Bildschirmfoto 2022 12 01 um 00.10.45Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. Dezember 2022, Teil 1

Phyllis Nagy

Hollywood(Weltexpresso) - Als Robbie Brenner mir das Drehbuch zu CALL JANE schickte, wusste ich, dass ich diesen Film drehen musste, aber ich wusste auch, dass Ehrfurcht vor dieser Regiearbeit geboten war. Ich spürte, dass ich ehrlich bleiben würde, wenn ich mir diese Ehrfurcht, gepaart mit einer gewissen Furchtlosigkeit, bewahren würde. Und mein Gefühl bewahrheitete sich.

Ich verspürte den Drang, einen Film zu erschaffen, in dem die Sichtweise jeder Figur zum Ausdruck kommen und ohne moralische Wertung vermittelt werden kann, und zwar durch jenes chaotische, komplexe und widersprüchliche Verhalten, das die Empathie des Zuschauers fördert. Moralpredigten unerwünscht. Subtext, Humor und vor allem der Glaube, dass das Politische immer persönlich ist, waren richtungsgebend für die Weiterentwicklung des Drehbuchs und letztendlich auch für die Überzeugungen, die ich vom Papier auf die Leinwand gebracht habe.

Diese Geschichte aus der Perspektive einer gewöhnlichen Frau zu erzählen, die sich in außergewöhnlichen Umständen befindet und in einer schwierigen Zeit keine persönliche Wahlfreiheit hat, war meine Leitlinie in dem einjährigen Prozess des sorgfältigen Umschreibens eines bereits guten Drehbuchs, das am Ende eine äußerst politische Erzählung wiedergeben sollte, die aber nicht auf einer politischen Bühne stattfindet, sondern vielmehr Szene für Szene die Vorstellung davon verändert, was eine politische Bühne ist oder sein könnte.

Die Erforschung der ernüchternden und schmerzhaften Geschichte der Wahlfreiheit beim Thema Schwangerschaftsabbruch in den USA bei gleichzeitiger Würdigung der bemerkenswerten Mitwirkung von Frauen wie der „Janes“ erforderte viel Fingerspitzengefühl, während man gleichzeitig anerkennen musste, dass Tatsachen und Wahrheit sich manchmal gegenseitig ausschließen.

Dennoch habe ich nie an meiner Überzeugung gezweifelt, dass man ernste Themen am besten mit einem Hauch von Leichtigkeit vermittelt. Will man Menschen zu einem Gespräch einladen, muss man erst einmal ein Gespräch anbieten. Und dieses Gespräch kann man nur. als guter Zuhörer führen, was man definitiv nicht ist, wenn man sein Publikum zur Unterwerfung zwingt.

Die Frage, wie man als Filmemacher*in einen Standpunkt vermittelt, ohne sein Publikum zu zwingen, denselben Standpunkt zu vertreten, war mein letztendlicher Antrieb, das Projekt CALL JANE weiterzuverfolgen.

Ehrlich zu bleiben bedeutete, dass ich meine eigenen Überzeugungen und Empfindungen in Bezug auf die verschiedenen narrativen Elemente, die in CALL JANE vorkommen, hinterfragen musste – Abtreibung, Hautfarbe, Frauenrechte und die Frage, wie weit wir es gebracht haben – oder auch nicht. Und dabei kam ich zu dem Schluss, dass CALL JANE vor allem ein Nachdenken über die Wahlfreiheit darstellt, sei es auf der persönlichen, politischen, geschäftlichen oder familiären Ebene, und dass der Film für mich Ausdruck einer sich ständig weiterentwickelnden Debatte ist, von der ich aufrichtig hoffe, dass wir sie noch lange nach der Premiere des Films weiterführen.

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Info:
Call Jane (USA 2022) 
Genre: Drama
Filmlänge: ca. 122 Min.
Regie: Phyllis Nagy
Drehbuch: Hayley Schore, Roshan Sethi
Darsteller: Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Kate Mara, Chris Messina, Cory Michael Smith, Wunmi Mosaku u.a.
Verleih: DCM
FSK: ab 12 Jahren