pina3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. September 2022, Teil 6

Claus Wecker

Frankfurt am Main (Weltexpresso)  – Pina Bausch war in den 70er Jahren ein Geheimtipp unter Theaterbegeisterten. Mit meiner damaligen Freundin und ihrem Bruder wollte ich in Wuppertal der Sache auf den Grund gehen. Wir hatten den Beginn verpasst und mussten das Theaterpersonal beknien, dass man uns hereinließ. Nach der Vorstellung im halbleeren Zuschauersaal (noch freundlich beschrieben) waren wir überwältigt und überzeugt, etwas ganz Neues gesehen zu haben.

Die Frage »Was tun Pina Bausch und ihre Tänzer in Wuppertal?« hat Klaus Wildenhahn 1983 im Forum der Berlinale mit seinem Dokumentarfilm gestellt, als sich ihr Ruhm schon verbreitet hatte. Die Antwort war: Pina Bausch macht eine humane Form des Balletts, das mit dem klassischen Ballett nicht mehr viel gemein hat. Es hieß deshalb auch Tanztheater, und wenn man will, könnte man es mit den Bestrebungen des Bauhauses vergleichen, die Architektur den menschlichen Bedürfnissen anzupassen. Wobei da die Ergebnisse nicht immer so überzeugend wie in Wuppertal ausgefallen sind.

Nach ihrem Tod im Jahr 2009 ist Pina Bausch zu einer Legende geworden. Eine Foundation unter der Leitung ihres Sohnes Salomon Bausch wacht nun in Wuppertal nicht nur über die Videomitschnitte, Programmhefte und Szenenfotos, sondern versucht auch, ihr Erbe lebendig zu halten. Mit jungen Tänzerinnen und Tänzern, die den Wunsch haben, ihr Werk fortzuführen.

Die filmische Begleitung von zwei Projekten hat der Dokumentarist Florian Heinzen-Ziob nach einem Besuch des Pina Bausch Archivs übernommen. Obwohl er, in Düsseldorf aufgewachsen, nie nach Wuppertal zum Tanztheater gefahren ist, war er eine gute Wahl. Er empfahl sich durch die zwei bemerkenswerten Dokumentarfilme »Original Copy – Verrückt nach Kino« über den letzten Kinoplakatmaler in Mumbai und »Klasse Deutsch« über eingewanderte Kinder, die auf den deutschen Schulunterricht vorbereitet werden.

Mit ehemaligen Wuppertaler Ensemblemitgliedern, die jetzt als Trainerinnen die jungen Tänzer anleiten, sollten zwei der frühesten Werke von Pina Bausch aufgeführt werden. »Iphigenie auf Tauris« nach Glucks Oper über die Zeit nach dem Trojanischen Krieg an der Dresdner Semperoper und »Das Frühlingsopfer« nach Strawinskys Ballett »Le sacre du printemps«, dessen Pariser Uraufführung einen Skandal auslöste, an der École des Sables im Sengal.

Der Film springt zwischen Dresden und Dakar hin und her und schildert ähnliche Schwierigkeiten und Fortschritte an beiden Orten. In jedem der Stücke wird eine Geschichte durch die Folge von Bewegungen dargestellt. »Wir konzentrieren uns auf die Bewegung, als lernten wir eine andere Sprache«, heißt es im Film, und vom Vokabular der Bewegungen ist die Rede. Der Sinn einer Bewegung ist von Pina nicht aufgezeichnet, er muss sich ergeben. Und die Bewegung muss zu der Person passen, die sie ausführt.

So soll die hoch aufgeschossene Koreanerin Sangeun Lee in der Dresdner Aufführung ihre Größe ausspielen, sich groß machen und nicht klein werden, um sich den anderen anzupassen. Bei der afrikanischen Tanztruppe, die sich aus unterschiedlich geschulten Tänzern vieler afrikanischer Länder zusammensetzt, steht das Gemeinschaftsgefühl im Vordergrund. Eine Tänzerin leidet darunter, getrennt von ihrer Familie und ihrem kleinen Sohn zu sein. Ihr bleibt die Bewegung, ihre Gefühle auszudücken. »Nicht perfekt zu sein ist perfekt«, so wird auch der Gegensatz zum klassischen Ballett benannt.

Nach Aufführungsverboten wegen Covid steht am Ende die glanzvolle Vorstellung in der Semperoper und eine interne Aufführung am Strand in der Nähe von Dakar. Zwei neue Stücke im Sinne von Pina Bausch waren entstanden, keine Kopien. Denn wenn man kopiert, geht die Essenz verloren.

Foto:
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Info:
DANCING PINA
von Florian Heinzen-Ziob, D 2022, 151 Min.
Dokumentarfilm / Start: 15.09.2022