Bildschirmfoto 2023 01 03 um 00.04.27

Der Film von Marie Noelle auf DVD seit dem 25. November 2022 bei lighthouse

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Film ist viel zu schön für das dann doch traurige Leben von Heinrich Vogeler (Johann Heinrich Vogeler * 12. Dezember 1872 in Bremen, † 14. Juni 1942 im Kolchos Budjonny bei Kornejewka, Karaganda, Kasachische SSR), der mit so vielen Hoffnungen begonnen hatte und eine der Säulen der von ihm mitgegründeten Künstlerkolonie Worpswede war. Sind das heute noch Stichworte, die jeder versteht? Worpswede?
Von den Erstgründern 1889 ist heute Otto Modersohn vielleicht nur noch deshalb bekannt, weil seine früh verstorbene Frau Paula Modersohn-Becker eine der mit Recht berühmtesten Malerinnen unserer Zeit wurde.

Heinrich Vogeler (Florian Luks) folgte 1894 in dies Moordorf, das aus einem sehr einsichtigen Grund bei Künstlern so beliebt wurde. Es war das Licht. Schon ganz Norddeutschland überrascht die aus dem Süden mit diesem weiten Horizont, der aber in Worpswede, 20 Kilometer nordöstlich von Bremen, noch weiter erscheint, ein Licht, das Licht im Licht gewissermaßen, das transparent wirkt, wozu der Nebel und die fast völlige Menschenleere des gefährlichen, Teufelsmoor genannten Moores eine besondere Stimmung erzeugt. Farben sind hier einfach Farben, alles ist klar, konturiert und einfach. Das war als Voraussetzung wichtig, denn die in Frankreich angesagte Freilichtmalerei hatte hier alle Chancen, hatte hier ihre idealen Bedingungen.

Doch Heinrich Vogeler wurde nicht einfach ein Freiluft- und Freilichtmaler, er war ein Tausendsassa. Sehr schön gibt der Film zu Beginn die schöpferische Kraft wider, mit der er alles anpackt, ein Künstler der Zeit, die ja vom Gesamtkunstwerk sprach und damit alles unter ein ästhetisches Gesetzt stellen wollte, aber den Menschen dazu auch. Wer etwas über diese Melange von Fortschrittlich- und Bürgerlichkeit um die Jahrhundertwende 1900 wissen will, kommt hier auf seine Kosten, denn ausführlich wird das Lebensgefühl dieser Generation dargestellt und vor allem Vogelers Fähigkeiten in all den Künsten. Bekannt ist er heute als Maler, aber er war auch Grafiker, was im Jugendstil sowieso dazugehörte, und baute natürlich auch sein Haus als Architekt selber, wozu der Innenausbau, also die Einrichtung Richtung Gesamtkunstwerk dazu gehörte. Man staunt, daß er auch noch Schriftsteller ist und in der Bildung der Bevölkerung den entscheidenden Schritt zu einer gerechten Gesellschaft sieht.

In dieser Phase des Films kommen auch alle Mitstreiter ins Bild, von denen natürlich Rilke eine besondere Rolle spielte, den Vogeler in Florenz kennengelernt hatte und der in Worpswede seine spätere Frau Clara Westhoff kennenlernte, die beste Freundin von Paula Modersohn-Becker. Ob Vogeler schon damals mit Rußland liebäugelte, das Rilke schon zweimal besucht hatte, wird nicht vertieft, er folgt den beiden Frauen und Rilke nach Paris, wo er Rodin kennenlernt. Doch er hat keine richtige Orientierung, ach ja, Martha (Anna-Maria Mühe), seine große Liebe, die er geheiratet hatten, war auf Dauer von ihm enttäuscht, seine Welt war zerbrochen und der Krieg setzte dies fort. Der Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik half auch nicht.

Das alles zeichnet der Film nach, zum größten Teil in Spielfilmszenen , die durch Dokumentarmaterial angereichert sind. Zwangsläufig ist die Zeit, die Vogeler nun in der UdSSR verbringt, weder dokumentiert, noch nachstellbar. Er, der sein Leben lang für das einfach Volk tätig war, hoffte, daß die Sowjetunion eine gerechte und bildungsfreudige Gesellschaft würde. Daher rührt wohl der Filmtitel: ein Träumer. Er heiratete 1926 eine Russin. Mit naiven Leuten wie ihm, wurde im Notfall kurzer Prozeß gemacht. Das alles ist tieftraurig, denn er wurde Opfer der stalinistischen Verfolgungen, konnte aber unmöglich in das NS-Deutschland zurückkehren. Er starb 1942 an seinem Deportationsort in Kasachstan.

Wohl um das fehlende Dokumentarmaterial zu kaschieren, werden eine Reihe von Personen, Vogelers Sohn Jan und eine Urenkelin, Klaus Modick, Norbert Bisky und die Künstlerin Sophie Sainrapt zur Person und dem Werk Vogelers befragt. Das wirkt künstlich und an der Stelle, wo Vergangenheit auf einmal in Paris in Gegenwart überschwappt, denkt man, daß die Regisseurin, die mit MARIE CURIE alles richtig gemacht hatte, sich übernommen, den Film überfrachtet hat. Weniger wäre mehr gewesen.

ABER, angesichts dessen, daß die Zeit über Worpswede und die Künstlerkolonie hinweggeht, ist man froh, daß wenigstens auf diese Weise diese Welt mit ihren Hoffnungen auf der Leinwand oder dem Bildschirm erscheint.

Foto:
©Verleih

Info:
Heinrich Vogeler - Aus dem Leben eines Träumers
DVD
BRD, 2022
FSK ab 12 freigegeben 
Erscheinungstermin: 25.11.2022
Genre: Biografie Biopic Dokumentation
Spieldauer: 90 Min.
Regie: Marie Noelle
Darsteller: Florian Lukas, Anna Maria Mühe, Uwe Preuss, Johann von Bülow, Naomi Achternbusch, Samuel Finzi, Alice Dwyer
Sprache: Deutsch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Widescreen
Untertitel: Deutsch f.H.
Specials: Audiodeskription für Blinde und Sehbehinderte