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Kategorie: Film & Fernsehen
mehr dennSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2022, Teil 10

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ist ein ganz eigener Film, den man mit keinem, den man gesehen hat, vergleichen kann, was zum einen mit dem Thema zu tun hat, daß eine todkranke Frau erst dann heiter und sie selber wird, als sie ihren Tod akzeptiert, ja eigentlich freudig erwartet , was zum anderen die unfaßbaren Verkörperung der kranken Helene durch Vicky Krieps einen unter die Haut fahren läßt.

Seit ich Vicky Krieps als Ehefrau von Karl Marx auf der Leinwand erlebt hatte, ist sie für mich eine der 1-2-3 besten deutschsprachigen Schauspielerinnen, deren Sonderklasse, finde ich, überhaupt nicht Thema ist. Dabei ist diese Rolle der todkranken Helene keine Kleinigkeit. Wir lernen sie in ihrer Welt in Bordeaux kennen, wo sie mit Freunden zusammensitzt, wie das so ist, mit Freunden beim Essen, die wissen, daß sie eine Krankschreibung hat, aber sie nach deren Ende fragen, wo doch Helene und auch ihr Mann Mathieu (Gaspard Ulliel) wissen, daß sie nie wieder arbeiten und leben, sondern sterben wird.

Die 33jährige leidet an einer mir zuvor nicht bekannten Lungenkrankheit, die eine zunehmende Verhärtung der Lunge bewirkt, die am Schluß nicht mehr atmen kann, was im Film und auch im Interview mit der Regisseurin von dieser korrekt beschrieben wird. Das ist eine Lebenssituation, noch Lebenssituation mit dem baldigen Tod, die man sich kaum vorstellen kann – und vor der, wenn man für die eigene Person darüber nachdenkt, zu Abwehr und Angst führt. Man möchte leben. Man ist aber auch nicht krank.

Helene wird zusätzlich innerlich krank, weil sie weder mit den Freunden noch ihrem Mann und eigentlich auch sich selbst gegenüber ihren Tod so richtig als unausweichlich leben, eben die letzten Momente, Monate noch lebendig leben kann. Dem Tod entgegendämmern, ihn sekündlich fürchten? Nein, sie findet auf einmal im Netz Worte, Sätze von einem Mann, der sich MISTER nennt und über seine Gefühle vorm baldigen Sterben äußert. Sie schreibt ihm, war schon zuvor von den Landschaftsaufnahmen in seinem Blog tief bewegt, denn die Klarheit der norwegischen Landschaft, das Licht, das Wasser, die Fjorde und Felsen tuen ihrer Seele wohl. Als MISTER sie einlädt, ein kleines Haus zu bewohnen, geht sie zum Entsetzen ihres Mannes freudig darauf ein. Denn die Alternative war, der Schulmedizin eine Chance zu geben, ob durch Operationen Lebensverlängerung möglich wäre, was sie ablehnt, was er als Affront an ihn und ihr gemeinsames Leben empfindet. Die gleichen Gefühle von Zurückweisung und Enttäuschung empfindet er, da sie alleine nach Norwegen fahren will.

Sie findet in der Natur und im sanften Austausch mit MISTER die innere Ruhe, die ihr das Leben so nahe bringt wie nie, aber auch den Tod nicht fürchten läßt. Man kann das, was mit Helene geschieht, nicht in Worten wiedergeben, man muß es im Film sehen, wie aus Angst vor dem Tod eine innere Gelassenheit entsteht, die sie jede Sekunde des Lebens endlich genießen läßt. Sie ist eins mit der Natur und mit sich selbst und eben auch mit ihrem erwartbaren Tod.

Zugespitzt wird die Situation, als ihr Mann sie besucht, eigentlich, um sie mit nach zu Hause zu nehmen. Daß er unter Schmerzen ihre Entscheidung akzeptiert, daß sie in diesem Licht, dieser Luft, diesem Wasser zum Sterben bleiben will. Und dann geschieht etwas im Nachhinein Unheimliches. Gegen jede Bilder im Kopf, wo der Tod oft in einem Nachen über die Wässer davongleitet, beispielsweise zur Toteninsel, dreht Regisseurin die Situation um: die auf festem Land bleibende Helene wird sterben, der davonsegelnde Mathieu leben. Im Film. Das Unheimliche daran ist, daß dies im Leben des Schauspielers Gaspard Ulliel seine letzte Rolle wurde, da er im Winter drauf durch einen Skiunfall starb.

Foto:
©Verleih

Info:
Darsteller
Hélène.       Vicky Krieps
Mathieu.     Gaspard Ulliel
Mister.        Bjørn Floberg
Doktor Girlotto.  Sophie Langevin
Mutter.   Valérie Bodson

Stab
Regie.    Emily Atef
Drehbuch   Emily Atef und Lars Hubrich