Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen
weltkino

Wiedergesehen, Wiedergelesen, Wiedergehört, Teil 9

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Man kann nur dankbar registrieren, welche EXTRAS zur DVD des Cavanifilms erstellt wurden, denn erst nach stundenlangem Zusehen und Zuhören erschließt sich einem die Dimension filmischer Innovation, die Liliane Cavani so nebenbei in gang setzt. Ihr Interview ist deshalb so aufschlußreich, weil sie alle Überhöhung, auch Titulierungen als Nazi-Kitsch, wegwischt und darauf beharrt, daß sie eine Liebesgeschichte erzählen wollte, wo die Bedingungen diese Liebe nicht zuließen, die sich dadurch intensivierte. Seltsam, auf einmal kam mir beim Zuhören TRISTAN UND ISOLDE in den Sinn. Den Liebestrank brauchte der NACHTPORTIER nicht.

 

Erst einmal berichtet die Cavani – übrigens schon erstaunlich, daß eine weitere italienische Filmemacherin sich mit politischen Filmen hervortat: Lina Wertmüller – wie sie dazu kam, sich intensiv mit dem filmischen Material, das von den Nazis überliefert ist, auseinanderzusetzen, es erst einmal zu suchen, zu finden, auszuwerten und daraus einen Dokumentarfilm nach dem anderen zu machen. Sie wurde zur anerkannten Expertin für filmische Analysen des 3. Reichs, wobei ihr persönlicher Ausgangspunkt der Gewinne eines Wettbewerbs 1964 war, dessen Vorgänger ein Jahr zuvor Umberto Ecco gewesen war. Für sie war und ist die Tatsache verstörend, daß Menschen, die in den KZs litten, dennoch nicht von ihren loskommen. So erzählt sie von ihr bekannten Menschen, die jedes Jahr von Italien eine Woche nach Dachau gehen, wo sie einst gequält wurden. Sie hat mit diesen Menschen immer wieder gesprochen, so auch die Frage gestellt, was das Schlimmste war, was sie von den Deutschen erlitten hätten. Die Antwort: daß sie Dinge taten, die sie sich nicht verzeihen können!

Das ist ein weites Feld und wir sehen sofort Bilder vor uns, vom Kapo-System, wo also ein Häftling die Rolle des Mächtigen übernimmt, weil er in dessen Auftrag die Gefangenen bewacht und bestraft, bis zu anderem Verhalten, wo ein Unterdrückter sich in der Rolle des Aggressors auslebt. Sie, die Cavani, wollte eigentlich das Gefühl, das sie beim Zuhören dieser Zeitzeugen hatte, auf der Leinwand sehen.

Sie sprach auch mit Innigkeit über ihre beiden Hauptdarsteller, ohne die der Film nicht der wäre, der er geworden ist. Für sie war Bogarde als Hauptdarsteller gesetzt und sie war sehr froh, daß dieser ihr Charlotte Rampling ‚andiente‘, wie in einem späteren Interview die Schauspielerin erzählt. Beide hatten nämlich in einem italienischen Film, der das Mafia-Genre bediente, zusammengespielt und Bogarde sah in Rampling die ideale Lucia, zu der sie dann auch wurde.

Interessant auch der Hinweis der Regisseurin zum Handlungsort Wien. Sie wuchs dort auf und es war die erste europäische Stadt, die sie erlebte. Lange spricht sie über den Menschen als Mängelwesen, der gleichwohl Verschiedenes in seiner Brust trägt. „Wir sind nicht nur Monster“, ist ein starkes Argument, aber das Entscheidende ist die Liebe. Liebe ist die stärkste Kraft auf Erden, die ‚Ewige Liebe‘ kann Schmalz sein, aber sie kann eben auch wie bei den beiden Protagonisten, alles andere überdecken. Mit Schulterzucken konstatierte die Regisseurin: „Sie lieben sich halt.“

Sie spricht auch über ihre KZ-Recherchen, die sie vorwiegend in Mauthausen unternahm und sehr intensiv über die Perfidie dieser Gruppe alter Nazis, die sich eine Psychoanalyse verordnen, um die Schuldgefühle los zu sein, sie sich zu „verzeihen.“

Kaum zu glauben sind dann solche Sottisen, wie die Altersgrenze ihrer Filme, wobei dieser für 18 Jahr zugelassen wurde. Aber bei einem anderen Film, der keine Anstößigkeiten aufwies, wurden auch 18 Jahre angesetzt. Als sie nachfrug, warum, hörte sie, weil bei ihrem Film in einem Liebesakt die Frau oben liegt und nicht, wie es sich gehört, unten.

Zurück zum Film, der ästhetisch eine Vorgabe machte, die zum Markenzeichen wurde. Die Nazis in Uniform, in schwarzen Uniformen wird zum Renner für die Mode. Diesen Schwerpunkt setzt Marcus Stiglegger in „Die Sexualisierung des Nationalsozialismus in Kino“, wo er zahlreiche filmische und bildliche Darstellungen bringt, wo einem Hören und Sehen vergeht, Er sieht eine „Sadiconazista“-Tradition, die zum Nazi-Kitsch wurde, wenn die Sexualisierung des Feindes schon schon in „Rom, offene Stadt“ von Roberto Rossellini 1945 vorkommt, dem ersten italienischen Film nach dem Krieg, wo ein absoluter Sadist, ein SS-Offizier in einer schmucken Uniform als viriler Typ mit einer Doppeldeutigkeit gezeigt wird, die zum einen einen faszinierenden Mann, zum anderen ein Ungeheuer zeigt. Absolut interessant seine Ausführungen zum Nazi-Chic, der sich im Film und der Pop-Kultur, natürlich erst recht in der Mode austobte. Von daher sieht man auch die Fotos der halbnackten Frauen mit Uniformmützen auf dem Kopf, die aufrecht, ja fast furchteinflößend da stehen und für die Helmut Newton berühmt wurde, in einem neuen Licht. Und die Beispiele, die bis Madonna gehen, wo Uniformen als Ausdruck von sexueller Macht dienen, erkennt man im Nachhinein auch.

Von der Wiederkehr des Verdrängten sprach der nächste Beitrag und noch einmal kam mir die Amour fou der beiden im Film als Fortsetzung des Liebestodes von Tristan und Isolde vor. Dort sind andere Zeichen, aber diesselbe zum Tod führende Leidenschaft.

Daß allerdings in Italien NS und Sex filmisch schon lange eine intensive Einheit eingegangen ist, war mir neu, wird aber in vielen Bildbeispielen belegt.

Ein interessanter Film, ein noch interessanteres EXTRA auf der DVD.

Foto:
©

Info:
Der Nachtportier. Italien/Großbritannien 1973. Regie: Liliana Cavani. Mit Charlotte Rampling, Dirk Bogarde.
Digital remastered als DVD/BD erschienen 2021 bei Weltkino. 
Genre: Unterhaltung, Erotikfilm, Drama, Spielfilm, Erotik 
Format Dolby, PAL
Beitragsverfasser: Italo Moscati, Charlotte Rampling, Daniele Paris, Alfio Contini, Liliana Cavani, Dirk Bogarde, Gabriele Ferzetti, Philippe Leroy, Isa MirandaItalo Moscati, Charlotte Rampling, Daniele Paris, Alfio Contini, Liliana Cavani, Dirk Bogarde, Gabriele Ferzetti, Philippe Leroy, Isa Miranda 
Sprache Deutsch, Englisch

Laufzeit 1 Stunde und 55 Minuten