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Kategorie: Film & Fernsehen

Die Wettbewerbsfilme der 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014, Film 8

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) - „Es hat gar nicht wehgetan“, lag einem auf der Zunge, nach den 170 Minuten des Lars von Triers Film als drittem Teil seines „Triptychons der Depressionen“, was sich auf die harten Zuschaueranforderungen der beiden ersten Teile bezieht. Stattdessen erleben wir einen anrührenden, oft lebenswitzigen Film, der umfassend und tief Probleme des Großwerdens und der Identitätsgewinnung mit filmischen Mitteln potenziert.

 

INHALT: Regen und Wasser sind Urelemente. Mit ihnen beginnt der Film und Regen ist sowohl mit Trübsinn und Melancholie konnotiert, wie es das Wasser als reinigender Kraft gibt. In einer Gasse vor seinem Wohnhaus liest der alternde Junggeselle Seligman – respektabel Stellan Skarsgård - eine im Regen liegende blutüberströmte Frau ( Charlotte Gainsbourg) auf und nimmt sie mit zu sich.

Sie bekommt einen Schlafanzug, dessen Jacke sie trägt und Tee und ein Kipferl mit Kuchengabel. So einen habe sie auch gekannt, erzählt sie später, der solche Hörnchen mit der Gabel zerteilte und aufgespießt aß. Sie heißt Joe, und nachdem sie nach einem hoch oben an der Wand hängenden Objekt fragt und Seligman vom Fliegenfischen erzählt und dem alten Buch DER VOLLKOMMENE ANGLER – so heißt das erste Filmkapitel -, erzählt ihm Joe aus ihrem Leben, von ihren Erfahrungen mit Männern und der unstillbaren Sucht nach Sex, was Seligman lange Zeit mit seinen Erfahrungen vom Angeln vergleicht.

Damit sind taktische Fragen angesprochen, der Zuschauer aber macht sich eher Gedanken um die sprachliche Ableitung beim Angeln, sich zum Beispiel einen Mann angeln, wie es die junge Joe im Verbund mit der Freundin erfolgreich im Zug probiert. Das nächste Kapitel heißt Jerôme, der Name und die gewandelte Figur des Jungen, den sie um ihre Entjungferung bat und der nun ein erfolgreicher Geschäftsmann ist, ein fünftes Kapitel schließlich ist die Kleine Orgelschule nach Bach und bringt erneut das Lieben und Begehren in einen anderen Zusammenhang. Hier mit der Musik, speziell den Orgelpfeifen, wobei einem das Phallische an diesen einfach auffallen muß. Es geht aber um die Töne, die sie hervorbringen können und die den Emotionen des sexuellen Lebens gegenüber gestellt werden.

Als Zuschauer befinden wir uns ständig an zwei Orten: Wir sind mit dem älteren Mann und der noch jungen, aber schon älter gewordenen Joe in diesem Zimmer und wir folgen in den Rückblenden, die den eigentlichen Film ausmachen, ihrem Leben. Wir sehen sie als Kind und dann als junge Frau, die Stacy Martin darstellt. Über die Physiologie des weiblichen Körpers haben sie die Bücher ihres Vaters aufgeklärt, der Arzt ist. Noch nicht erwachsen, geht sie gemeinsam mit einer Freundin auf Sextour, verführt Männer in Wohnungen, Zugabteilen, Kneipen, Büros. Sie studiert dem Vater zu Liebe Medizin, gibt das Studium auf und trifft überraschend auf in Jerôme, was ihrem Leben das erste Mal eine Konstante gibt und sie die Liebe kennenlernt, was ihr nicht hilft.

Bei ihren wechselnden Begegnungen mit Männern und kürzeren und längeren Verhältnissen, fällt eine Episode aus dem Rahmen, weil sie auserzählt wird. Es sind die komischsten und doch menschlichsten Szenen des Films, wenn sich der Familienvater dann doch entscheidet, seine Familie zu verlassen und mit Koffer und Anzug bei Joe erscheint, im Schlepptau die Ehefrau – hinreißend mit Wucht Uma Thurman - , die ihm mit den drei Söhnen im Kindesalter zuerst folgt, um zu überprüfen, ob es ihm auch gut gehe, sich dann aber in einen furor hineinredet und mit ihm eine Generalabrechnung durchzieht, die sich gewaschen hat, woraufhin sie als Siegerin abzieht.

Die Berlinale hatte dazu ausgeführt: „Nach Antichrist (2009) und Melancholia (2011) präsentiert Lars von Trier mit Nymphomaniac den Abschluss seines “Triptychons der Depression“. Zugleich reflektiert er mit der Beichte einer Frau, die mit der eigenen Geschichte ringt, über die Suche nach Sinn und Balance im Leben. Ein zweiteiliger filmischer Entwicklungsroman von Erregung und Verzweiflung, Lust und Schmerz, mit historischen und literarischen Bezügen von der Bibel bis zu Tausendundeiner Nacht, vom Dekameron bis zu Marquis de Sade. Die Berlinale stellt in einer Welturaufführung den Director’s Cut des ersten Teils vor.“



Aus der Pressekonferenz

 

Anwesend: Christian Slater, Vater von Joe, Shia LaBeouf, Jerôme, Stacy Martin, die junge Joe, Stellan Skarsgård, Seligman, Uma Thurman, verlassene Ehefrau.

 

Was war die größte Herausforderung in der Arbeit mit Regisseur Lars von Trier?, hieß die erste Frage. Die ganz junge Stacy Martin antwortet als Erstes, daß für sie die eigentliche Herausforderung ihr erster Film war. Von Trier sei sehr liebenswürdig gewesen. Christian Slater kommt aus Hollywood, wo alles immer der hohen Drehkosten wegen blitzschnell gehen muß. Dagegen hat Lars von Trier sich viel Zeit genommen und das sei ihm – Slater – sehr entgegengekommen.

 

Die Einstellung der verlassenen Frau wurde 25 Minuten durchgezogen, ohne Schnitt, erzählte Uma Thurman. Und sie erzählte auch, daß von Trier ihre Darstellung übertrieben fand. „Ich war zwei Wochen zusammen mit Charlotte Gainsbourg eingesperrt“, befand Stellan Skarsgård . „Es gibt Schlimmeres im Leben“. Er betonte: „ Lars hat einen tiefen

Sinn für Humor.“ und hat selten etwas Lustigeres gesehen als die Ex-Ehefrau-Szene.“

 

Unklar bleiben die Fassungen, die es geben soll. Die gesamte lange Version - hier wird nur Volumen I des dritten Teils gezeigt – wird vielleicht in Cannes gezeigt, war eine der Hypothesen. Und dann passierte etwas, was aber nicht verstanden wurde. Schauspieler LaBeouf erzählt etwas davon, wem die Seemöwen folgen , springt auf, verläßt das Podium und ist dann mal weg...

 

Klarer Fall.“, setzt Christian Slater fort: „Das Drehbuch steckt voller Sardinen. Ich habe die Dose geöffnet und alles erschien. Eine Sardine nach der anderen kam aus der Dose. Dadurch konnte ich die Angst in Grenzen halten. Eine Sardine nach der anderen. Lars von Trier ist der Regisseur, der alle Bereiche voll unter Kontrolle hatte, wo der Schauspieler eine absolute Sicherheit fühlt. Ich hatte das Gefühl, daß er eine große Seele hat, und ich wußte, daß ich aufgehoben bin in einer großen Sicherheit bei seinem großen Herzen. Wenn er Dich bittet, etwas zu tun, dann tut man es. „endete Slater seine eindrucksvolle Rede.

 

Emotionelle Intelligenz bringe Ulla Thurman ein, kam dann aus Kollegenkreisen und da Seligman der Ruhepol ist und Joe der neurotische Teil, kommt einem das wie die beiden Teile des Lars von Trier vor.

 

 

INFO:

 

Dänemark / Deutschland / Frankreich / Belgien / Schweden 2013, 145 Min

Englisch

REGIE

Lars von Trier

DARSTELLER

Charlotte Gainsbourg
Stellan Skarsgård
Stacy Martin
Shia LaBeouf

Christian Slater

Uma Thurman