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Kategorie: Film & Fernsehen
wetter3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. September 2022, Teil 12

Redaktion

Berlin (Weltexpresso)  – Worum geht es in dem Film Deiner Meinung nach?

Der Film handelt von Heimat und Herkunft und fragt, was man für ein selbstbestimmtes Leben zurücklassen muss, besonders als Frau. Es geht auch um Mütter und Töchter und ihre Beziehungen, um Frauen in männerdominierten Berufen und den Kampf um Anerkennung.

Der Film beobachtet die Geschlechterhierarchien in den ganz einfachen alltäglichen Interaktionen der Figuren und zeigt, wie stark wir in der Gesellschaft auf bestimmte Rollen festgelegt sind und wie schwierig es ist, diesen zugewiesenen Platz zu verlassen, auszubrechen und etwas Neues zu finden. Diese Sehnsucht hat mit Trennung und Grenzen zu tun, und es gibt ebenso viel Schmerz wie Verheißung. Ich liebe diese Widersprüche im Leben. Sie sind eine Art kreativer Motor für mich.


Was kannst Du uns über die Hauptfiguren des Films erzählen?

Alles dreht sich um Clara, meine Hauptprotagonistin. Sie führt uns durch den Film, und wie in einem Kaleidoskop verstehen wir nach und nach, wie viele Beziehungen, Rollen und Anforderungen sie zu bewältigen hat. Ich wollte eine zeitgemäße und komplexe Frauenfigur, die auch widersprüchlich ist und unvollkommen sein darf, die nicht immer lächeln muss, um sympathisch zu sein.

Es gibt so viele Anforderungen, Wünsche und Interessen, mit denen sie sich auseinandersetzen muss. Ihr Bildungsabschluss bedeutet auch eine Trennung von ihrem familiären Hintergrund. Sie kann nicht einfach nach Hause zurückkehren und Teil davon sein. Gleichzeitig kämpft Clara auch darum, ihren Platz im Bildungsbürgertum zu finden, denn Herkunft kann man nicht einfach ablegen. Sie ist eine Suchende, und das wird sie wohl auch bleiben ...


Du hast Claras Herkunft aus der ostdeutschen Provinz erwähnt. In welcher Weise beeinflusst die Nachwendezeit Deine Protagonist*innen?

Es gibt ein Gefühl der Unsicherheit bei Clara, das mit ihrem sozialen Status, ihrem Geschlecht und ihrer Herkunft zusammenhängt. Vielleicht muss ich an dieser Stelle von mir selbst sprechen, denn diese Erfahrung teile ich mit meiner Protagonistin. Ich würde sagen, dass ich erst durch den Kontakt mit Westdeutschen Ostdeutsche geworden bin.

Vorher war es mir völlig egal, aber sobald ich Frankfurt/Oder, meine Heimatstadt an der deutsch-polnischen Grenze, verließ, musste ich ständig erklären, woher ich komme. Plötzlich wurde ich mit allen möglichen Stereotypen über Ostdeutsche konfrontiert – immer als Kompliment verpackt, denn ich wurde überhaupt nicht als Ostdeutsche gesehen. Als Reaktion darauf habe ich mich gefragt, wie sich Westdeutsche jemanden aus dem Osten vorstellen, was einen verunsichern und vereinnahmen kann. Außerdem gibt es auch Vorurteile über die Arbeiterklasse, und ich kann gar nicht genau sagen, welche Vorurteile in welche Kategorie gehören, aber sie machen etwas mit deinem Selbstbewusstsein.

Ich glaube auch, dass Claras beruflicher Ehrgeiz eine Art Wiedergutmachung für ihre Mutter ist. Als die Mauer fiel, verlor Inge ihre Arbeit und musste die demütigenden Prozeduren des Arbeitsamtes über sich ergehen lassen. Ihr bisheriges Leben wurde plötzlich in vielerlei, oft erniedrigender Weise als wertlos angesehen. Ich glaube, dass viele Kinder nach der Wiedervereinigung diese Erfahrung kennen und teilen. Ich möchte über die Stereotypen hinausgehen und stattdessen die Erfahrungen von Ostdeutschen ansprechen, die diesen Bruch in ihrer Biografie erlebt haben. Ich glaube, dass das für die Menschen in Westdeutschland etwas völlig Fremdes ist. Und hier gibt es wirklich etwas von den Ostdeutschen zu lernen. Ich glaube, das übliche Narrativ ist immer umgekehrt gewesen.


Die Geschlechterverhältnisse spielen in Deinem Film eine große Rolle, werden aber fast ausschließlich durch Ihre weiblichen Figuren thematisiert. Wie würdest Du die Rolle der Männer und das Konzept der Männlichkeit in Claras Leben charakterisieren?

Ich glaube, dass es nicht nur eine Rolle für die Männer in meinem Film gibt, denn ich zeige viele - und ganz unterschiedliche - Typen von Männern. Zumindest hoffe ich, dass es mir gelungen ist, den üblichen Stereotypen so gut wie möglich zu entkommen. Sicherlich könnte man sagen, dass die meisten (nicht alle) Männer in ihrem Umfeld Clara mit einem gewissen Selbstbewusstsein behandeln, das Clara fehlt oder das sie immer wieder in Frage stellt. Das brauchte ich, weil ich einfach glaube, dass sich patriarchale Muster immer noch wiederholen und Frauen sich dieses Selbstvertrauen einfach erarbeiten müssen. Aber ich habe versucht, die männlichen Figuren nicht nur als Antagonisten zu benutzen. Sie sind vielschichtig und nachvollziehbar in ihrem Verhalten, aber sie sind Nebenrollen, denn dieser Film gehört den Frauen.


Was war das Besondere an der Produktion?

Ich habe mich entschieden, den Film mit den Mitteln der Filmhochschule, mit wenig Geld, ohne externe Produktionsfirma zusammen mit meiner Kommilitonin und Produzentin Luise Hauschild zu drehen. Und das gab uns allen die Freiheit, herauszufinden, wie wir arbeiten wollten. Es gab nur den Druck, den wir uns selbst auferlegt haben, den bestmöglichen Film zu machen, aber wenig äußere Zwänge. Ich denke, diese Erfahrung, die Parameter selbst zu bestimmen, ist einzigartig in dieser Branche und sehr wichtig für alles, was noch kommen wird.


ALLE REDEN ÜBERS WETTER lebt sehr stark von den Darsteller*innen. Wie hast Du sie gecastet?

Wir haben uns bei dem Teil des Castingprozesses, den wir selbst durchgeführt haben, hauptsächlich auf Clara und Inge konzentriert, da unsere Ressourcen begrenzt waren. Wir hatten großartige Schauspielerinnen beim Casting, und es macht großen Spaß, darüber nachzudenken, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln könnte, wenn man sich für oder gegen eine bestimmte Schauspielerin entscheidet. Ich habe ein Ensemble-Casting gemacht, und Anne Schäfer hat mich überzeugt, weil sie eine der wenigen Schauspielerinnen war, die in der Beziehung zu ihrer Mutter nicht in das Verhalten der kleinen Tochter zurückfiel, sondern sich als erwachsene Frau gegen ihre Mutter stellte. Das war für den Film extrem wichtig. Eine der Sehnsüchte von Clara ist es, sich selbst neu und anders zu begegnen und nicht mehr in alten Mustern zu verharren. Anne hat auch irgendwie diese sehr widerspenstige Eigenschaft. Ich hatte das Gefühl, dass die Wahrnehmung von Unterschieden für sie genauso wichtig ist wie für Clara, und damit zu arbeiten hat mich gereizt.

Die Rolle, für die ich am längsten gebraucht habe, war die der Inge, und ich bin unglaublich glücklich mit Anne-Kathrin Gummich. Es war wirklich nicht einfach, jemanden zu finden, der diese „einfache“ Frau so klug und mit einem enormen Selbstbewusstsein spielt. Ich liebe es, ihr in diesem Film zuzusehen. Emma Frieda Brüggler hat in all meinen Kurzfilmen mitgespielt. Ich habe sie entdeckt, als sie zehn Jahre alt war, und ich bin immer noch erstaunt über ihr lebendiges Spiel vor der Kamera und ihr Timing. Emma hat nie einen Schauspielkurs besucht. Sie ist ein Naturtalent und es ist großartig, mit ihr zu arbeiten.

Ich höre hier mal lieber auf, denn ich könnte noch viel mehr über meine Schauspieler*innen erzählen. Ich liebe sie einfach alle und bin so dankbar, dass ich meinen ersten Film mit einem so tollen Ensemble umsetzen konnte.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Regie, Buch:     Annika Pinske
Ko-Autor:          Johannes Flachmeyer

Darsteller
Anne Schäfer                     Clara
Anne-Kathrin Gummich.    Inge
Judith Hofmann                 Margot
Marcel Kohler                    Max
Max Riemelt                      Marcel
Emma Frieda Brüggler      Emma
Thomas Bading                 Prof. Brandis
Sandra Hüller                    Hannah
Christine Schorn               Charlotte
Alireza Bayram                  Faraz
Exmann                             Ronald Zehrfeldt

Abdruck aus dem Presseheft