antwortenVERSO SUD 28, das Festival des italienischen Films im Deutschen Filminstitut und Filmmuseum Frankfurt (DFF), Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nein, der Film wird nie sentimental, dort im schaurigen Gefängnis sitzen keine Unschuldigen und dennoch sind derart abgerissene Lebensbedingungen für Gefängnisinsassen mehr als fragwürdig und der Zuschauer hält instinktiv zu ihnen, wenn sie gegen den Fraß und anderes opponieren und Menschenwürdiges verlangen.

Übrigens sehr interessant und unerwartet, was Valia Santella auf die Frage von Franco Montini nach den Darstellern erwidert. Nur die Hauptrollen seien mit Profis besetzt, nioch dazu mit den beiden wichtigsten männlichen Schauspielern Italiens, der Regisseur kennt aus seinen Dokumentarfilmen eine Menge Leute, die er hier als Laiendarsteller einsetzte. Das verblüfft, denn als Zuschauer erkennt man keinen Unterschied! Die Profis fallen hier nur durch ihre herausgehobenen Rollen auf. Das Spiel aller wirkt authentisch, natürlich. 

Doch das Eigentliche in diesem Film geschieht sowieso auf einer anderen Ebene. Gefängnisfilme gab es früher zuhauf. Heute viel seltener. Woran das liegt? Früher waren die Verhältnissen in vielen Gefängnissen in vielen Ländern: die sanitären, das Essen, die räumlichen, die Ansprachen an die Gefangenen, ja selbst körperliche Züchtigungen, all das war gang und gäbe und forderte die Intelligenz der Insassen einfach heraus, aus dem Gefängnis zu fliehen oder dort mit einer Revolte der Gefangenen durch Geiselnahme der Wärter oder anderes der Öffentlichkeit den Spiegel vorzuhalten, wie sie es mit dem Abschaum der jeweiligen Gesellschaft halten.

Man hat bei Gefängnisfilmen im Hinterkopf PAPILLON, wo Steve McQueen entflieht, oder all die Filme um das Gefängnis mit Todestrakt Alcatraz, wo Flucht die einzige Konsequenz ist, was Clint Eastwood vormacht. Heute sind Gefängnisfilme viel seltener, in Deutschland gibt es keine mehr, nur Szenen, die im Gefängnis spielen, wo dann alles sauber, ja hygienisch einwandfrei ist. Immer geht es um Mörder, Schwerverbrecher, Raub und Totschlag und neben der Flucht oder der Revolte auch um die Vorherrschaft unter den Gefangenen, wer der Boß, ja wer der Oberboß sei, wer zum Knecht gemacht wird, vergewaltigt und gefoltert - nicht mehr durch die Oberen, sondern durch die Gefangenen selbst.

Wenn aber FLUCHT oder REVOLTE in diesem Gefängnisfilm keine Rolle spielt, welcher Art von Gefängnisfilm ist er dann? Und wie kommt es, daß Italien gleich zwei großartige Beispiele solche untypischen Gefängnisfilme aufweist, wo es um die innere Freiheit der Insassen geht, die sie nur erreichen, wenn sie gemeinsame Ziele haben, die gut tun. Es hatten nämlich 2012 zur BERLINALE die Brüder Taviani den Film CÄSAR MUSS STERBEN vorgelegt und damit - mit Recht! - den Goldenen Bären gewonnen. Dort ging es um das Rabibbia-Gefängnis in Rom, wo die schlimmsten Kerle ‚weggesperrt‘ sind. Dort ging eine gefängnisdidaktische Idee, die einander hassenden und einander brutal verfolgenden Häftlinge zu Gemeinsamkeiten zu bringen, voll auf. Die Häftlinge werden zum Theaterspiel motiviert, worauf sie sich nach und nach voll einlassen. Sie proben für die Aufführung von Shakespeares JULIUS CÄSAR und in dieser gemeinsamen Aktion gehen alle vorherigen Rangeleien und Einander-im-Gefängnis- das-Leben-Schwermachen unter. Die neue Gemeinsamkeit schafft Frieden untereinander und Hoffnung auf ein Leben nach dem Gefängnis.

An diesen wundervollen, weil hoffnungsfrohen Film, mußte ich bei ARIAFFERMA denken. Hier wird nicht eine Theateraufführung zum Mittel, die so aggressiven wie depressiven Gefangenen zu einem positiven Miteinander zu verführen,  sondern das Kochen - und auch das gemeinsame Essen. Allein die Szenen zwischen dem Wärter und dem Gefangenen, dem Koch im Garten, wenn für das Mittagessen wildwachsendes Gemüse gesucht wird. Dies Gespräch und Selbstgespräch hätte sich der Beamte Gaetano nicht mal im Traum vorgestellt. Dabei liegt das Gemeinsame noch aus anderen Gründen zwischen beiden nahe. Sie sind am gleichen Ort, sogar in der gleichen Straße aufgewachsen. Der Mafiaboß hatte den Gastwirt als Vater, der Staatsdiener den Milchmann. Ein Beispiel dafür, daß Filme und gemachte Drehbücher phantasievoller sein können als unsere Träume.

Fotos:
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Info:
VERSO SUD
28. Festival des italienischen Films | 25.11.-7.12.2022
Das gesamte Programm finden Sie im PDF des Festivalkatalogs und auf der webseite www.dff.film.
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