Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen
wetterSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. September 2022, Teil 13

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer ist diese Frau? Clara. Wir lernen sie kennen als Beischläferin eines recht jungen Mannes, der im Hotelbett zurückbleibt, wenn sie sich – nach kurzem Abstauben eines kleinen Sektfläschchens aus dem Zimmerkühlschrank, aus dem sie gerade mal einen tiefen Schluck nimmt – rasch verzieht, weil sie einen Termin hat. Auf seine Frage, wann wieder und ob immer im Hotel?, nickt sie nur. Weg ist sie.

Warum sie es eilig hat, sehen wir an ihrem Arbeitsplatz, den man schnell als Universität wahrnimmt und auch, daß sie dort Lehrende ist und mit Studenten über deren Arbeiten sprichst. Von Philosophie und Philosophen ist die Rede, aber schnell geht es weiter, denn sie muß sich selbst erst weiter qualifizieren, das macht ein kurzes Gespräch mit ihrer Doktormutter Margot (Judith Hofmann) klar, die einen zwiespältigen Eindruck macht: durchaus als leicht frustrierte Frau und Wissenschaftlerin, die eine scharfe Zunge gegenüber den patriarchalischen Verhältnissen hat, völlig zu recht, aber auch zynisch gegenüber Frauen auftritt. Hannah (Sandra Hüller) ist eine von ihnen, die sich nicht als gefördert, sondern von ihr gefeuert sieht – und dies in deutlichen Worten kund tut. Clara ist hier zugewandt, aber gehemmt, weil es sich um ihre Doktormutter handelt.

Ach und da kommt auch der junge Mann aus dem Hotelbett. Er ist einer von Claras Studenten, Max (Marcel Kohler), aha, eigentlich nicht erwünscht und dies wäre für einen Mann an der Uni heute schon ein großes Problem, auch wenn es früher innerhalb der Professoren eine geübte Praxis war. Das waren jetzt schon sehr unterschiedliche Milieus, der Beischlaf im Hotel und die Uni, aber die Wohngemeinschaft macht den Kohl erst jetzt fett. Denn Clara, die Ende Dreißig ist, lebt in Berlin in einer solchen und die durch’s Bild und die Küche huschenden Männer, sind nicht gut einordenbar, das Gespräch mit ihnen zeigt uns Clara eigentlich unspezifisch, nicht sehr warmherzig und offen, eher zurückhaltend und stumm.

Sie muß den Text für einen Vortrag fertigstellen, hat Zeitdruck, will gegenüber Margot die von ihr eingeforderte Qualität ihres Vortrags einlösen, sie macht sich selbst Druck, den sie aber auch von anderer Seite hat. Denn sie ruft ihre Mutter an, die sie ständig zu erreichen versuchte. Die Mutter hat Geburtstag, lebt auf dem Land und will die Rückversicherung, daß die Tochter pünktlich kommt. Und die entscheidet sich nach mehreren Telefonaten dann doch, gleich nach Hause zum Geburtstag ihrer Mutter zu fahren. Und jetzt lernen wir nach der Liebhaberin, der Dozentin, der Doktorandin, der Wohngemeinschaftlerin auch noch die Mutter Clara kennen. Sie holt nämlich mit dem Wagen im Haus ihres Exmanns (Ronald Zehrfeldt) ihre 14jährige Tochter Emma ( Emma Frieda Brüggler) ab. Allerhand, wie Regisseurin Annika Pinske so ganz nebenbei die vielen Rollen von Frauen vorstellt, die sie im normalen Leben ausüben. Für mich blieb das die stärkste Aussage im Film, wie vielfältig das Leben von Frauen zu unterschiedlichen Rollen führt, die im Film Clara völlig selbstverständlich und mit jeweils spezifischen Verhalten und unterschiedlicher Redeweise füllt.

Ihr Nach-Hause-Kommen zeigt jetzt die eigentliche Thematik des Films und Claras. Sie kommt aus einfachen Verhältnissen vom Land, jetzt versteht man auch im Nachhinein die kurze Szene im Elternhaus des begüterten Max, als dessen Mutter sie nach ihren Eltern fragt und sie vom frühen Tod des Vaters spricht und daß er Diplomat war. Der frühe Tod stimmt, aber er war Arbeiter, was Clara im Universitätsmilieu lieber verschweigt. Sie weiß, warum; die Zuschauerin aber erinnert sich an Zeiten, wo an den Unis proletarische Herkunft große Anerkennung fand, weil jeder weiß, daß universitäre Leistung zu erbringen für diejenigen sehr viel schwieriger und darum anerkennenswerter ist als für diejenigen, die seit Kindheit sprachlich und intellektuell gefördert wurden.

Zu Hause bringt die lebenstüchtige Mutter Inge ( Anne-Kathrin Gummich) nun alles auf den Tisch, was zu eine deftigen Geburtstagsvorbereitung und -feier gehört. Hier gibt es so viele Gelegenheiten, wo Clara mit ihrer Mutter allein ist uns so gerne von ihr mehr hören möchte, als die Kochrezepte. Die durchaus warmherzige Mutter ist aber in ihrer Rolle als Ernährerin und Ausrichterin von Familienfeiern so gefangen, daß sie dann doch nicht fertig bringt, über mehr als über’s Wetter zu reden. Die Kommunikationssehnsüchte der Tochter sind genauso deutlich wie die Schranken, die die dörflichen Verhältnisse ihren Bewohnern auferlegen. Ob allerdings die Unterhaltungen im Uni-Milieu, in der Wohngemeinschaft oder im Liebesbett die von Clara erwünschte Kommunikation, den wirklichen Austausch mit anderen gebracht haben, bleibt offen.

Foto:
©Verleih

Info:
Stab
Regie, Buch:     Annika Pinske

Darsteller
Anne Schäfer                     Clara
Anne-Kathrin Gummich.    Inge
Judith Hofmann                 Margot
Marcel Kohler                    Max
Max Riemelt                      Marcel
Emma Frieda Brüggler      Emma
Thomas Bading                 Prof. Brandis
Sandra Hüller                    Hannah
Christine Schorn               Charlotte
Alireza Bayram                  Faraz
Ko-Autor:                          Johannes Flachmeyer

Exmann Ronald Zehrfeldt