem werden hier beide besonders herausgefordert, sind auch unterschiedlich angefasst. Ich mag sehr, dass Janneke den Täter mit seinen eigenen Waffen schlägt: durch Manipulation. Mit den Darstellern der Familie (Uwe Preuss, Julia Riedler, Odine Johne und Caspar Kaeser) habe ich mich außerdem immer wieder getroffen und über die Charaktere gesprochen. Das ist wichtige Vertrauensarbeit, die Schauspieler*innen wollen genau wissen, wie man das meint, vor allem, sie setzen sich ja auch aus, wenn die Gewalt so real und spürbar wird wie hier.


Frau Kobbe, jahrzehntelang haben Sie Tatort-Produktionen für den hr als Redakteurin betreut. Was zeichnet ein gutes Drehbuch aus? Und was davon findet sich in „Finsternis“?

Lili Kobbe:
Das Besondere an meiner langjährigen Arbeit als Redakteurin beim hr ist es, dass wir zu den wenigen Sendern gehören, die ihre Tatorte selbst produzieren. Für mich als Redakteurin bedeutet dies, zugleich Produzentin und Dramaturgin zu sein. Es ist ein Glücksfall, diesen Tatort von Petra Lüschow betreut zu haben, denn von Anfang an hatten wir die gleiche Vision des Stoffs und konnten dies im Cast, bei den Motiven und natürlich im Drehbuch verwirklichen. Mich persönlich begeistern Drehbücher, die ihre Figuren ernst nehmen, sie differenziert beschreiben und vor allem keine Schwarz-Weiß-Malerei betreiben. Die Idee der Geschichte, die wir erzählen wollen, sollte sich aus dem Handeln, Zögern, Zweifeln, und so weiter der Figuren ergeben.

Mich interessiert ein Drehbuch, wenn es Raum lässt für Brüche und Assoziationen und mir die Handlung nicht permanent erklärt. Dies hat Petra Lüschow in „Finsternis“ wunderbar umgesetzt, indem sie Charaktere aufeinanderprallen lässt, die ein komplexes und damit spannendes Bild einer Familie – und wohl auch ein Stück weit der Gesellschaft – wiedergeben.


Sämtliche Fälle des Frankfurter Ermittler-Duos Janneke & Brix

 Kälter als der Tod
EA: 17. Mai 2015
Buch: Michael Proehl
Regie: Florian Schwarz

 Hinter dem Spiegel
EA: 13. September 2015
Buch: Erol Yesilkaya
Regie: Sebastian Marka

 Die Geschichte vom bösen Friederich
EA: 10. April 2016
Buch: Volker Einrauch
Regie: Hermine Huntgeburth

 Wendehammer
EA: 18. Dezember 2016
Buch: Stephan Brüggenthies und Andrea Heller
Regie: Markus Imboden

 Land in dieser Zeit
EA: 8. Januar 2017
Buch: Khyana el Bitar, Dörte Franke und Stephan Brüggenthies
Regie: Markus Imboden

 Fürchte dich
EA: 29. Oktober 2017
Buch: Andy Fetscher und Christian Mackrodt
Regie: Andy Fetscher

 Unter Kriegern
EA: 8. April 2018
Buch: Volker Einrauch
Regie: Hermine Huntgeburth

 Der Turm
EA: 26. Dezember2018
Buch und Regie: Lars Henning

 Das Monster von Kassel
EA: 12. Mai 2019
Buch: Stephan Brüggenthies und Andrea Heller
Regie: Umut Dağ
9/9

 Falscher Hase
EA: 1. September 2019
Buch: Emily Atef und Lars Hubrich
Regie: Emily Atef

 Die Guten und die Bösen
EA: 19. April 2020
Buch: David Ungureit
Regie: Petra K. Wagner
 Funkstille

EA: 13. September 2020
Buch: Stephan Brüggenthies und Andrea Heller
Regie: Stanislaw Mucha

 Wer zögert, ist tot
EA: 29. August 2021
Buch und Regie: Petra Lüschow

Foto:
©hr

Info:
Quelle:hr