inshe1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. Januar 2023, Teil 12

Redaktion

 

London (Weltexpresso) – THE BANSHEES OF INISHERIN spielt im Jahr 1923, als in Irland der Bürgerkrieg tobte. Die fiktive Insel Inisherin ist davon nicht betroffen, aber man spürt die Spannung auf der anderen Seite des Wassers auf dem Festland. „In manchen Nächten hört man Kanonenböller und Gewehrschüsse, also ist uns auf der Insel nur zu bewusst, dass sich ein Bürgerkrieg abspielt“, berichtet Colin Farrell. „Aber wir sind auch geschützt davon, weil wir weit entfernt und abgetrennt durch das Meer sind.“

 

Der Irische Bürgerkrieg tobte von 1922 bis 1923 und folgte dem Unabhängigkeitskrieg und dem Ausrufen des Irish Free State, einem politisch eigenständigen Gebiet in einer Hälfte des Landes, die abgetrennt war vom Vereinigten Königreich. Zwei verfeindete Gruppierungen, die provisorische Regierung, die sich zum Anglo-Irish Treaty bekannte, und die den Vertrag ablehnende Irish Republican Army (IRA), kämpften um Vorherrschaft. 

 

Den Bewohnern von Inisherin ist das allerdings egal. „Es ist komisch, dass die Menschen auf der Insel noch nicht einmal darüber reden wollen, was sich auf dem Festland abspielt“, sagt Kerry Condon. „Der Krieg kümmert sie nicht. Es ist, als wären sie ein abgetrenntes kleines Land – ein abgetrenntes kleines Alles.“

 

Was sich allerdings auf Inisherin abspielt – die Trennung von Pádraic und Colm und die immer größeren Risse zwischen den anderen Menschen auf der Insel -, ist ein Spiegelbild dessen, was sich auf dem Festland abspielt. Es gibt allegorische Aspekte bezüglich der Trennung zwischen diesen beiden Männern und der Trennung zwischen den beiden Seiten im Irischen Bürgerkrieg“, merkt McDonagh an. „Es ist eine Geschichte, in der ein winziger kleiner Krieg zwischen zwei Kerlen geführt wird, während gleichzeitig ein größerer Krieg auf der anderen Seite des Wassers herrscht.“

 

Gleeson beschreibt den Bürgerkrieg als ein katastrophales Nebenprodukt, das aus dem Kampf um Freiheit entstehen kann. Im Falle des irischen Konflikts stellten sich Bruder gegen Bruder und Freund gegen Freund. Historisch betrachtet, folgten erschütternde Gräueltaten. 

 

„Ich denke, dass die Trennungen, die sich auf der Insel anbahnen, und die Gewaltsamkeit, deren Zeuge wir in unserem Film sind, gespiegelt werden in dem, was auf dem Festland passiert. Jeder klammert sich an seine kleinen Positionen und erlaubt es damit, dass die Trennungen gären und schlimmer werden“, meint Gleeson. 

 

McDonagh hatte noch nie einen historischen Film gedreht und freute sich darauf, historische Städte und Figuren zu Leben zu erwecken. „Wenn man etwas in der Vergangenheit ansiedelt, eröffnen sich viele Möglichkeiten“, sagt er.

 

Wenn man die Handlung in einer anderen Zeit ansiedelt, vermeidet man, dass der Film schneller altert, als wenn man ihn in der Gegenwart spielen lässt. In „Brügge sehen… und sterben“ bemühte sich der Autor und Filmemacher, keinerlei moderne Referenzen in die Handlung einfließen zu lassen, um auf diese Weise eine gewisse Zeitlosigkeit zu erzielen. „Three Billboards“ fühlt sich ebenso an, als würde es in seiner eigenen Zeit spielen. THE BANSHEES OF INISHERIN hält sich seinerseits nicht an die strikten Limitierungen der Zeitgeschichte. Vielmehr ist es eine auf sich selbst verweisende Fantasie: ein mythischer Ort, wilder als das Festland, ein gutes Stück Wahnsinn, das in seinen Knochen sitzt. 

 

Der Titel des Films bezieht sich beispielsweise auf eine legendäre geisterhafte Figur aus der irischen Mythologie, die in der Nacht ihre schrille Stimme erhob, um einen Tod in der Nähe anzukündigen. „Wenn du hörst, wie sie ihre Melodie anstimmt“, schmunzelt Farrell, „ist es bereits zu spät für dich.“

 

Obwohl es im Film niemals explizit ausgesprochen wird, ist eine alte Frau auf Inisherin, Mrs. McCormick, gespielt von Sheila Flitton („The Northman“), die Verkörperung der Banshee – der Todesfee. „Sie ist so etwas wie der bösartige graue Wachhund der Insel, die sich körperlich nie groß in die Angelegenheiten der anderen einmischt – sie hält sich lieber am Rand, schaut von draußen zu“, erklärt Farrell. „Sie scheint eine Art merkwürdiges ätherisches Wissen darüber zu besitzen, wo die Menschen der Insel verletzlich sind. Was ist ihr wunder Punkt? Wo kann man sie am besten angreifen? Sie ist fasziniert vom Tod.“

 

In der Geschichte sagt Mrs. McCormick voraus, dass Inisherin von zwei Toden heimgesucht werden würde. „Als Publikum müssen wir versuchen herauszufinden, ob das der Wahrheit entspricht“, sagt Produzent Broadbent. „Erzählt diese verrückte alte Vettel wirklich etwas, das unserer Handlung hilft, oder ist sie einfach nur plemplem?“

 

Der Filmtitel bezieht sich außerdem auf ein Musikstück, das Gleesons Figur im Verlauf der Handlung komponiert. „Während sich die Geschichte entwickelt und entfaltet, wird das Lied durch Colms Fiddlespiel zu Leben erweckt“, sagt Farrell. „Ich sage, es gibt keine Todesfeen auf Inisherin. Er sagt, dass es vielleicht welche gibt, aber er glaubt nicht, dass sie Männer wirklich ins Verderben schicken. Er denkt, dass sie einfach nur dasitzen und zusehen.“

 

 

Von der Konzeption zum Drehbuch

 

Colms Fiddle ist nicht das einzige Instrument, dass Melodien hervorbringt in THE BANSHEES OF INISHERIN. McDonaghs Dialoge haben ihre eigenen inneren Rhythmen.

 

„Man will diese Zeilen erfüllen mit verschiedenen Arten der Interpretation“, sagt Gleeson. „Aber diese Texte haben eine Musik, die sich im Kern wunderbar geschriebener Dialoge findet. Martin ist sehr klar mit seinen Bildern. Seine Texte haben eine außergewöhnliche Tiefe, sind geprägt von einer ganz eigenen Schönheit.“ Lydon beschreibt McDonaghs Texte ebenfalls, indem er Musik evoziert: „Es ist wichtig, sich auf den Rhythmus der Sprache einzulassen.“

 

Ein Großteil der Besetzung von THE BANSHEES OF INISHERIN stammt aus Irland, also waren sie mit den von McDonagh verwendeten Sprachwendungen vertraut. „Martins Texte sind so gut für Iren geschrieben“, findet Kerry Condon. „Mir fällt es leicht, die Dialoge zu sprechen, weil ich tatsächlich genauso rede. Martin kommt aus England, seine Eltern sind Iren, er selbst spricht aber mit einem englischen Akzent. Man muss bewundern, dass er ein gutes Ohr hat und Texte für Iren exakt so schreibt wie wir reden.“

 

Barry Koeghan lernte McDonaghs Arbeit erstmals zu schätzen, als er eine Bühnenproduktion seines Stücks „The Cripple of Inishmaan“ sah. Der Schauspieler war fasziniert davon, wie es dem Dramatiker gelingt, eine perfekte Balance zwischen Dunkelheit und Komödie zu erzielen. „Viele Autoren vermischen Komödie und Tragödie“, sagt Keoghan. „McDonagh besitzt indes die Fähigkeit, die Stile innerhalb einer Szene oder sogar in einem einzigen Dialogsatz zu verbinden.“ Die Stimmung kann sich binnen eines Herzschlags bewegen von brüllend komisch zu schmerzhaft oder traurig, bewegend oder zu Herzen gehend.

 

„Die Geschwindigkeit, in der die Szenen ihre Tonalität verändern können, überrascht mich jedes Mal wieder aufs Neue“, sagt Colin Farrell. „Seine Sachen sind sehr komisch“, bestätigt Kerry Condon. „Man lacht, und dann haut er eine Zeile rein, die einem den Boden unter den Füßen wegzieht. Dieses Gefühl – „Gerade habe ich gelacht und jetzt stehe ich unter Schock“ – lässt einen tiefschürfender nachdenken. Seine Texte sind erfüllt von einer außergewöhnlichen Intelligenz. Er ist auch sehr gut, wenn es darum geht, Güte oder Einsamkeit zu umreißen.“ McDonaghs Komödie mag dunkel sein, sie ist aber nicht bösartig. 

 

„Ich liebe an Martins Texten, dass sie frei von Bösartigkeit sind“, fährt Farrell fort. „Manche der Figuren, die er dem Publikum zeigt, können absolut maliziös und grausam sein und manche der Ereignisse überschreiten bestimmt die Grenze zum Makabren, aber ich finde keine Bösartigkeit bei dem Autor, der Stimme, dem Schöpfer.“

Foto:

©Verleih

Info:
BESETZUNG
 
Pádraic Súilleabháin Colin Farrell
Colm Doherty Brendan Gleeson
Siobhán Súilleabháin Kerry Condon
Dominic Kearney Barry Keoghan
Peadar Kearney Gary Lydon 
 
STAB
Regie und Drebuch Martin McDonagh

Abdruck aus dem Presseheft