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Kategorie: Film & Fernsehen
THE SONSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. Januar 2023, Teil 15

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - „THE SON erzählt eine universale Geschichte, sie spielt sich überall auf der
Welt ab, Tag für Tag, sie könnte jedem widerfahren. Es geht um uns alle und
wie wir uns um die Menschen kümmern, die wir lieben.“ 
Florian Zeller

Ihnen ist ein außergewöhnlicher Film gelungen, ein Film über die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn, die sich nicht als ausreichend erweist, um den Jungen zu retten. Was war Ihr Impetus?

Genau das war mein zentraler Gedanke, als ich mich hinsetzte, um diese Geschichte niederzuschreiben. Man kann seine Kinder noch so sehr lieben, man kann ihnen noch so sehr wünschen, dass sie unbeschadet durchs Leben kommen, man noch so liebevoll und umsichtig mit ihnen umgehen, auf der Reise des Elternseins wird der Moment kommen, an dem man akzeptieren muss, dass es nicht genug ist. Man wird dann vielleicht falsche Entscheidungen treffen, man wird an einen Punkt kommen, an dem man am Ende ist mit seinem Latein. Ein guter Vater oder eine gute Mutter sein zu wollen, ist ein einziges Minenfeld, ungeheuer schwierig und alles verzehrend.

Manchmal ringt man darum, ein besserer Vater zu sein als der, mit dem man selbst großwurde. Oder der Vater zu sein, den man gerne gehabt hätte. Wir alle kämpfen gegen die Geister unserer Kindheit. Jeder macht seine eigenen Erfahrungen, jede Erfahrung ist anders. Gemein ist uns allen nur die Erkenntnis, dass unser Einfluss auf den Lauf der Dinge nur begrenzt ist. Wir können nicht alles entscheiden, wir können nicht jeden retten.


Der Film vor THE SON war ihr Debüt als Filmregisseur. An welchem Punkt stand für sie fest, dass THE FATHER keine Ausnahme sein würde? Wann wussten Sie, dass Sie auch THE SON verfilmen würden?

Wie Sie wissen, komme ich von der Bühne. Sowohl THE FATHER wie auch THE SON sind Stücke von mir. Ich wusste schon vor THE FATHER, dass ich aus THE SON einen Film machen wollte. Das stand einfach fest, für mich war das gesetzt. Als ich mit THE FATHER fertig war und der Film in die Kinos kam, musste ich also nicht groß überlegen, was ich als nächstes machen würde. THE SON wartete bereits auf mich und empfing mich mit offenen Armen. Es gab in diesem Moment keine andere Geschichte, die ich erzählen wollte. Es gab nur diese oder keine. Die Geschichte steht mir sehr nah, in vielerlei Hinsicht ist es ein sehr persönlicher Stoff. Gar nicht so sehr, was die Figuren oder gewisse Situationen anbetrifft, ich meine eher die emotionale Ebene. Was in diesem Film verhandelt wird, ist mir nicht fremd.


Sie wollten also etwas Persönliches mitteilen?

Natürlich mache ich einen Film nicht, um der Welt meine Geschichte zu erzählen. Tatsächlich steckt etwas anderes dahinter. Als wir das Stück aufführten, wurde mir bewusst, wie stark sich die Menschen mit diesem Thema identifizierten. Nach jeder Aufführung warteten am Bühnenausgang Menschen auf uns, um uns ihre Geschichten mitzuteilen, ihre eigenen Probleme mit uns zu teilen. Was eine andere Art und Weise ist, jemandem zu sagen, dass man versteht, worüber da gesprochen wird. Mir wurde auch da erst so richtig bewusst, wie viele Menschen Probleme mit ihrer seelischen Gesundheit haben, oftmals ohne es selbst zu wissen. Es ist ein Thema, das mit Scham beladen ist, Schuldgefühlen, Ignoranz, Verleugnung. Mir ist es wichtig, mit dem Film eine Konversation zu beginnen. Ich wollte das Thema so geradlinig und direkt ansprechen wie möglich. Die meisten meiner Stücke ähneln
einem Labyrinth. THE SON ist bewusst und gezielt ganz anders, weil kein Zweifel bestehen darf, was die Aussage, die Botschaft ist. Eigentlich funktioniert mein Verstand anders, aber in diesem Fall habe ich mich zu maximaler Klarheit gezwungen. Man soll sich nicht vor dem Thema drücken können. Deshalb musste ich so brutal wie möglich sein.


Es ist ein bisschen her, dass Sie das Stück schrieben – es stammt aus dem Jahr 2019. Wie war Ihr Blick darauf, als Sie begannen, es für das Kino zu adaptieren?

An Filmen finde ich faszinierend, dass man als Regisseur im Grunde alles genauso umsetzen kann, wie man will. Klar, es gibt Zufälle. Und wenn man mit Menschen arbeitet, fließt immer auch ein Teil ihres Lebens in die Arbeit ein. Aber man ist wie ein Dirigent, man kontrolliert das gesamte Geschehen, nicht nur die Darstellungen vor der Kamera, auch den Bildausschnitt, die Ausleuchtung, die Musik. Wenn man einen Film dann abschließt, kann man ein Ergebnis in Händen halten, das exakt der eigenen Vision entspricht. Ich liebe das Theater von ganzem Herzen, aber für mich als Autor wie auch als Regisseur ist es ein fast schmerzhaftes Erlebnis, dem Treiben auf der Bühne zuzusehen. Es stimmt schon, jeder Abend ist neu, und jeder Abend ist auf seine Weise großartig. Aber es ist auch nie exakt so, wie ich es mir vorstelle. Im Kino ist das anders. Was ich schließlich auf der Leinwand zeige, entspricht absolut meiner Vision. Gerade bei THE SON wurde mir dank der Schauspieler die Gelegenheit gegeben, genau das zu machen, was ich wollte. Ich bin ihnen sehr dankbar, dass sie akzeptiert haben, unbedingt meiner Inszenierung zu folgen.

Nehmen Sie Hugh Jackman, den ich für einen großartigen Schauspieler halte. Er ist ein hundertprozentiger Profi, ein ausgebildeter Tänzer mit einer ausgezeichneten Technik, was es ihm erlaubt, jeden Aspekt seiner Darstellung exakt zu kontrollieren. Ich aber wollte, dass er sich komplett meiner Regie ausliefert, die Kontrolle sozusagen abgibt. Das gefiel ihm. Wir haben überhaupt nicht geprobt, und wir haben nicht chronologisch gedreht. Es gab also nichts, worauf er zurückgreifen konnte. Seine ganze Konzentration galt meinen Anweisungen.


Was wunderbar zu der Rolle passt, die er in THE SON spielt...

Ein Mann, der alle Probleme zu lösen versucht und erkennen muss, dass er keine Kontrolle darüber hat. Ich wollte beim Dreh für eine entsprechende Atmosphäre sorgen, damit echte Emotionen entstehen konnten. Es war für uns alle eine Entdeckungsreise. Wir wollten herausfinden, was wahr ist, was ehrlich ist, was aufrichtig ist. Hugh sollte beim Dreh entdecken, was es heißt, ein Vater zu sein und ein Sohn zu sein. Es ging nicht darum, eine künstliche Darstellung zu formen und aufzubauen. Es sollte intimer sein. Echter. Das war das Ziel.
 
 
Sie haben es gerade angesprochen: Kino ist eine völlig andere Disziplin als Theater. Was gefällt Ihnen daran?

Mir gefällt die Intensität des Kinos. Wenn man dreht, befindet man sich immer im Moment, im Jetzt. Es gibt eine sehr starke, unsichtbare Beziehung zwischen dem Regisseur und seinen Schauspielern. Wenn ein Schauspieler auf der Bühne steht, spielt er für ein Publikum. Das ist sein Rahmen, seine Referenz. Wenn ein Schauspieler vor der Kamera agiert, spielt er für den Regisseur. Ich bin derjenige, der zusieht, mein Blick ruht auf ihnen. Alles beruht auf der Unsichtbarkeit dieses Blicks. Wenn man Schauspieler verehrt und ihnen genau zusieht, entsteht etwas Besonderes, das ich sehr liebe. Film ist die Kunst der Nahaufnahme. Man kann den Schauspielern so nahe kommen wie in keinem anderen Medium. Wenn man sich konzentriert, kann man in sie hineinsehen.


Sie schreiben Ihre Filmdrehbücher in Zusammenarbeit mit Christopher Hampton. Wie sieht ihr Prozess aus?

Wir stehen uns seit Jahren sehr nahe. Er hat alle meine Stücke ins Englische übersetzt, er ist selbst ein ausgezeichneter Dramatiker. Er kennt meine Arbeit, ich weiß um seine Fähigkeiten und Stärken. Wenn wir miteinander arbeiten, sind wir trotz unseres Altersunterschieds wie Brüder. Es ist eine fast selbstverständliche Zusammenarbeit. Bisher war es immer so, dass ich das Drehbuch zuerst auf Französisch schreibe – ich bin Franzose, das ist die Sprache, in der ich mich am besten ausdrücken kann. Christopher stellt im Anschluss eine Übersetzung her. Ein sehr spannender Moment, weil sich in seiner Übersetzung neue Fragen ergeben und den Beginn eines gemeinsamen Gesprächs markieren.

Foto:
©Verleih

Info:
Besetzung
Peter Hugh Jackman
Beth Vanessa Kirby
Kate Laura Dern
Nicholas Zen McGrath
Anthony Anthony Hopkins

& Stab
Regie        Florian Zeller
Drehbuch Florian Zeller, Christopher Hampton
Nach dem Stück „Le Fils“ von Florian Zeller

Abdruck aus dem Presseheft