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Kategorie: Film & Fernsehen
pina1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. September 2022, Teil 5

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso)  –  LE SACRE DU PRINTEMPS. Es war der größte Skandal der Musikgeschichte, und alle Beteiligten gaben sich Mühe, dass das Pariser Premiere-Publikum Amok lief. Musik Igor Strawinsky, Impresario Sergei Pawlowitsch Djagilew, Choreographie Nijinsky. Jean Cocteau war unter den Premierengästen des frischerbauten Théâtre des Champs-Élysées und erinnert sich: »Das Publikum spielte die ihm zugedachte Rolle, es empörte sich sofort. Man lachte, spuckte, pfiff, ahmte Tierlaute nach. Der Lärm degenerierte zum Handgemenge. Stehend in ihrer Loge, mit verrutschtem Diadem, schwang die alte Gräfin de Pourtalès ihren Fächer und schrie, ganz rot im Gesicht: Das ist das erste Mal seit sechzig Jahren, dass man es wagt, sich über mich lustig zu machen!« Seit jenem denkwürdigen Abend gilt »Sacre« als musikalisches Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts und hat bis heute nichts von seiner elementaren Wucht eingebüßt. Wie auch Pinas innovative Choreographie, 1975 am Wuppertaler Opernhaus uraufgeführt. Männer und Frauen, klar unterschieden durch schwarze Hosen und weiße Kleider, tanzen auf Torf. Das raubt den Tänzer:innen den sicheren Halt, sie ringen um die Kontrolle über die Choreographie und sind zum Scheitern verurteilt. Während es bei Strawinsky um Frühlingsrituale im heidnischen Russland ging, thematisiert Pina mit ihrem »Sacre« den Kampf der Geschlechter.


PHIGENIE AUF TAURIS

»Iphigenie en Tauride«, so der französische Originaltitel, ist eine Oper von Christoph Willibald Gluck, die 1779 an der Pariser Oper uraufgeführt wurde. Das Libretto in französischer Sprache basiert auf der Tragödie von Euripides von 414 v. Chr. und spielt in der Zeit nach dem Ende des Trojanischen Krieges. Auszug aus dem Spielplan der Semperoper Dresden: Mit ihrer 1974 am Opernhaus Wuppertal uraufgeführten Choreographie zu »Iphigenie auf Tauris« beginnt Pina Bausch mit der Entwicklung eines neuen Genres - der Tanzoper. Nur wenige alltägliche Requisiten genügen, die tragisch vorgezeichnete Handlung zu unterstützen: ein Holztisch, der sowohl als Tafel als auch als Opferaltar dient, ein paar Stühle und Leitern.

Iphigenies düstere Traumvision, in der sie den Mord der Mutter Klytämnestra am Vater Agamemnon und sich selbst als unwissende Mörderin am eigenen Bruder Orest sieht, balanciert so zwischen antiker Vergangenheit und aktueller Gegenwart. Zwischen den auf Tauris angespülten Freunden Pylades und Iphigenies Bruder Orest soll sie das Opfer bestimmen. Da sie den eigenen Bruder nicht erkennt, entscheidet sie für Orest. Anrührend choreographiert Pina Bausch die Verbundenheit zwischen den beiden Freunden ebenso wie die Gewissensnot Iphigenies. Erst im allerletzten Moment, Orest ist bereits auf den mit Blumen bedeckten Opfertisch gebettet, erkennt sie den Bruder und hält inne. Bisher ausschließlich vom Tanztheater Wuppertal getanzt, ist das Semperoper Ballett die erste fremde Company, der die Pina Bausch Foundation »Iphigenie auf Tauris« anvertraut.

Foto:
© Verleih

Info:
DANCING PINA
von Florian Heinzen-Ziob, D 2022, 151 Min.
Dokumentarfilm / Start: 15.09.2022